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Talmudlernen in Braille

Sechzig Augenpaare folgen einer Passage im Talmud. Lauren Tuchmans Augen ruhen auf einem Punkt schräg vor ihr auf dem Tisch. Die 31-Jährige liest den Text in Braille, der sogenannten Blindenschrift. Als die Kursleiterin die junge Frau dazu auffordert, einen Satz zu rezitieren, legt diese die Hände neben das Buch, reckt den Kopf leicht nach oben und sagt mit hoher, fester Stimme den Abschnitt auf, den sie gelernt hat. "Wir Blinden sind keine Roboter. Auch mein Erinnerungsvermögen ist begrenzt", antwortet Tuchman oft, wenn sie auf das Stereotyp des blinden Talmudschülers angesprochen wird, der sich angeblich alles merken kann. Während ihrer Rabbinerausbildung am konservativ geprägten Jewish Theological Seminary (JTS) in New York ist ihr das anfangs oft passiert. Die ersten Jahre, so Tuchman, habe sie viel Zeit damit zugebracht, ihre Mitschüler auf behindertenfeindliche Passagen in den Texten aufmerksam zu machen. Mittlerweile ist sie im fünften Jahr ihrer Ausbildung. (...)

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