1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Krummes Gemüse auf dem Vormarsch | FOODBARN

Warum ist die Banane krumm, fragt sich schon lange keiner mehr. Wenn es allerdings um krumm gewachsene Möhren oder Gurken geht, sträuben sich viele Lebensmittelhändler davor, sie in ihre Auslagen zu räumen. Das ist pure Verschwendung. Doch so langsam zeichnet sich ein Umdenken ab.

Text: Milena Zwerenz


Wer schon mal einen Apfel direkt vom Baum gepflückt hat, weiß, dass dieser nicht viel mit den Exemplaren zu tun hat, die man im Supermarkt kaufen kann. Ein Apfel vom Baum hat mal eine Delle hier, mal eine Verfärbung dort, die Natur lässt grüßen. Im Handel bekommen wir jedoch suggeriert, dass Äpfel immer perfekt wachsen, schön rund, eine Potpourri an Herbstfarben, die Schale frei von Falten. Das gilt nicht nur für Obst, sondern genauso für Möhren, Gurken und Co. Lebensmittel, die nicht den gängigen Normen entsprechen, werden radikal aussortiert.


Tatsächlich landen in Deutschland jährlich rund 18 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Etwa 40 Prozent davon schmeißt der Endverbraucher weg, die größeren Verluste entstehen jedoch in der Wertschöpfungskette - vom Produzenten bis hin zum Großverbraucher. Laut Schätzungen des WWF werden beispielsweise rund 35 Prozent der gesamten Kartoffelernte in Deutschland an einzelnen Stellen der Prozesskette ausgemustert, bestenfalls noch zu Tierfutter verarbeitet oder in Biogasanlagen energetisch genutzt. Mögliche Gründe dafür, dass sie durch das Raster fallen: Falsche Form, falsche Größe, schwarze Stellen. Auch 30 Prozent der Möhren und circa 10 Prozent der Äpfel erreichen laut WWF - wohl aufgrund unzureichender Standards - nie den Nachernteprozess.


Alles soll perfekt sein

Die Lebensmittelindustrie befindet sich hier in einer Art Teufelskreis. Auf der einen Seite stehen die Marketingentscheidungen der Händler, auf der anderen Seite die Konsumentenerwartungen an Frische und Verfügbarkeit. Immer volle Regale sehen zwar für die Kunden ansprechender aus, sorgen aber für ein Überangebot und dadurch für regelmäßige Nahrungsmittelverluste. Gleichzeitig soll nur das schönste Obst und Gemüse Teil des Sortiments sein - angeblich, weil der Kunde das fordert. Unförmige Kartoffeln, Möhren mit zwei Beinchen, ein kleiner brauner Fleck oder welkes Grün reichen oft aus, um Produkte auszusortieren.

Wie "perfekt" die Lebensmittel sind, wird über Handelsklassen bestimmt, die es dem Verbraucher erleichtern sollen, eine sachgerechte Wahl zwischen den unterschiedlichen Angeboten zu treffen. Die allgemeinen Vermarktungsnormen der EU legen fest, welche Kriterien bestimmte Obst- und Gemüsesorten erfüllen müssen, um in bestimmte Klassen eingestuft zu werden und bestimmen etwa auch, dass Obst und Gemüse frei von Schädlingen sein muss. Zwar hat die EU 2009 nur für zehn, statt wie früher 36 Sorten, spezielle Vermarktungsnormen definiert, doch die Verbraucher sind an den Anblick perfekt normierter Ware gewöhnt. Bestes Beispiel: Für die Gurke galt bis 2009 die Regelung, dass der Krümmungsgrad maximal " zehn Millimeter auf zehn Zentimetern Länge der Gurke" betragen dürfe. Doch auch heute sehen die Supermarktexemplare kaum anders aus. Dabei könnte der Handel ganz legal die krummen und schiefen Erzeugnisse anbieten. Entweder als Klasse II oder im Rahmen der allgemeinen Vermarktungsnorm.


... weiter geht's auf Foodbarn.

Zum Original