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Journalist in Türkei inhaftiert

Ilkay Yücel, die Schwester des inhaftierten "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel.

Seit einem Monat befindet sich „Welt"-Journalist Deniz Yücel in türkischer Haft. Seine Schwester Ilkay hat ihn vor einer Woche im Gefängnis besucht. Sie kämpft für die Freilassung ihres Bruders und ist wider Willen zur medialen Schlüsselfigur geworden.
Vor einer Woche besuchte die Flörsheimerin ihren in der Türkei inhaftierten Bruder Deniz. Auch wenn die Ungewissheit um das Schicksal des Journalisten seine Schwester belastet, will sie den Kampf nicht aufgeben.

Flörsheim. Fast auf den Tag genau einen Monat ist es her, dass der „Welt"-Korrespondent Deniz Yücel in der Türkei festgenommen wurde. Seither ist auch das Leben seiner Schwester Ilkay aus den Fugen geraten. Eben noch sprach sie bei einer Mahnwache vor der Flörsheimer Stadthalle. Jetzt sitzt sie in ihrem nur wenige Meter entfernten Wohnzimmer und erzählt, wie es ihrem Bruder geht, der derzeit in einem Gefängnis rund 70 Kilometer westlich von Istanbul festsitzt. Bilderstrecke Mahnwache in Flörsheim für den Journalisten Deniz Yücel

Seit Wochen ringen deutsche Spitzenpolitiker um Deniz Yücels Freilassung. In Deutschland ist der streitbare Journalist zur Symbolfigur der gefährdeten Pressefreiheit geworden. In türkischen Medien wird er als Terrorist und Unterstützer der kurdischen PKK verunglimpft. „Ich halte die diplomatische Linie der Bundesregierung für vernünftig", sagt Ilkay Yücel. Um ihrem Bruder nicht zu schaden, äußert sie sich äußerst zurückhaltend zur Lage in der Türkei.

Im Mittelpunkt der Medien

Doch da sich ihr Bruder nicht gegen die Anschuldigungen wehren kann, ist die 42 Jahre alte Diplom-Politologin zum öffentlichen Sprachrohr der „#FreeDeniz"-Kampagne geworden. Wo sie auch auftritt, wird sie von Fernsehkameras umringt. Ständig klingelt ihr Telefon. Am 5. März wurde Ilkay Yücel live aus Istanbul in die Sendung „Anne Will" zugeschaltet, wo sie dem Publikum um Justizminister Heiko Maas schilderte, wie es ihrem Bruder geht.

Vor einer Woche durfte Ilkay Yücel ihren Bruder im Gefängnis besuchen. Von einer Glasscheibe getrennt, hatten die Geschwister eine Stunde Zeit, um sich zu unterhalten. „Die Zeit ist sehr begrenzt, und man möchte so viel wie möglich austauschen. Wir waren alleine. Aber ich nehme an, dass jemand durch den Hörer mitgehört hat", schildert Yücel den Gesprächsverlauf. Ihrem Bruder gehe es den Umständen entsprechend gut.

Quälende Ungewissheit

Ilkay Yücel und ihre Eltern dürfen Deniz im Gegensatz zu Vertretern deutscher Behörden besuchen, weil sie Verwandte ersten Grades sind. Doch auch sie erfahren das Meiste nur aus den Medien. „Meine Eltern schauen ständig deutsches und türkisches Fernsehen. Die Berichte sind sehr unterschiedlich", sagt Ilkay Yücel. In all der Zeit habe sich das Auswärtige Amt lediglich zweimal bei der Familie gemeldet. „Das könnte ein bisschen mehr sein", wünscht sich die Schwester des Inhaftierten.

