1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Gerecht oder nicht: Pro und Contra Videobeweis

Der Einsatz der Video Assistant Referees (VAR) wird bei der WM fast unisono gelobt. Zu Recht?


"Der Videobeweis sorgt für mehr Gerechtigkeit", sagt SPIEGEL-ONLINE-Redakteur Michel Massing


Björn Kuipers war sich in der 79. Minute ganz sicher. Er pfiff und zeigte sofort auf den Punkt, Elfmeter für Brasilien. Für die protestierenden Costa Ricaner lehnte er sich zurück, ahmte die Berührung und Neymars Fall nach hinten nach. Bei jeder bisherigen Weltmeisterschaft wäre in diesem Moment eine Fehlentscheidung möglicherweise für das Ausscheiden einer Mannschaft verantwortlich und in der Retrospektive das bestimmende Thema des Spiels gewesen.


Dank des Video Assistant Referees (VAR) bedurfte es nur eines kurzen Eingriffs, und der Fußball stand wieder im Mittelpunkt. Kuipers erkannte, dass der Kontakt von Giancarlo González an Neymar nicht für dessen theatralisches Fallen ursächlich sein konnte und nahm seine Entscheidung zurück. Brasilien musste sich den Sieg auf ehrliche Art und Weise verdienen. Diese Szene steht exemplarisch für den gelungenen Einsatz der neuen Technologie.


Der VAR sorgt für mehr Gerechtigkeit. Was aber mindestens ebenso wichtig ist: Der Ablauf wurde verbessert. Die Kommunikation zwischen Videoassistent und Schiedsrichter verläuft schnell und unkompliziert. Anders als in den Stadien der Bundesliga wird die Entscheidung des Schiedsrichtergespanns zudem über die Video-Leinwand kommuniziert und die strittige Szene gezeigt. Damit ist der Zuschauer nicht mehr ausgeschlossen. Die Transparenz sorgt für die gestiegene Akzeptanz. Der angekratzte Ruf des VAR wird durch diese WM deutlich aufpoliert.


"Der Videobeweis sorgt nicht für mehr Gerechtigkeit, sondern nur für mehr Elfmeter", sagt SPIEGEL-ONLINE-Redakteur Malte Müller-Michaelis


Die Lobeshymnen, die während der WM auf den VAR gesungen werden, sind nicht nachvollziehbar. Vor allem dann nicht, wenn man bedenkt, wie sehr der Videoassistent im Laufe der vergangenen Bundesligasaison verteufelt wurde. Denn die Technologie funktioniert in Russland nicht besser als in Deutschland.


Das Einzige, wofür die Videoassistenten bislang sorgten, war eine wahre Elfmeterflut. Zwölf Strafstöße wurden in den bisherigen 20 Spielen gegeben. Vor vier Jahren waren es im ganzen Turnier nur 13. Viele Szenen werden zu Recht überprüft, trotzdem gab es in der ersten WM-Woche auch Fehlentscheidungen - manche nach VAR-Einsatz, andere, die aus unerfindlichen Gründen gar nicht überprüft wurden.


Ein Beispiel: Harry Kane wurden im ersten Gruppenspiel der Engländer gleich zwei Elfmeter verwehrt, während Gegner Tunesien einen umstrittenen Strafstoß zugesprochen bekam. Eine einheitliche Linie bei der Bewertung strittiger Zweikämpfe im Strafraum ist auch bei der WM nicht zu erkennen. Mehr Elfmeter bedeuten eben nicht automatisch mehr Gerechtigkeit.


Auch in der Partie zwischen Serbien und der Schweiz hätte es Strafstoß für die Serben geben müssen, als Fabian Schär und Stephan Lichtsteiner gemeinsam Aleksandar Mitrovic niederrangen. Schiedsrichter Felix Brych entschied auf Stürmerfoul - eine absurde Fehlinterpretation. Dass die Videoassistenten nicht eingriffen, um den Fehler zu korrigieren, ist ebenso unverständlich wie die Tatsache, dass es keinen so großen öffentlichen Aufschrei gab, wie es in der Bundesliga mit Sicherheit der Fall gewesen wäre.

Zum Original