Frau Komfort-Hein, Herr Drügh, das Magazin „Der Spiegel" hat jüngst den fortschreitenden Bedeutungsverlust der Germanistik heraufbeschworen. Sie waren zentrale Protagonisten des Artikels und haben dem Autor danach in der „F.A.Z." widersprochen. Inzwischen tobt eine Feuilleton-Debatte. Wie kam es zu diesen Veröffentlichungen?
SUSANNE KOMFORT-HEIN: Es gab eine Anfrage an unsere Pressestelle. Darin hieß es, dass der „Spiegel"-Autor Martin Doerry an einer großen Recherche über die Lage der Germanistik arbeite. Wir haben ausführlich begründet, warum wir nicht von einer Krise sprechen wollen, sondern dass dieser Krisen-Diskurs der Germanistik schon seit Jahrzehnten mit wechselnden Schauplätzen geführt wird. Auch haben wir darüber gesprochen, dass und wie unser Fach sich ständig neu erfunden hat und dass diese Disziplin ihre Gegenstände heute nicht mehr so nationalphilologisch einordnen kann wie früher.
Davon steht aber nichts im veröffentlichten Artikel. Sie werfen dem „Spiegel"-Journalisten nun vor, Ihre Zitate verkürzt wiedergegeben und aus dem Kontext gerissen zu haben.HEINZ DRÜGH: Es gibt eine Reihe bildungspolitischer Probleme, die die Geisteswissenschaften allgemein betreffen, und nicht nur die Germanistik. Das Gespräch mit Herrn Doerry darüber war auch gut und ausführlich. Er hat es dann aber vorgezogen, uns in seinem Text als Comic-Figuren vorzuführen, die so relevante Dinge äußern, wie dass ihre Studenten ständig auf ihr Handy schauen.
Können Sie ein Beispiel der von Ihnen monierten Verzerrung nennen?DRÜGH: Wenn ich mit einem Satz zitiert werde wie: „Viele meiner Studenten finden schon was, und sei es eben irgendwas mit Werbung" dann heißt das, wenn man das so isoliert liest: „Keine Ahnung, was aus denen wird, ist mir auch einigermaßen egal." Ist es aber nicht. Nicht wenige unserer Absolventen finden gute Jobs, wir sind uns aber auch bewusst, dass manche sich erst einmal in eine Welt der unbezahlten Praktika, der prekären Anstellungsverhältnisse begeben oder mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten müssen. Das war ein tendenziöser Bericht, der in eine bestimmte Richtung gehen sollte.
Wie stehen Sie zur Schlussfolgerung des Artikels, dass es kaum noch bedeutende Philologen gibt, die sich in öffentliche Debatten einklinken?KOMFORT-HEIN: Wir sind natürlich gefordert, uns in große Themen einzumischen und natürlich muss man das, was man tut, vermitteln können. Wenn man einer wissenschaftlichen Disziplin allerdings, wie hier geschehen, zum Vorwurf macht, dass sie eine Fachterminologie besitzt, gerät das auch ins Fahrwasser populistischer Zumutungen an die Wissenschaft. Die Strukturen der Öffentlichkeit haben sich seit den 1960er Jahren, die Herrn Doerry als Maßstab dienen, stark verändert. Unsere Fachkultur hat sich ebenso deutlich verändert. Die Erwartung universeller Deutungshoheit weniger „großer Köpfe" in einer Disziplin, die sich dann auch noch als zentral für die kulturelle Selbstverständigung begreift, ist nicht zeitgemäß.
DRÜGH: Bis in die 1960er Jahre war die Germanistik eine Wissenschaft mit der Lizenz für die großen Menschheitsfragen. Es hat aber auch etwas angenehm Demokratisches, wenn nicht mehr männliche Germanistikprofessoren vom Katheder herunter über das Wahre, Gute und Schöne belehren.
Was hat Sie beide seinerzeit bewogen, Germanistik zu studieren?KOMFORT-HEIN: Das war das Interesse an der Literatur und die Tatsache, dass sich das Studium gut mit Philosophie und Sozialwissenschaften verknüpfen ließ. Als ich am Anfang der 1980er Jahre mit dem Studium begonnen habe, hatte Germanistik einen anderen Status und galt als anspruchsvolle, ein kritisches Bewusstsein fördernde Disziplin. Ich muss gestehen, dass ich mir zu Beginn des Studiums über ganz konkrete berufliche Perspektiven noch keine Gedanken gemacht habe.
DRÜGH: Ich hatte einen guten Deutsch- und einen guten Philosophielehrer. Man sollte nie vergessen, wie wichtig Lehrer für den individuellen Weg sind. Aber wie Susanne sagt, ging man damals als Germanist in dem Bewusstsein an die Uni, an kulturell wichtigen Gegenständen zu arbeiten und kritisches Denken einzuüben. Natürlich war das schon damals ein Neigungsstudium. Dass man Professor wird, ist nichts, was man planen kann oder sollte. Das ist mit viel zu vielen Zufällen verknüpft.
Wie schätzen Sie rückblickend das Leistungsniveau Ihrer damaligen Kommilitonen ein?DRÜGH: In der Schule gehörte man zu den wenigen Literatur-Freaks. An der Uni waren plötzlich zig kluge Leute, von denen gefühlt viele mehr wussten als ich. Es war herausfordernd und ziemlich aufregend.
