Miriam Khan

Online-Redakteurin, Hamburg

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FDP, Grüne, CDU? So wählt die MOPO-Redaktion bei der Bundestagswahl

Es ist in diesem Jahr eine verdammt schwierige Entscheidung - wenige Tage vor der Bundestagswahl wissen noch immer knapp 40 Prozent aller Wahlberechtigten nicht, wem sie ihre Stimme geben. Auch in der MOPO-Redaktion haben sich die Mitarbeiter den Kopf darüber zerbrochen, für wen sie am Ende ihr Kreuz machen werden. Hier berichten sie, wie sie schließlich doch zu einer Entscheidung gekommen sind, warum einige von ihnen dieses Mal ganz anders wählen als sonst - oder warum sie immer noch grübeln.

 „Die Linken setzen als Einzige auf eine soziale Marktwirtschaft"


Ralf Dorschel (52), Politik-Redakteur: Es war einmal ein Land, in dem ließ es sich gut und gerne leben, und zwar für alle: Sichere Jobs, starke Gewerkschaften, faire Löhne, ordentliche Renten und ein solides soziales Netz für Menschen in Not.

Aber dann hat man uns versucht zu erzählen, so etwas sei überholt und total unbezahlbar. Die SPD verfiel dem neoliberalen Wahn, stieß mit ihrer Agenda 2010 Millionen Stammwähler vor den Kopf. Der Staat - also wir alle - wurde immer weiter geschwächt, ein paar Leute sacken immense Profite ein. Und jetzt kommen braune Höckes und Gaulands und richten den Hass der dabei zu kurz Kommenden gegen Minderheiten. Als hätten wir nichts gelernt aus Weimar.

Vielleicht besinnen sich die Sozialdemokraten irgendwann ihrer Geschichte. Bis dahin sind die Linken die einzige Partei, die auf eine soziale Marktwirtschaft setzt. Also das Erfolgsmodell. Meine Stimme haben sie.


„Die SPD muss erst wieder ihren Kompass finden"

Harald Stutte (52), Politik-Redakteur: Meine Zweitstimme werde ich am 24. September der CDU geben. Und mit der Erststimme den Direktkandidaten der SPD wählen - der Partei, der ich sonst stets beide Stimmen gegeben habe. Ist mir der Wechsel schwergefallen? Nein, es war ein nüchternes Abwägen. Um ehrlich zu sein: Angela Merkel begeistert mich nicht. Ich halte auch Martin Schulz für einen passablen Kandidaten. Doch an Merkel hat mich am Ende die Bilanz ihrer Regierungsarbeit überzeugt: Ob Flüchtlings-, Finanz- oder Euro-Krise, ob Ukraine-Krieg, Syrien oder Brexit - sie hat unser Land und Europa stets mit Vernunft und Augenmaß geführt. Und das ist in Zeiten von Putin, Erdogan, Trump und Orbán ein schier unschätzbares Gut. Merkel hat sich von dem türkischen oder russischen Autokraten nie in Extrempositionen drängen lassen.

Und für mich ganz wichtig: Sie hat Europa nie aus den Augen verloren. Sie hat dem Drängen aus den eigenen Reihen widerstanden, hat als Antwort auf die genannten Krisen eben nicht die nationale egoistische Karte gespielt. Mich überzeugt ihre uneitle und nüchterne Art, Politik zu gestalten. Und ich wünsche ihr einen neuen Partner, möglichst die Grünen. Damit meine SPD in der Opposition wieder ihren Kompass findet.


„Ich bin seit 24 Jahren wahlberechtigt. Und hätte fast zum ersten Mal CDU gewählt"

Maik Koltermann, stellvertretender Chefredakteur: Das Unglaubliche geschah vor etwa 12 Monaten. „Kann es sein, dass ich Merkel wählen muss?", fragte ich meine Frau. Und die war noch nicht mal überrascht. Seit 24 Jahren bin ich wahlberechtigt - noch nie zuvor hatte ich in Erwägung gezogen, die Union zu wählen. Mein Herz schlägt linksliberal. Ich glaube an Solidarität. Und daran, dass der Kapitalismus gezähmt werden muss. Und an Umweltschutz. Das war schon immer so. Und für diese Anliegen fühlte ich mich bei anderen Parteien besser aufgehoben.

Doch dann begannen die Angriffe auf die Kanzlerin wegen ihrer Flüchtlingspolitik. Dann begannen populistische Kräfte die Axt an Demokratie, Menschlichkeit und Anstand zu legen. Und je mehr Seehofer, Petry und Co. Merkel ins Visier nahmen, desto stärker fühlte ich mich zu einem Zeichen der Solidarität mit ihr genötigt. Auch weil sie enorm standfest blieb, als der Druck schon unmenschlich zu sein schien. Auch weil sie mit ihrer rational-trockenen Art ein erholsamer Gegensatz zu den Trumps, Erdogans und Gaulands dieser Welt ist. Und weil ich sie für integer halte: Die macht, was sie für richtig hält.

