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Wie ein braunes Blatt im Wind

Foto: Von OTFW, Berlin - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0

Berlin, den 13. Mai 2018


Liebe Margret Antonie Boveri,

Sie sind vor über 40 Jahren verstorben, noch lange bevor ich überhaupt auf die Welt kam. Wir haben uns nie kennengelernt und doch schreibe ich Ihnen, weil ich ein paar Fragen an Sie habe. Nachdem ich große Teile Ihrer Biographie - entschuldigen Sie bitte, dass für die Kapitel über Ihre Kindheit keine Zeit mehr blieb - und mehrere Artikel über Sie gelesen habe, bin ich mir unsicher, ob Ihre Rolle als Vorbild für die heutigen Journalistinnen und den Journalismus allgemein berechtigt ist.

Gewiss, Sie waren eine Frau von Welt. Das will ich auch gar nicht bestreiten. Eine Frau, die sich alle Freiheiten genommen hat und das in einer Zeit, in der es für Frauen nicht normal war, Flugstunden zu nehmen oder mit dem Auto in Begleitung einer Freundin bis in den Iran zu fahren. Über die vielen Reisen durch Marokko, Tunesien, Algerien und bis zu den Pyramiden haben Sie Ihre ersten Artikel verfasst. Sie haben sich Ihren Weg in einem Männerberuf gebahnt, wie sie auch fremde Länder nach und nach für sich entdeckt haben. Eine Pionierin, wie man heute so schön sagt. Diese Gabe haben Sie wohl in Ihre Wiege gelegt bekommen, war Ihre Mutter doch ebenfalls die erste Frau unter vielen Männern. Als erste Studentin hat sie am Massachusetts Institute of Technology ihr Abschlussexamen abgelegt, und das im Jahr 1885. Mit Ihrer Geburt, 15 Jahre später, hat sie die wissenschaftliche Karriere jedoch an den Nagel gehängt. Es muss eine beschauliche Kindheit gewesen sein, glaubt man den Artikeln, die sich mit Ihnen befassen. Mit Ihren Eltern, die beide Biologen waren, scheinen Sie auch als Kind bereits viel unterwegs gewesen zu sein. Sie hatten das Privileg, als Einzelkind in einer Akademikerfamilie aus der bürgerliche Oberschichte aufzuwachsen. Der Himmel war Ihre Grenze und so haben Sie auch gelebt.

Eine „grande Dame", stets in der Welt unterwegs. Ich muss gestehen, die vielen Reisen, Ihr Mut und die Selbstverständlichkeit, mit der Sie ihre Ziele erreichten, haben mich begeistert. Ihnen war kein Weg zu weit. Als Sie Mitte der 30er Jahre beim Berliner Tageblatt unter Paul Scheffer angefangen haben, hatten Sie schon eine beachtliche Bildung hinter sich: Ein Universitätsstudium in Zoologie, Germanistik, Anglistik und Geschichte. Für das Berliner Tageblatt waren Sie in Italien, Malta, dem Sudan und Ägypten unterwegs. Darauf folgte eine Stelle als Auslandskorrespondentin für die Frankfurter Zeitung in Stockholm und New York. Trotz der zahlreichen Reisen, war Ihr zuhause aber immer noch Berlin.

Über Ihre Rückkehr nach Deutschland wird oft betonend geschrieben, dass sie diese „auf eigenen Wunsch" angetreten haben. Mitten im Zweiten Weltkrieg haben Sie demnach beschlossen, die USA zu verlassen und in die Heimat zurückzukehren, in der schlimme Zeiten wüteten. In einem Buch von Harry Balkow-Gölitzer mit dem Titel „Eine noble Adresse: Prominente in Berlin-Dahlem und ihre Geschichte" werden Sie mit der Aussage „Ich liebte Deutschland und wollte bleiben" zitiert. Mehrmals hat sich Ihnen die Chance geboten, wieder ins Ausland zu gehen, wie es viele andere Künstlerinnen oder Schriftstellerinnen getan haben, die sich dem Nationalsozialismus nicht beugen wollten und ihre Berufung gefährdet sahen. Aber für Sie rief die Heimat, Sie wollten in Deutschland bleiben und mussten sich beugen, was Sie auch getan haben. Hatten Sie es wirklich nötig, im Dritten Reich Karriere zu machen? Haben Sie sich vor Ihrer Rückkehr überhaupt gefragt, was die politische Lage der Zeit für Ihr Berufsleben als Journalistin bedeuten könnte? In Ihrer Autobiografie „Verzweigungen" beschreiben Sie Ihre Entscheidung so:

„Es ist nicht möglich, auf das Ganze, was hier geschieht, eine verändernde Wirkung auszuüben. Es ist aber wohl möglich, in dem begrenzten Bereich, in dem man lebt und arbeitet, in einer Gegenhaltung, sich seinem Gewissen entsprechend zu verhalten."

