Nadine Zeller

Wissenschaftsjournalistin, Freiburg

3 Abos und 3 Abonnenten
Artikel

Einfach schön sein - Protokoll einer Brust-OP

So wie sie jetzt sind, findet Elena ihre Brüste schön.

Von Körbchen A auf C, auch wenn die Familie und der Freund dagegen sind: Protokoll einer Schönheits-OP.


Immer wenn sie über den Pausenhof ging, haben die Jungs sich über sie lustig gemacht. Das hat sie nicht vergessen. Über den Vorfall im Schullandheim will sie schon gar nicht reden. "Die haben mich einfach fertiggemacht", sagt sie. Das ist lange her, in der siebten Klasse war das, aber sie kann sich heute, mit 25 Jahren, noch gut daran erinnern. An die Ohnmacht und ihre Scham.

Jetzt, viele Jahre nach all den Hänseleien, hat Elena (Name von der Redaktion geändert) reagiert. Sie liegt in einem weißen Krankenbett. Die Beruhigungstablette hat sie noch nicht genommen. "Ich habe Angst, dass ich gleich weinen muss", sagt sie und knetet ihren pinkfarbenen Handschmeichler. Sie fürchtet sich vor dieser Operation. Ihr Freund war dagegen, ihre Familie auch. Dennoch wird sie heute ihre Brüste vergrößern lassen. Von Körbchen A auf C, doppelt so groß. "Ich will das seit zehn Jahren, ich zieh das jetzt durch", sagt sie. So, wie sie die Dinge eben durchzieht. Die Ausbildung zur medizinisch-technischen Assistentin. Den Trainerschein. Sie ist diszipliniert. Sie verlangt viel von sich und ist es gewohnt, dass es so läuft, wie sich das vorstellt. "Ich bin eben sehr kritisch mit mir selbst. Das ist ja nichts Schlechtes", sagt sie.


Als vor zwei Monaten eine Bekannte ihre Brüste vergrößern ließ, hat sie alles hautnah miterlebt. Sie ließ sich selbst einen Beratungstermin bei einem Freiburger Schönheitschirurgen geben. Der Arzt sprach mit ihr über die Ausgangsbedingungen. Über ihre "Hardware". Das Wort wird sie noch öfters im Gespräch benutzen. Sie zieht das Oberteil aus, zeichnet von ihren Brustwarzen ausgehend zwei Achsen in die Luft. "Meine Brüste weisen leicht nach außen, wenn ich die Implantate bekomme, kann sich das verstärken", sagt sie. Das mache sie etwas nervös, aber der Arzt sei nun mal verpflichtet, sie darauf hinzuweisen. Er habe ihr allerdings auch Fotos von anderen Patientinnen gezeigt, und da habe es gut ausgesehen. Deswegen will sie sich jetzt nicht den Kopf zerbrechen.


"Mein Arsch darf so bleiben. Den mag ich."


Sonntag, Mitte April - ein Tag vor der Operation. Noch ist sie nicht sicher, wie groß ihre Brüste werden sollen. Deswegen hat sie den Arzt gebeten, verschiedene Implantate zu bestellen. Einmal 280 Milliliter und einmal 315 Milliliter, das wäre fast so viel wie in einer Getränkedose drin ist. Einmal tropfenförmig und einmal rund. Erst tendierte sie zu 280 Millilitern, aber dann zeigte sie dem Arzt ein Foto einer Frau, deren Dekolleté ihr gefiel und er meinte, das seien mehr als 280 Milliliter. Jetzt weiß sie nicht, was sie will - die kleinere oder die größere C-Körbchen-Variante. Der Arzt soll das entscheiden. "Das ist ja kein Problem, der kann die ja während des Eingriffs reinschieben und schauen, wie es aussieht", sagt sie.