CDU wählen - das Thema ist inzwischen trotzdem vom Tisch. Die Kanzlerin ist auf meine Solidarität nicht mehr angewiesen. Und weil die halbgare Konsens-Suppe, mit der die CDU es nun allen recht machen will, vom Stammtisch-Ausländerfeind bis zum großstädtischen Liberal-Konservativen, zwar grundsätzlich funktioniert, aber am Ende auch nicht taugt, um wirklich Visionäres zu leisten. Also SPD? Sorry, nein. Auch wenn das Programm in weiten Teilen sinnvoll ist: Eine weitere Runde Große Koalition wird die Genossen weiter marginalisieren und die Demokratiefeinde weiter wachsen lassen. Ich wähle jetzt, unter Bauchschmerzen, die Grünen. Ich fand Özdemir im Wahlkampf überzeugend. Ich halte die Grünen bei den Fragen zur Flüchtlingspolitik und Gerechtigkeit für verlässlich. Und sie sind die Einzigen, die sich auch angesichts der aktuellen Lage dem Umweltschutz verschrieben haben. Und eins ist klar: Wenn Klima, Flora und Fauna kollabieren, bringt uns auch der ausgetüfteltste Plan zur gesellschaftlichen Neuordnung nix mehr.

Schwarz-Grün im Bund könnte eine praktikable Lösung für die kommenden vier Jahre sein. Notfalls eben auch mit Lindners FDP. Und es ist die Chance für die SPD in der Opposition, ihr Profil zu schärfen und ihr Personal zu entwickeln, um 2021 eine schlagkräftige Alternative mit echter Option auf die Kanzlerschaft zu werden.


„Ich mag unsere Kanzlerin. Aber Horst Seehofer? Bloß nicht!"

Stephanie Lamprecht (49), Lokalredakteurin: Diese Wahl ist meine Qual. Der Grund: Ich erwäge, Angela Merkel zu wählen, die leider in einer Partei ist, die ich nicht wählen will. Aber ich habe Sorge, dass viele der AfD-Trillerpfeifenköpfe früher die CDU gewählt haben. Und weil die nun wegfallen, müssen solche Leute wie ich einspringen. Menschen, die sich früher eher eine Axt ins Bein gehauen hätten, bevor sie die CDU wählen. Ich finde, Angela Merkel hat als einzige Politikerin in Europa die humanitären Werte der Gemeinschaft hochgehalten, als sie 2015 die Grenzen für Flüchtlinge öffnete. Alle anderen haben sich das Elend am Budapester Bahnhof doch ungerührt angeguckt.

Sie, die sonst erfreulich emotionslos ist, ist gegen jede politische Vernunft der Menschlichkeit gefolgt und wurde dafür von allen, besonders von der ach so christlichen CSU, geprügelt. Und das ist mein Dilemma: Ich kann meine Stimme doch nicht einem Lager geben, in dem so ein unfassbarer Quatsch wie Herdprämie und Maut entwickelt wird. Horst Seehofer? Dann doch lieber Axt ins Bein!

Die FDP kann ich nicht wählen, weil die immer noch glauben, dass die Welt ein besserer Ort wird, wenn man die Banken einfach machen lässt. Die Linke könnte ich vielleicht wählen, weil ich finde, die machen sich gut als Opposition. Was linke Anfragen an die Bundesregierung so alles zutage gebracht haben - Respekt. Oder doch Rot-Grün wie sonst immer. Aber was wird dann aus Angela? Es ist ein Kreuz mit dem Kreuz.


„Die Liberalen haben von allen den größten Tatendrang"

Till Wendt (23), freier Mitarbeiter: Am Wahlsonntag gebe ich beide Stimmen der FDP. Gleich vorweg: Um etwaige Steuersenkungen geht es mir als Student dabei sicher nicht, zumindest würde ich davon kaum profitieren. Allerdings stört mich der Status quo in der Bundespolitik, den die Große Koalition anscheinend nur verwalten will. Bei den Liberalen sehe ich ökonomischen Sachverstand, Tatendrang und vor allem den Optimismus, der den derzeitigen Oppositionsparteien völlig abzugehen scheint. Ganz praktisch erhoffe ich mir von einer Regierungsbeteiligung der FDP einen schlanken und effizienten Staat, mit dem ich im Alltag möglichst wenig zu tun habe. Angesichts der digitalen Herausforderungen scheinen die anderen Parteien wie vor Angst erstarrt - wo bleibt der Digitalisierungsminister?

