Mirella Sidro

freie Journalistin, Augsburg

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Artikel

Kommunalwahlen in der Türkei: Ein bisschen Frieden

Der Istanbuler Künstler Erdem Gündüz wurde international berühmt, als er stundenlang schweigend da stand und so seinen Protest im Gezi-Park äußerte.

...eine moralische Türkei

Die Türkei wählt. Am Sonntag bestimmen die Türken neue Bürgermeister und Regionalregierungen. In vielen anderen Ländern sind Kommunalwahlen eher demokratische Pflichtübung. Doch die Türkei ist ein gespaltenes Land im Umbruch. Wenige Tage vor den Wahlen wusste sich der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan nicht anders zu helfen, als Twitter und YouTube sperren zu lassen. Auf den Plattformen waren immer wieder Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung verbreitet worden. Vor allem aber dienten sie der kritischen Zivilgesellschaft als Sprachrohr.

Seit Jahren arbeitet Erdogan darauf hin, aus der Türkei ein neues Land zu machen. Ein moralisches - sagt er. Ein unfreies - sagen viele junge Menschen. Die Kluft zwischen Regierung und Gesellschaft offenbarte sich auf erschreckende Weise im vergangenen Sommer. Zu Tausenden gingen die Menschen auf die Straße. Die Regierung reagierte mit harter Hand auf die Proteste. Wir trafen zehn Menschen, die dabei waren. Sie erzählen, warum sie damals auf die Straße gingen. Wie sich ich ihr Leben seitdem verändert hat. Und welche Zukunft sie sich für ihre Heimat wünschen.

1. Volkan Aslan, 34, Künstler

Ich hielt mich im Ausland auf, als die Proteste begannen. Über Twitter und Facebook habe ich die Ereignisse verfolgt. Nach den ersten schweren Eingriffen seitens der Polizei brach ich meine Reise ab und kehrte nach Istanbul zurück. Bei meiner Rückkehr am 1. Juni war ich bis zum Ende der Proteste im Gezi-Park dabei. Ich half, indem ich alltägliche Aufgaben übernahm, wie Müll einzusammeln oder aufzuräumen. Der Gezi-Park ist die einzig noch verbliebene Grünfläche in Istanbul. Ihn in ein Einkaufszentrum zu verwandeln wäre unsinnig und für mich nicht hinnehmbar. Die Auszehrung der Natur durch die Regierung beweist ihre Hochmut und ihre Inkompetenz. Die Polizei zeigte auch gleich zu Beginn der Proteste ihr wahres Gesicht. Als die ersten Demonstranten noch friedlich ihr Essen mit ihr teilen wollten, antworteten diese mit Wasserwerfern und Tränengas. Ihr Vorgehen gegen die Demonstranten wurde immer härter. Einige Male wurde auch ich das Ziel von Gummigeschossen. Die Polizei setzt die Unmenschlichkeit der Regierung um. Die Gezi-Proteste sind lehrreich für mich. Sie haben zwar mein Leben nicht verändert, aber meinen Blick auf das Leben. So geht es vielen Menschen. Wir haben voneinander und übereinander gelernt: zusammen zu leben, miteinander zu reden, einander zu verstehen. Dieses Gefühl mit anderen zu teilen, ob jung oder alt, ob reich oder arm, egal welcher Konfessionen, war für mich eine besondere Erfahrung. Die Unterschiede untereinander zu akzeptieren und dies öffentlich zu erleben, war wichtig. Dieses Gefühl habe ich noch nie empfunden und ich hätte es gern früher erlebt.

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