Am Morgen des Eingriffs bringt ihr Freund sie ins Krankenhaus. Er schaut ernst, während er die Auffahrt der Freiburger Klinik hoch läuft. Sie zieht ihren Trolley neben sich her. Wo sie lang muss, weiß sie schon. Vierter Stock. Chirurgische Ambulanz. Ihr Freund folgt ihr mit einem halben Meter Abstand, sagt nichts.

Hinter der Glasscheibe des Stationszimmers grüßt eine Krankenschwester. Sie tritt auf Elena zu und bittet sie, in der Sitzgruppe Platz zu nehmen. Sie berührt kaum die vordere Stuhlkante, da springt sie wieder auf, um ihren Freund zu umarmen. Er verabschiedet sich, muss jetzt arbeiten. "Pass auf dich auf", sagt er. Dann läuft er den langen Gang zurück. Von jetzt an ist Elena auf sich gestellt.


Im Jahr 2011 gab es in Deutschland rund 137 000 Schönheitsoperationen. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC) waren mehr als 80 Prozent der Menschen, die sich dafür entschieden, Frauen. Die meisten lassen sich die Brüste vergrößern, dann kommt Augenlider straffen und Fett absaugen. Zählt man die Unterspritzungen zu den Schönheitsoperationen, kommt man auf 268 000 Behandlungen. Vor zehn Jahren zählte die DGPRÄC noch rund 100 000 Behandlungen weniger. Der Markt ist binnen eines Jahrzehnts um etwa ein Drittel gewachsen.


Werner Mang, der bekannteste Schönheitschirurg Deutschlands, sagt: "Im Internet, Fernsehen und den Zeitschriften wird ständig suggeriert: Wenn du gut aussiehst, bist du auch erfolgreich. Das verfehlt natürlich nicht seine Wirkung bei den Menschen." Er verstehe aber nicht, warum manche Menschen Schönheitsoperationen als Eingriff in die Schöpfung sehen würden. Man müsse ja nicht alles hinnehmen als Mensch.

Elena entblößt ihren Unterarm. Die Krankenschwester misst den Puls. 107. Die Normalpulswerte liegen bei Erwachsenen zwischen 60 und 80. Sie ist aufgeregt. 


Körpertemperatur 36,5 Grad. Blutdruck 123 zu 79. Die Schwester zeigt Elena das Zimmer, in dem sie die nächsten zwei Tage verbringen wird, weist ihr einen Schrank zu und verschwindet. Elena beginnt auszupacken, läuft hin und her, räumt ihre Sachen ein und wieder aus. Kann sich nicht entscheiden, ob sie ihr Buch lieber in der Schublade liegen haben möchte oder auf dem Beistelltisch. Klappt die Schublade auf und wieder zu.

Plötzlich öffnet sich die Badezimmertür, und eine Frau Mitte 40 steht im Raum. Es ist die Zimmernachbarin. 

Sie lächelt, streckt Elena die Hand entgegen und stellt sich vor. Elena lächelt und sagt:

"Hi, ich bin Elena. Wie lange   bist du schon hier?

"Zwei Tage. Ich werde heute   entlassen."

"So schnell?"

"Ja, kurz und schmerzhaft."

Die Zimmernachbarin lacht.

"Was hast du machen lassen?"

"Die Brüste."

Elena schaut auf ihre Brüste.

"Echt? Sieht man gar nicht."

"Ich habe sie verkleinern lassen."

Elena starrt sie an.

Die Zimmernachbarin lächelt, wünscht ihr viel Glück und verschwindet, um sich einen Kaffee zu holen. Als sie die Tür hinter sich schließt, beginnt Elena sich auszuziehen. Erst die Jeans, dann den schwarzen Pulli. "Krass, dass sich jemand die Brüste verkleinern lässt", sagt sie. Schließlich steht sie nackt vor dem Bett und greift nach dem Flügelhemdchen. Sie ist zierlich, durchtrainiert. Kurz schaut sie ein letztes Mal an ihren Brüsten hinunter. Dann schlüpft sie in das Flügelhemd, bindet es im Nacken zusammen, wackelt mit dem Po und kichert. "Mein Arsch darf so bleiben. Den mag ich."