Sie haben stets den Schein der hart arbeitenden Frau aufrechterhalten. Sie wollten also das, was dabei war zu geschehen, verändern, waren aber auch keine Rebellin, keine Aktivistin und Sie haben keinen Widerstand geleistet. Was genau wollten Sie dann als Journalistin im Dritten Reich bewirken? Es gibt keine Veränderung ohne aktiv zu werden. Ich verstehe Ihre Aussage so: Alles, was Sie geschrieben haben, während Ihnen Hitler auf die Finger geschaut hat, hat entweder Ihrem Gewissen entsprochen oder Sie haben mit Ihrer oben zitierten Aussage gelogen. In Anbetracht Ihrer Publikationen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, scheinen mir beide Varianten für eine Journalistin nicht gerade förderlich zu sein. Und wenn alles, was Sie geschrieben haben, Ihrem Gewissen entspricht, wie Sie es selbst gesagt haben, dann bezweifle ich wirklich Ihre Rolle als Journalistin und vor allem ihre Rolle als Vorbild für den weiblichen Journalismus.

In der FZ haben Sie einen zweifellos antisemitischen Text mit dem Titel "Landschaft mit doppeltem Boden. Einfluss und Tarnung des amerikanischen Judentums" veröffentlicht. Es handelt sich hierbei nicht um Spekulation: Sie sind aufgestiegen auf den Zug des Nationalsozialismus. Wollten Sie etwa mit dem Strom schwimmen? Als die FZ im August 1943 verboten wurde, haben Sie als Amerika-Beraterin an der Deutschen Botschaft in Madrid weitergearbeitet. An diesem Punkt habe ich gedacht, Sie würden den Artikel in der FZ womöglich schon bereuen und hätten sich deshalb nach Madrid abgesetzt. Ich wurde jedoch enttäuscht, denn wenn es etwas gibt, das Sie besonders gut konnten, dann ist es Kompromisse einzugehen. Ab März 1944 waren Sie wieder in Deutschland und haben als freie Autorin bei Joseph Goebbels Wochenzeitung Das Reich angefangen. Wieder ein Kompromiss? Ihre Karriere war Ihnen auch unter dem NS-Regime so wichtig, dass Sie sich einfach angepasst haben, statt das zu kritisieren, was sich scheinbar verändern wollten. Sie haben doch selbst davon gesprochen, dass man sich seinem Gewissen entsprechend verhalten soll. Oder entsprachen diese Inhalte aus der NS-Zeit etwa Ihren Überzeugungen? Nach dem Krieg, als die Luft wieder rein und die Gefahr für Sie vorbei war, haben Sie sich für den antisemitischen Text aus der FZ entschuldigt. Die scharfen Äußerungen seien auf Korrekturen von der Redaktion zurückzuführen. Im Zuge dieser Entschuldigung haben Sie scheinbar sogar über eine Kündigung nachgedacht, Sie wollten den Beruf wechseln und Chauffeur werden. Von Scham haben Sie gesprochen. Die Scham über ihre antisemitischen Gedanken war dann wohl doch nicht groß genug, denn Sie sind geblieben wo Sie waren und haben weiter Karriere gemacht.

Ich kann Ihnen nichts unterstellen, in weiß nicht, wie Sie wirklich waren, was Sie gedacht haben oder welche politische Einstellung Sie hatten. Aber Sie haben sich als Journalistin auf Kompromisse eingelassen, damit Ihre Karriere weiterhin den Weg nach oben geht. Und das auf Kosten der Wahrheit und Ihrer Ehrlichkeit. Ihre Rechnung ist aufgegangen, das muss man Ihnen lassen. Ihr Name ist bis heute bekannt, sonst würde ich Ihnen wohl nicht schreiben. Jetzt stellt sich mir allerdings die Frage, liebe Margret Antonie Boveri, wie ehrlich haben Sie Ihre Entschuldigung damals gemeint? Wie ehrlich sind Ihre restlichen Texte, wenn Sie unter einem faschistischen Machthaber mal eben Ihre Meinung ändern und zur Konstruktion von Feindbildern beitragen? Bis Kriegsende sind Sie bei der Zeitung Das Reich geblieben, das sagt womöglich mehr über Sie aus als eine halbherzige Entschuldigung.

Für mich erscheinen Sie wie ein Blatt im Wind, das ohne eigene Überzeugungen mit allen anderen leichten Blättern und kleinen Ästen weggeweht wurde, vom Wind der im Dritten Reich wehte. Als Journalistin war es doch Ihre Aufgabe, so wie es heute die Aufgabe aller Journalistinnen und Journalisten ist, aufrichtig und im Sinne der Wahrheit zu berichten. Wenn Sie jedoch antisemitische Parolen verfassen, sich später dafür entschuldigen, aber nie eine drastische Entscheidung, wie eine Kündigung oder eine Auswanderung, umsetzen, kann ich Sie leider nicht sonderlich ernst nehmen. Sie verstricken sich in der Hängematte, die Sie im Dritten Reich zwischen zwei alten Bäumen gespannt haben. Sie wollten sich ausruhen, den einfachen Weg wählen, und haben stattdessen auf immer Ihre Glaubwürdigkeit verloren, für mich jedenfalls.

Ein Jammer, dass Sie sich nicht mehr selbst erklären können, wobei Sie das zu Lebzeiten ja bereits getan haben. Nur eben für mich nicht besonders zufriedenstellend.


Viele Grüße,

Ihre Monica Camposeo

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