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Mut zum Protest

Atomkraft? Für die 27-jährige BRIGITTE-Redakteurin Michèle Rothenberg eigentlich kein Thema mehr. Denn Widerstand war früher. Bis zum Beinahe-GAU im schwedischen Kernkraftwerk Forsmark.

Atomkraftwerke sind blöd. Das wusste ich schon als kleines Kind. Denn Atomkraftwerke machen ganz viel giftigen Müll, hat mein großer Bruder mir erklärt. Und geht so ein Atomkraftwerk mal kaputt, kommen da giftige Strahlen raus. Dann dürfen wir nicht mehr auf der Straße spielen und keine Champignons essen, sagte mein Bruder. Das fand ich schlimm und klebte mir aus Protest einen Sticker auf den Nachttisch.

Auf dem stand auch, dass Atomkraftwerke blöd sind. Vor allem aber gefiel mir die Sonne, die so freundlich lachte.


20 Jahre später klebt die Sonne immer noch auf dem Tischchen. Und lacht. Doch wenn ich sie heute ansehe, bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Denn dieser Aufkleber ist in meinem Leben bisher der einzige magere Beitrag, den ich zum Kampf gegen die Atomkraft geleistet habe. Ich gehöre keiner Umweltorganisation an, war nie auf einer Anti-Atom-Demo und habe mich keinem Castor-Transport in den Weg gestellt. Trotzdem habe ich mich empört, als der Störfall im Kernkraftwerk Forsmark bekannt wurde und die schwedische Regierung auch noch versuchte, das Ganze herunterzuspielen.

Ausgerechnet Schweden, dieses leuchtende Vorbild in Sachen Bürgerfürsorge und Naturverbundenheit. Gebt doch endlich zu, dass wir auf einer Zeitbombe sitzen! Und handelt! Auf die Straße bin ich deshalb dennoch nicht gegangen.


Die Sonne lacht.


Bei meiner Generation stand das Thema Atomenergie tatsächlich nie ganz oben auf der Prioritätenliste. Wir protestierten gegen Golfkrieg, Ozonloch, Neonazis. Und heute?

In einer Zeit, in der uns täglich Nachrichten über Terror, Kriege und Arbeitslosigkeit Angst einjagen, hat Umweltschutz schlechte Karten. Dazu kommt: Die Sache ist komplizierter geworden. So einfach ist das nämlich nicht mit dem Ausstieg. Die Nutzung regenerativer Energien reicht noch nicht aus, um unseren gesamten Bedarf zu decken, Gas wird immer teurer, und die Entwicklung klimafreundlicher Kohlekraftwerke steckt noch in den Kinderschuhen.


Keine gute Voraussetzung für Protest.


Ende der Achtziger sah die Sache noch anders aus. Sieben europäische Staaten hatten das Aus für die Atomenergie gesetzlich festgelegt. 65 Prozent der Deutschen sprachen sich damals in einer Emnid- Umfrage gegen Atomenergie aus, weitere 32 Prozent waren zumindest gegen den Bau neuer Kraftwerke. Zwar gibt es heute nach wie vor keinen absolut sicheren Reaktor, und es weiß immer noch kein Mensch, wo wir all den atomaren Müll lassen sollen oder wer die Entsorgungskosten zahlen soll.


Dennoch hat die Atomkraft nach 20 GAUfreien Jahren einiges an Schrecken verloren.

Heute halten nur noch fünf Staaten, darunter Deutschland, am Ausstieg fest. Unter 100000 Deutschen, die sich bei der Online- Umfrage "Perspektive Deutschland" zum Thema Kernkraft äußerten, betrachten 42 Prozent die Atomkraft als sinnvollen Energieträger. Und das sind keineswegs nur die Jungen; selbst bei Menschen aus jener Generation, die Großdemonstrationen gegen das AKW Brokdorf oder die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf mitgemacht haben, scheint die Stimmung zu kippen. Haben die Wütenden von einst den Mut verloren? Oder das Interesse?


Die Sonne lacht weiter, ich denke an Atompilze und verseuchte Champignons.


Und an den Tag vor 20 Jahren, als meine Eltern mir erklärten, dass ich nicht mehr auf der Straße spielen darf, weil irgendwo in einem fernen Land ein Atomkraftwerk explodiert ist. Nein, ich bleibe dabei: Atomkraft ist gefährlich, und darum wird es endlich Zeit, etwas dagegen zu tun. Allerdings nicht, indem ich mich frierend mit einem Transparent auf die Straße stelle. Das interessiert die Betreiber herzlich wenig.


Man muss eine Sprache sprechen, die die Industrie versteht: Angebot, Nachfrage, Konsum - Geld. Viel zu selten spielen wir unsere Macht als Konsumenten aus.

Seit über sechs Jahren können wir uns auf dem liberalisierten Energiemarkt unseren Stromanbieter selbst aussuchen.


Inzwischen steht sogar auf unserer Stromrechnung, wie viel Prozent unserer Energie aus Atomkraftwerken stammt. Doch obwohl sich quasi jeder für alternative Energien ausspricht, sind bislang nicht mal 1,5 Prozent der deutschen Haushalte auf den Ökostrom umgestiegen. Ganz selbstverständlich wechseln wir unsere Handy- Tarife, doch beim Strom sind wir zu träge dazu. Dabei ist der Wechsel kinderleicht:


Infos gibt's in jeder Verbraucherzentrale oder im Internet, zum Beispiel unter www. strompreise.de. Okay, in der Regel ist Ökostrom etwas teurer. Doch je mehr Menschen sich für "grünen" Strom entscheiden, desto billiger kann er hergestellt werden. Viele Anbieter stecken einen Teil der Einnahmen in den Ausbau umweltfreundlicher Technologien.


Wer dann auch noch zu Hause Strom spart, hat schon einiges bewegt. Das kriegen sogar faule Socken wie ich hin.


Und die Sonne lacht.


(Artikel aus BRIGITTE Heft 19/2006)