Außerdem bin ich für Studiengebühren, da die Hochschulen jeden Cent brauchen können und Akademiker im späteren Leben ohnehin statistisch mehr verdienen - wieso sollte man ein Studium also nicht als Investment betrachten und sich an den Kosten beteiligen? Auch liegt mir der Ansatz näher, Einzelpersonen und Familien die Altersvorsorge - etwa durchs Eigenheim - zu vereinfachen, anstatt alle Abgaben hochzuschrauben und am Ende der Erwerbstätigkeit alle ins soziale Auffangnetz fallen zu lassen. Wichtigster Punkt: Deutschland braucht ein zeitgemäßes Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild. Keine Extrem-Parolen im Sinne von „Alle rein" oder „Alle raus".


„Es muss eine Partei mit am Tisch sitzen, der unser Klima wichtig ist"

Miriam Kraus (29), Online-Redakteurin: Es wird im Wahlkampf immer viel darüber geredet, was sich in der Politik und in Deutschland in Zukunft ändern soll. Aber wann realisieren wir endlich, dass es eine „Zukunft" nicht geben wird, wenn wir weiter so verantwortungslos mit unserem Planeten umgehen? Das TV-Duell hat ganz klar gezeigt, welche Rolle das Thema Umweltschutz im Moment politisch einnimmt: nämlich keine. Ich wähle Grün, weil ich möchte, dass eine Partei mit am Tisch sitzt, der der Erhalt unserer Lebensgrundlage wichtig ist. Die sich für Umweltschutz und Nachhaltigkeit einsetzt. Denn das sind eben keine Öko-Spinnereien - und der Klimawandel ist auch keine „fake news". Er betrifft uns alle.

Was mir bei den Grünen außerdem gefällt: Sie sind gegen eine Flüchtlingsobergrenze. Das Gerede darüber ist für mich ohnehin populistischer Schwachsinn. Kein von Krieg und Verfolgung bedrohter Mensch wird sich von einer willkürlich festgelegten Zahl aufhalten lassen. Eine Obergrenze löst nicht die Probleme, die die Menschen überhaupt erst in die Flucht treiben. Das ist es nämlich, worüber wir reden müssen - und das tun die Grünen.

Letzter Punkt: soziale Gerechtigkeit. In vielen Berufen verdienen Frauen immer noch weniger als Männer - obwohl sie den gleichen Job machen. Und wieso zahlen Politiker und Beamte eigentlich keine Rentenbeiträge? Rückständige Relikte wie diese gehören sofort abgeschafft.

Und wenn mir jetzt einer mit Sprüchen kommt wie „Aber die Grünen haben in der Vergangenheit ...", dann kann ich nur sagen: Willkommen in 2017!


„Martin Schulz wäre der bessere Kanzler - leider hat er keine Chance"

Olaf Wunder (52), Chefreporter: Seit meinem 17. Lebensjahr bin ich Sozialdemokrat. Also seit 35 Jahren. Ich habe mal irgendwann mit der Zweitstimme die FDP gewählt (aber das war zu sozial-liberalen Zeiten, als man die Gelben noch wählen konnte). Ansonsten gab es nie einen Zweifel, wo mein politisches Herz schlägt. Links.

Anscheinend sogar noch weit mehr links, als ich dachte, denn als ich gestern mal den Wahl-O-Maten ausprobierte, hat das Ergebnis mich doch überrascht: Demnach müsste ich eigentlich nicht dem Schulz, sondern Sahra Wagenknecht meine Stimme geben. Platz zwei: Grüne. Platz drei: CDU. Und erst auf dem vierten Rang: SPD.

Aber dieses Resultat bestärkt mich nur in meiner Überzeugung, dass der Wahl-O-Mat Mist ist. Ich bleibe Stammwähler der SPD. Ich bin überzeugt: Schulz wäre der bessere Kanzler, weil es endlich vorbei sein muss mit dem Auf-der-Stelle-Treten. Es gibt viel zu tun: In Sachen Digitalisierung sind wir ein Entwicklungsland. Die soziale Gerechtigkeit nimmt Tag für Tag ab, weil Arme ärmer und Reiche immer reicher werden.

Leider wird Schulz nicht die Chance bekommen zu beweisen, dass er es besser kann. Diesmal noch nicht. Das liegt vor allem an der Person Angela Merkel. Denn bei ihr ist es anders als bei Kohl, Stoiber oder Strauß: Ich wäre lieber gestorben, als einen von denen zu wählen. Merkel dagegen finde ich gar nicht so verkehrt. Das sehen wohl viele so.

Deshalb: Solange sie antritt, wird sie auch Kanzlerin. Ist eben so.

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