Miriam Khan

Online-Redakteurin, Hamburg

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Top-Favoritin über 800 Meter: Ein Problem namens Caster

Caster Semenya (25) ist ein Problem. Ein Problem für den Leichtathletikverband IAAF und das IOC. Die 800-Meter-Läuferin ist in Rio Top-Favoritin auf Olympia-Gold. Dass sie überhaupt bei den Frauen antreten darf, stößt allerdings vielen Konkurrentinnen sauer auf.

Seit Jahren gibt es Gerüchte darüber, dass Caster Semenya intersexuell sein soll. Als intersexuell werden Menschen bezeichnet, die genetisch, hormonell oder anatomisch nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden können. Anders ausgedrückt: Intersexuelle sind weder männlich noch weiblich, sie sind beides.

Im Fall von Semenya wird vermutet, dass die 25-jährige Südafrikanerin eine Vagina, aber keine Eierstöcke hat. Stattdessen unvollständig entwickelte, im Bauchraum liegende Hoden. Ihr Körper produziert nicht nur Östrogen, sondern auch Testosteron. Ein bisschen Frau, ein bisschen Mann.

Semenya selbst hat längst entschieden, wer sie ist. Seit ihrer Kindheit lebt sie als Frau, seit einigen Jahren offen lesbisch in einer Beziehung mit Violet Raseboya (30). 2015 heirateten die beiden. Kein Problem.

Ein Problem ist sie allerdings für die Leichtathletik. 1:55,45 Minuten - lange war keine Frau mehr so schnell die 800 Meter gelaufen wie Semenya bei der WM 2009 in Berlin. Die damals 18-Jährige deklassierte die Konkurrenz mit mehr als zwei Sekunden Vorsprung.

Und die IAAF musste sich plötzlich fragen lassen, wie dieser burschikose Teenie aus Südafrika allen davonlaufen kann. Auf der anschließenden Pressekonferenz trat dann auch nicht Semenya, sondern Pierre Weiss, damals Generalsekretär, vor die Kamera. Es gebe „Zweifel, dass diese Lady eine Frau ist", sagte er.

Der Verband ließ außerdem durchblicken, dass Semenya bereits untersucht worden sei. Mit welchem Ergebnis, wurde nicht bekannt. „Gott hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Ich bin, wer ich bin und ich bin stolz auf mich", sagte Semenya nach ihrem Sieg. Kurz darauf erkannte man ihr die WM-Medaille wieder ab.

Doch sie ließ sich nicht beirren, trainierte weiter. Bis die IAAF 2011 eine neue Testosteron-Obergrenze für Sportlerinnen festlegte. 2012 übernahm das IOC diese Regelung für die Spiele in London. Semenyas Werte lagen weit darüber. Die Verantwortlichen boten der Läuferin aber einen „Ausweg": Mit Hormonpräparaten solle sie ihren Testosteronspiegel senken, dann könne sie in den Frauenwettkämpfen antreten, hieß es. Semenya schluckte die bitteren Pillen - und lief trotzdem zweimal zu Silber.

Dann stagnierten ihre Zeiten plötzlich. Semenya ließ zu dieser Zeit keine Party aus, baute körperlich ab, verletzte sich am Knie. Zwei Minuten brauchte sie 2015 im Schnitt für die 800 Meter. Und die Kritiker fühlten sich bestätigt: Ihr Erfolg sei nur auf die hohen Testosteronwerte zurückzuführen gewesen, hieß es. Doch dann hob der Internationale Sportgerichtshof (CAS) die Testosteron-Obergrenze wieder auf. Semenya setzte die Hormone ab, wechselte den Trainer - und lief wieder Bestzeiten.

Bei ihrem ersten Auftritt in Rio am Mittwochnachmittag gewann sie ihren Vorlauf souverän. Experten rechnen damit, dass sie in der Nacht zu Sonntag den ältesten Weltrekord der Leichtathletik, 1983 aufgestellt von der mutmaßlich dopingverseuchten Jarmila Kratochvílová, knacken kann.

Doch ihr Sieg dürfte IAAF und IOC erneut vor das Problem stellen: Ist es überhaupt fair, Intersexuelle gegen Athleten ohne Hormonvorteil antreten zu lassen? Und wenn nicht: Gegen wen sollte man sie stattdessen antreten lassen?

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