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Das Big Data der Vergangenheit als Ressource für die Zukunft

Das "Time Machine Europe"-Konsortium war im Rennen um ein mit einer Milliarde Euro dotiertes FET-Flagship-Projekt im EU-Förderprogramm Horizon 2020 ganz weit vorne mit dabei. Genützt hat das vorerst nichts

TEXT: MONA SAIDI — vom 18.11.2020

Die Time Machine Organisation, kurz TMO, ist ein europaweites Netzwerk mit dem Ziel, das Kulturerbe zu digitalisieren und mithilfe von künstlicher Intelligenz für vielfältige Zwecke nutzbar zu machen. Dafür arbeiten überall in Europa unabhängig agierende, lokale Time-Machine-Ableger wie die "Time Machine Vienna". National sieht das so aus: Institutionen vernetzen sich, werden Mitglieder und führen ihre Archive und Datensammlungen wie archäologische Artefakte oder historische Dokumente zusammen.


Der Direktor des Diözesanarchivs St. Pölten, Thomas Aigner, ist Vizepräsident der TMO und in führender Funktion beteiligt. "Diese hat ihren Sitz in Wien und ging aus dem Time-Machine-Konsortium hervor, das 2019 eines der sechs Projekte vorantrieb, die in die letzte Runde im Wettbewerb um ein FET Flagship-Projekt aufgestiegen waren. Plötzlich fand sich neben Projekten zu den Themen Solartechnik, Batterien, Pharmazie, Life Sciences erstmals auch eines aus dem Bereich des kulturellen Erbes. Niemals zuvor war es einem solchen Projekt gelungen, in die höchste Liga der EU-Förderungen aufzusteigen", sagt Aigner. Die umfassende Transformation historischer Daten zu Big Data war zum Greifen nahe.


Den sechs Projekten der letzten Runde wurde für zwölf Monate eine Förderung in der Höhe von einer Million Euro bereitgestellt, eine sogenannte Coordination &Support Action, kurz CSA, um das finale FET Flagship-Projekt fertig zu konzipieren. Das Time-Machine-Konsortium entwickelte in diesem Rahmen von März 2019 bis Februar 2020 mithilfe von rund zweihundert Expertinnen und Experten in ganz Europa einen Plan, um das "Big Data der Vergangenheit" entstehen zu lassen und den lokalen Time Machines eine Struktur vorzugeben. Die dabei entstehende Datenmenge sollte nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für wirtschaftliche Zwecke genutzt werden. Die Ergebnisse dieser Arbeiten wurden im März 2020 in Form von "Roadmaps" finalisiert und veröffentlicht. Damit liegt erstmals eine umfassende Agenda vor, was es braucht, um Europas kulturelles Erbe auf lange Sicht vollständig in die digitale Welt zu transformieren. Zur Verblüffung aller blieb es jedoch bei diesen CSA-Projekten. Die Vergabe des versprochenen FET Flagship-Projekts blieb aufgrund von bis heute nicht ganz nachvollziehbaren Gründen aus. Dennoch war die Mühe nicht umsonst, da die "Roadmaps nun von der EU dazu verwendet werden, um die Forschungsförderungspolitik zu gestalten", sagt Aigner.


Wie geht es nun weiter? Die lokalen Time Machines bewerben sich weiter um Förderungen auf nationaler Ebene. Auf lange Sicht bereitet sich die Time Machine-Organisation, parallel zu eigenen Zielen und Projekten, auch auf die neue Ausschreibung der EU-Förderprogramme vor. Das Horizon Europe soll in den nächsten Jahren mit einem Budget von 100 Milliarden Euro ausgestattet werden. Im Rahmen des CSA-Projekts hat die TMO ein sogenanntes Ambassadors Network aus Expertinnen und Experten in fast allen Mitgliedsstaaten gegründet und verbreitet ihre Agenda auf nationaler Ebene. Finanziert wird die TMO primär aus Beiträgen ihrer mehr als 600 institutionellen Mitgliedern sowie von den Bundesministerien für Bildung, Wissenschaft und Forschung sowie Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport. "Für ein weiteres Rennen um eine große Förderung der EU stehen wir gut gerüstet in den Startlöchern", sagt Aigner.


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