KOMFORT-HEIN: Ich hatte schon den Eindruck, man wird ständig herausgefordert, weil viele so klug und eloquent waren. Da herrschte schon ein bestimmtes Klima. Mich hat es geärgert, wenn ich wenig verstanden habe, wie etwa in meiner ersten Kant-Vorlesung. Dem wollte ich abhelfen.
Herr Drügh, Sie beschäftigen sich seit Jahren mit Pop-Phänomen in der Literatur. Was läge näher als Ihre Forschung auf das derzeitige Aufkommen des Populismus zu fokussieren?DRÜGH: Ich habe in der Tat gerade ein Forschungsprojekt zu gegenwärtiger Ästhetik beantragt, in dem eine Untersektion auch die Kommunikation in sozialen Netzwerken behandelt. Dabei geht es unter anderem darum, ob Twitter-Kommunikation notwendigerweise zu Trump führt. Ich gebe zudem eine wissenschaftliche Pop-Zeitschrift heraus, habe ein Buch über die Ästhetik des Supermarkts geschrieben und bin ganz froh, nicht mehr stets so schreiben zu müssen wie in meiner Doktorarbeit oder Habilitationsschrift - das hat Herrn Doerry freilich nicht so sehr interessiert, so sollten wir bei ihm nicht vorkommen.
Im „Spiegel" wird auch beklagt, dass alljährlich Tausende Germanisten auf den Arbeitsmarkt gespült werden und irgendwo „versickern". Müsste Ihrer Ansicht nach eine Abkehr vom Massenstudiengang erfolgen?DRÜGH: Ja, es gibt das Problem, dass so viele Studierende in den Bachelor einsteigen, die wir ob der schieren Menge nicht immer seriös genug betreuen können. Man hat den Eindruck, dass weder die Bildungspolitik noch die Unis nachdrücklich genug daran interessiert sind, dass das anders wäre. Zugleich ist das Bachelor-Studium sehr kurz. Viele Absolventen sind danach noch nicht weit genug gekommen auf dem Weg, den jeder Germanist einschlagen kann, ob man Wissenschaftler werden will oder nicht: mit Lust und Sensibilität lesen, kritisch und originell denken, genau und elegant schreiben. Da werden wir in unserer Arbeit durch den Bologna-Prozess nicht gerade begünstigt, das muss man ganz klar sagen.
KOMFORT-HEIN: Wir haben inzwischen ein System, mit dem alle Beteiligten unzufrieden sind. Im Grunde genommen fehlt es dadurch an Flexibilität und Förderung von Selbständigkeit. Die Klagen über den Bologna-Prozess sind ja allgegenwärtig. Bologna schafft ein Effizienz-Kriterium, bei dem vor allem in Arbeitszeit und nicht in Qualität gemessen wird. Das ist gewissermaßen die Währung, die wir in einem ziemlichen Spagat mit komplexen Inhalten vermitteln müssen, und das unter den Bedingungen, die Heinz Drügh gerade geschildert hat. Darüber hinaus haben sich weder das Versprechen internationaler Mobilität noch das Ziel, für den Arbeitsmarkt besser auszubilden, erfüllt.
Wie zufrieden sind Sie mit den Lehrbedingungen, der Motivation sowie der fachlichen Qualität Ihrer Studierenden?DRÜGH: Manchmal fehlt es ihnen ein bisschen an Lese-Erfahrung oder -Lust. Die Leute kommen nicht hierher, wir drücken ihnen Wilhelm Meister in die Hand, und sie sagen: Super, ich wollte schon immer mal sperrige 800 Seiten lesen. Diese Disziplin, das Lesen solch faszinierender aber auch anspruchsvoller Bücher richtig zu lernen, kostet Zeit. Auch im Lehramtsstudium geht aus meiner Sicht die Bedeutung der fachwissenschaftlichen Ausbildung zurück. In einigen Bundesländern folgt auf ein Bachelor-Studium, das die fachwissenschaftliche Ausbildung garantieren soll, ein sogenannter Master of Education als Standard der Lehrerausbildung. Wie kurz ein Bachelor-Studium ist und was das bedeutet, haben wir eben besprochen.
KOMFORT-HEIN: Wir müssen dafür sorgen, dass wir in der Lehrerbildung auch in Zukunft die fachwissenschaftlichen Kompetenzen unbedingt weiter einfordern und stärken. Was Sie mit Ihrer Frage angesprochen haben, ist jedoch kein spezifisches Problem unserer Disziplin. Man muss generell viel Feedback geben, beraten, sich Zeit für die Studierenden nehmen. Um entsprechend Nachwuchs zu schaffen, müssen wir in die Lehre investieren. Dieser Punkt darf im Rahmen der sich auf Spitzenforschung richtenden sogenannten Exzellenzinitiativen der Universitäten nicht vergessen werden.
Das schrieb „Der Spiegel"Laut eines „Spiegel"-Artikels vom 4. Februar spielt die Expertise von Germanistikprofessoren in öffentlichen Debatten „keine Rolle". Der Autor des Artikels greift die These auf, dass viele der derzeit
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