Sophie Hunger ist die Weltenbummlerin des Indie-Pop. Vor kurzem erschien ihr neues Album »Molecules«
Das Musikbusiness ist nicht eben reich an interessanten und
originellen Künstlern. Sophie Hunger ist eine der wenigen, deren
Werdegang Neugier und Anteilnahme provoziert. Dass die Kosmopolitin den
kommerziellen Versuchungen der Musikindustrie nicht erlegen ist, sich
nicht vollständig zum Produkt hat umbauen lassen, ist künstlerisches
Verdienst. Hungers Kompositionen verstehen sich auf Eingängigkeit und
schwelgerische Poesie. Doch markiert Schönheit in Hungers Kosmos nicht
selten Distanz.
Drei Jahre nach dem letzten Studioalbum darf man
sich nun auf das neue Werk freuen: »Molecules« erschien Ende August.
2015 legte die Weltenbummlerin des Indie-Pop mit »Supermoon« ein
stilistisch äußerst vielfältiges Album vor, welches in die Ferne
schweifte, um die eigene Mitte zu finden. Das war weder souveräner
Urbanismus noch universalistischer Folk-Pop, sondern Abschweifung,
Experiment, Exzentrizität als Selbstvergewisserung.
Bei der umtriebigen Schweizerin ist eine Menge passiert.
Seit drei Jahren lebt Sophie Hunger in Berlin. Das Künstlermekka hat
deutliche Spuren auf dem neuen Album hinterlassen. Geografischer oder
vielmehr biografischer Schlüssel ist der Song »Electropolis«, eine
sehnsuchtsvolle, von dunklen Drones getriebene Hymne an das Nachtleben.
»Berlin, deutsches Zauberwort«, haucht die Sängerin mit ehrfürchtiger
Ergriffenheit ihr Bekenntnis: »Your light shines only in the dark.« Die
Gegensätze von Tag und Nacht, Freiheit und Schicksal, Hoffnung und
Enttäuschung geben den ästhetischen Rahmen. »Molecules« ist dem
Wechselspiel von Verlust und Verbindung gewidmet, der Neuanordnung
postmodern fragmentierter Partikel - Selbstfindung, die nur durch
Erneuerung zu haben ist.
Und so wird stilistisch munter fusioniert: Das lakonische »Let it come down« kommt im Gewand entschleunigten Dream-Pops daher, der sich als spaciger Slowcore transzendiert. »There is still pain left« markiert die emotionale Seite des Prozesses. Der Song erzählt mittels Synthesizerklängen von der Liebe zu einem depressiven Menschen und vermeidet Anbiederung durch distanzierende Breaks und verschleppten Sprechgesang. Auch in der elektronischen Transformation und der Hinwendung zu Sounds, die an die Anfänge elektronisch generierter Popmusik erinnern, bleiben die Folk-Wurzeln und der Drang zum Erzählen spürbar. So auch im trunken auseinanderdriftenden Elektro-Folk-Stück »I opened a bar« oder beim minimalistischen Song »Oh Lord«, der ebenso definiert wie merkwürdig ortlos bleibt.
Der Song »Tricks« ist eine Anklage politischer Korruption, die sich auf Basis eines Krautrock-Beats über daddeligen Synthiespiralen entfaltet. Der Opener »She makes President« resümiert die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten aus der Perspektive weiblicher Wählerinnen: betriebsames rhythmisches Tackern, nervöse Drones, enttäuschte Hoffnung.
Sophie Hunger bleibt eine Künstlerin auf dem Weg, Veränderung und Transformation bleibt ihr Credo der Treue zu sich selbst. Mit »Molecules« zeigt sie sich gereift. Bei aller Vielfalt der Einflüsse - Minimal, Elektro-Jazz, Dream-Pop, Drum’n’Bass, Krautrock - legt Hunger ein geschlossenes Album vor und verzichtet auf die bei ihr übliche Sprachmixtur zugunsten des Englischen. Ein bewegendes, eigenwilliges Stück gegenwärtiger Popmusik, intelligent und sich mit Freude an der Erneuerung des Folk synthetischer Klänge bedienend. Die Lust an der experimentellen Anordnung, der emotionalen Standortbestimmung in Raum und Zeit zeigt sich auch am Konzept der Tournee: Sophie Hunger spielte bisher in nur wenigen Städten, dafür dort jeweils an verschiedenen Spielstätten. Wirklich interessant, diese Reisende des Pop.
Sophie Hunger: »Molecules« (Caroline/Universal).
Konzerttermine: 5. bis 10. Oktober, Zürich; 19. Oktober, Lausanne; 1. November, Osnabrück; 18. November, Bremen.
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