Rund um den Schrebergarten von Johne, 29, grummelt die Stadt. Irgendwo im Hintergrund rauscht die S-Bahn vorbei. Am bewölkten Himmel schwebt ein Flugzeug. Die nächstgelegenen Häuser sind von hier nicht zu sehen. Im Norden Berlins, unweit der Bornholmer Straße, hat der Biologie-Student eine Parzelle gepachtet. Damit ist er Teil der heutigen Generation Kleingärtner*innen.
Der Weg in Johnes Garten führt durch ein weißes Holztor. Nur von hier kann man einen kurzen Blick auf das angrenzende Grundstück erhaschen, den Rest der Parzelle umwuchern allerlei Büsche und Bäume wie eine blickdichte Mauer. Obwohl jederzeit ein Gewitter einsetzen könnte, rechen die Nachbar*innen gewissenhaft Laubblätter zusammen. Das Bedürfnis nach Ordnung ist bis hierher zu riechen. Johnes Kleingarten ist dagegen eher Typ wilde Wiese. Riesige Sonnenblumen strecken sich im vorderen Teil des Gartens in die Höhe, während sich am Boden Blumenkohlköpfe und dänischer Spinat verstecken. Die Bäume triefen vor reifen Zwetschgen. Hier darf jede Pflanze so wachsen und gedeihen, wie es ihr gefällt.
Den Garten hat er mit einer Bekannten gepachtet. Selten sind die beiden jedoch zur selben Zeit da. Er kommt hierher, wenn er seine Ruhe haben will, um zu lernen, um zu lesen, manchmal auch nur für ein Stündchen. Dann sitzt er auf der großen Hollywoodschaukel und genießt es, für sich zu sein, im Grünen, weg von der Uni, weg vom Geruch der Berliner Straßen.
Während Johne im Norden der Stadt in seinem Garten entspannt, buddelt und werkelt Carolin, 39, in ihrem Kleingarten im Süden Berlins. Die wärmeren Tage neigen sich dem Ende zu, an den Stauden hängen noch die letzten kleinen Tomaten, der Muskatkürbis liegt prall im Hochbeet. Carolins Grundstück wirkt wie verwunschen, ein verwachsener Bogen trennt die vorderen Beete vom hinteren Rasenstück, rechts und links des Durchgangs blüht der Spätsommer. Zwischen den vielen Grüntönen lugt ein blaues Häuschen hervor. Dahinter verliert sich die Spur zur Großstadt.
Mit dem Rad fährt Carolin von ihrer Wohnung bis zum Kleingarten nur eine halbe Stunde. Das war einer der Hauptgründe, warum sie vor zwei Jahren ausgerechnet diese Parzelle pachtete. Komplett raus aufs Land wollte sie nicht, dafür geht sie zu gern auf Konzerte in der Stadt. Mittlerweile kommt sie mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern so oft es geht hierher. Während ihre Mädchen auf den Bäumen kraxeln und sich zwischen den Beeten verstecken, verliert sie sich zwischen den Pflanzen. Wenn ihre Hände etwas umgraben oder säen, kann sie den Kopf abschalten.
Eine neue Generation Schrebergärtner*innenCarolin und Johne sind nicht die einzigen jüngeren Schrebergärtner*innen heutzutage. Laut einer Studie der Hamburger Umweltbehörde gibt es einen regelrechten Generationswechsel in der Kleingartenszene. Städter*innen treibt seit ein paar Jahren verstärkt der Wunsch nach Grün, Entschleunigung und ein bisschen Natur. Die Sehnsucht zieht sich durch die Altbauwohnungen in Berlin genauso wie in Hamburg. Zeitschriften wie Landlust oder Slow versuchen dieses Gefühl aufzufangen, zum ersten Mal seit 20 Jahren ziehen mehr Leute von den Metropolen weg als zu.
[Außerdem auf ze.tt: Wie du aus Pilzen Risotto machst, ohne dich zu vergiften]Doch nicht jede*r ist bereit, sein*ihr urbanes Umfeld gegen Wald und Wiese einzutauschen. Dafür schillert das Stadtleben zu bunt. Ein Kleingarten ist da wie ein Teilzeit-Kompromiss im Arbeitsleben. Der*die Besitzer*in bekommt dreckige Hände und selbst geerntete Früchte, ohne dafür in die Einöde ziehen zu müssen. Kleingärten sind nach dem Gemeinschaftsgarten quasi die nächste Sprosse auf der Urban-Gardening-Leiter. Auf wenigen Quadratmetern vereinen sie frische Luft, bodenständiges Gefühl und bieten gleichzeitig Privatsphäre. Das kann nicht mal ein stuckbesetztes WG-Zimmer mit Balkon.
Als so erstrebenswert wie heute galten Kleingärten nicht immer: Die Schrebergärten, Lauben, Kleingärten, Heimgärten mit ihren glückseligen Namen wie Paradies, Hoffnung oder Waldfriede standen über Jahre für grenzenlose Spießigkeit, aufgereihte Gartenzwerge und unangenehmen Landespatriotismus. Ein Image, das so gut gepflegt wurde wie der pedantisch gerade geschnittene Rasen.
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