Der Umstand, dass ihnen die Hände gebunden sind und sie nur hoffen können, dass Deniz bald entlassen wird, belastet die gesamte Familie. „Es ist ein absoluter Ausnahmezustand. Meine Töchter sind alt genug, um sich ein paar Tage selbst zu versorgen. Aber ich komme nicht mal dazu, einzukaufen", sagt Ilkay Yücel. Ihre Sätze sind kurz und präzise. Während des Gesprächs wirkt sie erschöpft, doch nicht resigniert.

Auch wenn die Sorge um ihren Bruder sie seit Wochen rund um die Uhr begleitet, versucht die Diplom-Politologin, Ruhe zu bewahren. „Ich lasse es auf mich zukommen, was passiert. Es kann ja auch nicht ewig so weitergehen", sagt sie.

Auf die Frage, weshalb ihr Bruder trotz der äußerst angespannten Situation in der Türkei recherchierte, antwortet Ilkay Yücel: „Er war sich dessen bewusst, dass seine Arbeit ein gewisses Risiko darstellt. Aber Deniz ist nicht nur deutscher Staatsbürger. Er ist auch deutscher Journalist, der für eine namhafte Zeitung schreibt." Daher beeinträchtige seine Festsetzung direkt die deutsche Pressefreiheit.

Dass ihr Bruder sich freiwillig bei der Polizei meldete, als er vor vier Wochen dazu aufgefordert wurde, wundert seine Schwester nicht. „Anfangs hieß es, er ist im Polizeipräsidium und muss eine Nacht da bleiben. Dann hat es noch eine Nacht gedauert und wurde immer suspekter", erinnert sich Ilkay Yücel an den Anfang der Affäre um ihren Bruder. Die Türkei habe er zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr verlassen können. „Am Flughafen wäre er sofort verhaftet worden", mutmaßt sie. Bereits vor einem Jahr sei Deniz Yücel ins Visier türkischer Behörden geraten. Damals habe er noch ausreisen können und sei erst einige Monate später wieder zurückgekehrt, um seine Arbeit fortzusetzen.

Handeln statt Ohnmacht

Auch wenn Ilkay Yücel ahnt, dass sie aus der Ferne nicht viel zur Freilassung ihres Bruder beitragen kann, ist für sie derzeit „alles andere zweitrangig". Viel Zeit für ihre ebenfalls in Flörsheim lebenden Eltern und ihre beiden Töchter bleibe zwar nicht. Auch sei der mediale Rummel gewöhnungsbedürftig. Doch: „Ich mache das ja nicht, um mich selbst zu inszenieren, sondern weil ich als seine Schwester den Fall weiter in der Öffentlichkeit halten muss", sagt Ilkay Yücel.

So bald wie möglich möchte Familie Yücel erneut in die Türkei reisen, um Deniz im Gefängnis zu besuchen. Wie lange er noch in Haft bleiben muss, darüber möchte seine Schwester allerdings nicht spekulieren. „Diese Ungewissheit ist schwierig, auch wenn die große Unterstützung uns Kraft gibt", sagt Ilkay Yücel.

Sie selbst habe nicht damit gerechnet, dass die Lage in der Türkei so schnell kippen könnte. „Ich weiß nicht, was nach dem Verfassungsreferendum geschieht und ob es gut oder schlecht für Deniz wäre, wenn das Referendum scheitert", sagt die Schwester des Inhaftierten. Doch viele Türken hätten inzwischen Angst, ihre Meinung öffentlich zu äußern. „Eine Cousine hat mir erzählt, dass bei der Arbeit alle für Erdogan sind. Die Leute haben Angst, auf Facebook Beiträge zu posten oder zu liken. Allein das kann dazu führen, dass man seinen Job verliert", schildert Yücel die angespannte Stimmung in der Türkei.

Gerade vor diesem Hintergrund sei der anhaltende Protest gegen die Inhaftierung Deniz Yücels mehr als ein symbolischer Akt. Schließlich teilen Hunderte seit Monaten im Gefängnis sitzende türkische Journalisten das Schicksal des „Welt"-Korrespondenten.

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