Eine kleine Fee mit Kippa schwebt zum Whiteboard und setzt den Stift an. "Achtung, ich bin bekannt für meine obszönen Zeichnungen", leitet Leyni ein und skizziert ein heterosexuelles jüdisches Paar. Lautes Lachen. Im Saal sitzen sich etwa 60 Teilnehmer des queeren Talmud-Camps an schmalen Tischen gegenüber. Hinten an der Wand lauschen vier Rabbiner und Lehrer dem Vortrag ihres Kollegen. Auch sie tragen Feenflügel, um sich von den Lernenden abzuheben. Leynis Zeichnung ist nicht obszön. Der Witz ist ein Insider von LGBT-Menschen (lesbisch, schwul, bisexuell, transgender), deren eigenes Verhältnis zu Liebe und Sexualität von weiten Teilen der Gesellschaft oft als unschicklich verstanden wird. Hier im queeren Talmud-Camp in Lake Delton im Bundesstaat Wisconsin lernen für fünf Tage Menschen im Alter von 19 bis 75 Jahre, den Talmud zu dekodieren. Sie übersetzen ihn vom Aramäischen ins Englische und diskutieren über den Inhalt. Welcher jüdischen Strömung die Teilnehmer angehören, spielt hier keine Rolle. Im Camp lernen Rabbiner und Rabbinerinnen gemeinsam mit Menschen, die gerade erst das hebräische Alphabet gelernt haben.
Milan Ziebula
Journalistin, Berlin
Reportage