Sie setzt sich auf das Bett und müht sich mit den Thrombosestrümpfen ab. Es ist ein Kampf. Als sie endlich so weit ist, nimmt sie die Beruhigungstablette, legt sich hin und sagt: "Feines Mädchen, ich hätte nicht gedacht, dass ich hier mal liegen würde." Dann wird sie still. Knetet ihren Handschmeichler. Als der Arzt das Zimmer betritt, springt sie auf, schüttelt ihm die Hand und verschwindet mit ihm in den OP-Saal.

Zwei Wochen vergehen. Elena ist shoppen mit einer Freundin. Sie steckt in einem locker fallenden Pullover mit grauweißen Streifen. In einer Boutique hat sie einen Hosenanzug gesehen. "Ich hatte eigentlich nicht vor, was zu kaufen, aber der sieht echt süß aus." Sie lacht. Viel Zeit haben sie nicht mehr, sie muss gleich zur Nachuntersuchung.

"Alles drehte sich um Brüste. Wir konnten nicht mal Asterix und Obelix anschauen."

Drei Nachuntersuchungen später sitzt Elena mit ihrem Freund in einer Gaststätte in der Freiburger Wiehre. Jetzt kann sie in Ruhe von der Zeit nach der Operation erzählen. "Mittwochmorgen lag ich auf dem Boden meiner Wohnung und habe geweint", sagt sie. Zwei Nächte konnte sie vor Rückenschmerzen nicht schlafen. Ihr Freund war bei der Arbeit, ihr Hund war bei ihrem Vater, sie war allein mit ihrem Schmerz. Sport hatte der Arzt ihr für vier Wochen untersagt. "Ich bin erst mal in so ein Loch gefallen. Das war hart. Du machst das und fühlst dich dann so. Und dann weißt du auch noch, dass du das freiwillig gemacht hast." Es sei dann aber langsam besser geworden, als alles gut verheilte.


Ihr Freund sagt: "Am Anfang habe ich mich von ihr distanziert. Ich hatte immer im Hinterkopf: Darf ich sie jetzt umarmen oder tut ihr das weh?" Er sei gegen den Eingriff gewesen, habe immer zu ihr gesagt, dass er ihre Brüste schön finde. "Mich hat das verletzt, dass meine Meinung nicht entscheidend für sie war." Er schaut Elena an. Sie zuckt mit den Schultern, lächelt. "Er hatte auch Angst, dass ich so eine Art Höhenflug bekomme", sagt sie. Er nickt.

Am Anfang sei es schon wie ein Rausch gewesen, nachdem die Schmerzen vorbei waren, sagt sie. "Endlich hatte ich die Brüste, die ich wollte." Dann seien sie langsam abgeschwollen und seien ihr wieder zu klein vorgekommen. Letztendlich habe sie sich ja für die 280 Milliliter Implantate entschieden. Aber diese Phase ging dann auch vorbei. "Ich fühl mich jetzt einfach weiblicher", sagt sie. Sie findet es toll, ihr Dekolleté endlich zeigen zu können. Ihr Freund grinst und sagt: "Ich kann halt die Implantate spüren ..." Sie fällt ihm ins Wort. "Ja, weil sie noch nicht weich sind, das werden sie aber, wenn alles komplett verheilt ist."


Für ihn, sagt Elenas Freund, sei jetzt jedenfalls wieder ein Stück Normalität eingekehrt. Davor hätten sie sich häufiger gestritten, weil sie eifersüchtig auf andere Frauen gewesen sei. "Alles drehte sich um Brüste." Es habe Zeiten gegeben, da hätten sie sich nicht mal Asterix und Obelix in Ägypten anschauen können, ohne, dass sie sich zu den Brüsten von Kleopatra geäußert hätte. Das sei jetzt vorbei.

Autor: Nadine Zeller

Zum Original