Unweigerlich mit dem Jahresende verbunden ist die Folter des Rückblicks. Auf allen Kanälen wird das vermeintlich Bedeutsame zur Nummernrevue verdichtet und dem Betrachter zu Gemüte geführt. Zumeist geht es dabei so schaulustig wie bequem zu. Der Bildungsphilister will Geschichte als Berieselung, wohlige Schauer inbegriffen. Alle Jahre im Dezember nimmt die Vision einer Fernsehwelt Gestalt an, in der das Historische zum Unterhaltungsprodukt verstümmelt wird.
Wie gut, dass sich dem Interesse an der Rückschau auch auf dem Wege kritischer Besinnung nachgehen lässt - ohne dass dafür auf unterhaltsame Momente verzichtet werden müsste. Das Geschehen in Deutschland, der Welt und nicht zuletzt in Berlin nehmen in 24 Vorstellungen ab diesem Donnerstag die »Brauseboys« aufs Korn. Die Weddinger Lesebühne zieht für ihre Jahresabschiedsshow in den »Kookaburra Comedy-Club« nach Mitte um. Unter dem traditionellen Motto »Auf Nimmerwiedersehen!« verabschiedet das fünfköpfige Satire-Ensemble, dessen Mitglieder auch regelmäßige Autoren der Berlin-Kultur-Kolumne »Montagmorgen« in dieser Zeitung sind, inzwischen zum zwölften Mal das ausklingende Jahr. Und setzt dabei erstmals auf positive Nachrichten.
Fast parallel zur aktuellen Show läuft der neue Erzählband der Brauseboys vom Stapel: »Berlin mit scharf« ist soeben im Satyr-Verlag erschienen, den mit Volker Surmann ein Ensemblemitglied leitet. Die lokale Nabelschau enthält satirische und humoristische Miniaturen des alltäglichen Ausnahmezustandes der Stadt, die stets im Werden begriffen ist und doch keiner Vollendung entgegenstrebt. An den Gegensätzen, Widersprüchen und offenen Absurditäten des Großstadtlebens entzündet sich der humoristische Funke. Wo das Provinzielle und das mondän Urbane aufeinander treffen, wo sich das Prekariat und die Gentrifizierung die Klinke in die Hand geben, sind die Brauseboys zur Stelle und ergreifen das Wort.
Einiges hat sich aber inzwischen geändert: »In unserem ersten Buch gab es Texte über Menschen, die alle sechs Wochen umzogen, weil sie irgendwo eine noch günstigere, größere Wohnung gefunden haben. Der Text hat sich leider überholt.« In bitterbösen Geschichten wird vom Krieg der Yogastudios in Friedrichshain, den Unabhängigkeitsbestrebungen des neureichen Bezirks Prenzlauer Berg oder dem ganz normalen Wahnsinn in den sogenannten Problemkiezen erzählt. Ohne Sozialromantik, dafür mit scharfem Witz und politischer Satire ergreifen die Brauseboys Partei gegen die Spaltung der Gesellschaft, die Vorherrschaft von Kapitalinteressen und Intoleranz. Freude an Vielfalt, Gelassenheit, Humor: Dieser Wertekanon leuchtet zwischen ihren kleinen Bosheiten und absurden Geschichten hervor. Das dürfte auch den Rückblick auf ein Jahr prägen, dem wahrscheinlich nicht nur die »Brauseboys« ein herzliches »Auf Nimmerwiedersehen« hinterherrufen werden.
»Auf Nimmerwiedersehen 2017! Ein Jahr wird schwarzweiß. Die Brauseboys-Jahresbilanz«, vom 14. Dezember bis zum 6. Januar 2018 im »Kookaburra Comedy-Club«, Schönhauser Allee 184, Mitte.
Brauseboys: Berlin mit scharf. Geschichten aus einer unvollendeten Stadt. Satyr-Verlag, 200 S., br., 14 €.
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