Mirco Drewes

Freier Journalist, Lektor und Publizist, Berlin

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Wieder kein Weltkrieg - Die Lesebühne »Brauseboys« verabschiedet das Jahr mit einer satirischen Rückschau - und einem neuen Buch

Unweigerlich mit dem Jahresende verbunden ist die Folter des Rückblicks. Auf allen Kanälen wird das vermeintlich Bedeutsame zur Nummernrevue verdichtet und dem Betrachter zu Gemüte geführt. Zumeist geht es dabei so schaulustig wie bequem zu. Der Bildungsphilister will Geschichte als Berieselung, wohlige Schauer inbegriffen. Alle Jahre im Dezember nimmt die Vision einer Fernsehwelt Gestalt an, in der das Historische zum Unterhaltungsprodukt verstümmelt wird.


Wie gut, dass sich dem Interesse an der Rückschau auch auf dem Wege kritischer Besinnung nachgehen lässt - ohne dass dafür auf unterhaltsame Momente verzichtet werden müsste. Das Geschehen in Deutschland, der Welt und nicht zuletzt in Berlin nehmen in 24 Vorstellungen ab diesem Donnerstag die »Brauseboys« aufs Korn. Die Weddinger Lesebühne zieht für ihre Jahresabschiedsshow in den »Kookaburra Comedy-Club« nach Mitte um. Unter dem traditionellen Motto »Auf Nimmerwiedersehen!« verabschiedet das fünfköpfige Satire-Ensemble, dessen Mitglieder auch regelmäßige Autoren der Berlin-Kultur-Kolumne »Montagmorgen« in dieser Zeitung sind, inzwischen zum zwölften Mal das ausklingende Jahr. Und setzt dabei erstmals auf positive Nachrichten.


Ein gutes Zeichen? Mitnichten, das Gegenteil scheint der Fall. Die lesende Boygroup sieht in der neuen Perspektive vor allem eine angemessene Reaktion auf die zunehmende politische Polarisierung und den Trend zur Abkehr von echter Diskurskultur. »Satire war gestern, inzwischen zählt nur noch Durchhaltehumor!«, erklärt das Autorenkollektiv auf Nachfrage. Wo Licht ist, ist ganz viel Schatten. Der Untertitel der diesjährigen Show lautet: »Ein Jahr wird schwarz-weiß«. Während das Farbfernsehen sein 50. Jubiläum feiert, wird das Weltgeschehen geprägt von »Schwarzweiß-Denken, Schwarzweiß-Unruhen und Schwarzweiß-Malerei«, wie die »Brauseboys« klarstellen. Dieser Zuspitzung des Denkens und Handelns soll durch eine optimistische Sicht der Dinge entgegengewirkt werden. Nun mag sich der leidgeprüfte Betrachter fragen, welche guten Neuigkeiten es doch gleich waren, die 2017 bereit hielt. Die »Brauseboys« zählen auf: »Berlin hat neue Pandas. Orkantief Xavier sorgt für Vollbeschäftigung in der Forstwirtschaft. Air Berlin senkt seine Klima-Emissionen auf Null. Trumps Frisur hat das ganze Jahr gehalten. Weder er noch Kim Jong-un haben den Dritten Weltkrieg begonnen.« Alles eine Frage der Betrachtung also. »Weitere Durchhalteparolen« verspricht die Weddinger Lesebühne den Besuchern in Form von Texten, Liedern und Videoeinspielern.

Neben der historischen Rückschau haben die »Brauseboys« den Blick auf die Zukunft gerichtet. Im Frühjahr 2018 feiert die Lesebühne ihr 15. Jubiläum. »Wir haben inzwischen im Schnitt 0,8 Kinder und trinken ein alkoholfreies Bier pro Abend mehr als früher«, stellen die »Brauseboys«, deren Besetzung dreimal gewechselt hat, fest. Thilo Bock, Volker Surmann, Robert Rescue, Heiko Werning und Frank Sorge feiern am 15. April 2018 das Jubiläum mit einer »Brauseboys-All-Stars-Show«, bei der auch die ehemaligen Mitglieder Nils Heinrich, Hinark Husen und Paul Bokowski auftreten werden.

Fast parallel zur aktuellen Show läuft der neue Erzählband der Brauseboys vom Stapel: »Berlin mit scharf« ist soeben im Satyr-Verlag erschienen, den mit Volker Surmann ein Ensemblemitglied leitet. Die lokale Nabelschau enthält satirische und humoristische Miniaturen des alltäglichen Ausnahmezustandes der Stadt, die stets im Werden begriffen ist und doch keiner Vollendung entgegenstrebt. An den Gegensätzen, Widersprüchen und offenen Absurditäten des Großstadtlebens entzündet sich der humoristische Funke. Wo das Provinzielle und das mondän Urbane aufeinander treffen, wo sich das Prekariat und die Gentrifizierung die Klinke in die Hand geben, sind die Brauseboys zur Stelle und ergreifen das Wort.


Einiges hat sich aber inzwischen geändert: »In unserem ersten Buch gab es Texte über Menschen, die alle sechs Wochen umzogen, weil sie irgendwo eine noch günstigere, größere Wohnung gefunden haben. Der Text hat sich leider überholt.« In bitterbösen Geschichten wird vom Krieg der Yogastudios in Friedrichshain, den Unabhängigkeitsbestrebungen des neureichen Bezirks Prenzlauer Berg oder dem ganz normalen Wahnsinn in den sogenannten Problemkiezen erzählt. Ohne Sozialromantik, dafür mit scharfem Witz und politischer Satire ergreifen die Brauseboys Partei gegen die Spaltung der Gesellschaft, die Vorherrschaft von Kapitalinteressen und Intoleranz. Freude an Vielfalt, Gelassenheit, Humor: Dieser Wertekanon leuchtet zwischen ihren kleinen Bosheiten und absurden Geschichten hervor. Das dürfte auch den Rückblick auf ein Jahr prägen, dem wahrscheinlich nicht nur die »Brauseboys« ein herzliches »Auf Nimmerwiedersehen« hinterherrufen werden.


»Auf Nimmerwiedersehen 2017! Ein Jahr wird schwarzweiß. Die Brauseboys-Jahresbilanz«, vom 14. Dezember bis zum 6. Januar 2018 im »Kookaburra Comedy-Club«, Schönhauser Allee 184, Mitte.


Brauseboys: Berlin mit scharf. Geschichten aus einer unvollendeten Stadt. Satyr-Verlag, 200 S., br., 14 €.


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