Michaela Strassmair

Reisejournalistin, Fotografin, Ebersberg bei München

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Livigno: Das kleine Traumreich in den Alpen

5-Sterne-Hotels? Fehlanzeige! Massentourismus? Keine Spur! Dafür: Authentizität, eigene Sprache, Sonderstellung und Abgeschiedenheit. Livigno liegt in einem Hochtal der Alpen zwischen Berninagruppe und Ortler, gehört aber zu Italien und ist vor allem eines: ein verstecktes Wintersportparadies.

 

Wenn etwas einzigartig ist, dann sucht der Mensch nach Vergleichen. Im Falle von Livigno klingen diese Vergleiche so: das Tibet Italiens oder Klein-Kanada in den Alpen.


Warum Tibet? Die Luft in Livigno ist ähnlich trocken, das Hochtal liegt auf 1816 Metern, seine Gipfel auf knapp 3500 Meter. Die Aussicht auf die höchsten Berge der Ostalpen wie Piz Bernina, Piz Palü und Ortler ist ähnlich spektakulär. Die Anreise erfordert Ausdauer, denn Livigno gehört zwar zu Italien und zur Provinz Lombardei, liegt aber mitten in den Schweizer Alpen. Bis 1951 war es im Winter sogar völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Und die 6000 Einwohner sprechen eine eigene Sprache, den Dialetto Livignasco, der der rätoromanischen Sprachfamilie entstammt.


Warum Kanada? Livignos Ähnlichkeiten mit Kanada machen jeden Ski- und Snowboardfahrer nervös: Neben den beiden Skigebieten mit 31 Bergbahnen und 115 Pistenkilometern erstrecken sich scheinbar endlose, unberührte Hänge. Hier ist Italiens Powder-Paradies, denn Livigno ist das erste Gebiet Italiens, in dem Freeriden offiziell erlaubt ist. Zu den Highlights für Tiefschneefans gehört auch das Heli-Skiing, welches in den Alpen jedoch nur in wenigen Skigebieten erlaubt ist - und Livigno darf sich stolz zu den Ausnahmen zählen.

 

Für Freerider: eigene Lawinenkommission

 

Die vielen Freeride- und Tourenmöglichkeiten im freien Gelände haben eine weitere Besonderheit in dem kleinen Hochtal hervorgerufen: Die erste und eigene Lawinenkommission mit Echtzeit-Informationen ergänzt die täglichen Lawinenlageberichte aus Italien und der Schweiz. Chef ist Fabiano Monti, der am Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos promoviert hat und vorort eine Art Testcenter für Lawinenforschung etabliert hat. Jeden Tag steht er mit seinen vier Mitarbeitern selbst auf den Skiern, um die Verhältnisse zu prüfen und die Theorie mit der Praxis zu verbinden. Auf diese Weise entstehen täglich zwei eigene, speziell auf Livigno abgestimmte Lawinenvorhersagen.

 

Zollfreie Zone: 22 Prozent weniger bezahlen

 

Und wenn wir schon bei Besonderheiten sind: Einen Flughafen gibt es in Livigno nicht, dafür aber Duty-Free-Shopping. Nach einer Bestimmung aus dem 17. Jahrhundert gehört Livigno nach wie vor zu den wenigen zollfreien Zonen Europas. Das heißt: Die italienische Mehrwertsteuer entfällt und Waren wie Spirituosen, Kaffee, Parfüm, Schmuck, Mode, Schuhe und Kraftstoffe kosten 22 Prozent weniger. In der autofreien Fußgängerzone gibt es 250 Duty-Free-Shops, die sich auf das günstige Shoppingvergnügen spezialisiert haben. Moderne Shopping-Malls oder Hochhäuser sucht man dennoch vergebens, denn die Architektur orientiert sich an den alten traditionellen Steinhäusern, die rustikalen und alpinen Charme verbreiten. So gibt es auch kein einziges Megahotel oder 5-Sterne-Haus in Livigno. Die insgesamt 13.000 Gästebetten sind auf kleinere Hotels verteilt, die durchaus modern sind, die alten Traditionen jedoch integrieren und leben. Wie Cristina Bormolini, die 83 Jahre alt ist und jeden Mittwoch im Museum zeigt, wie man Wolle spinnt. Die alte Dame war vor drei Jahren bei der Eröffnung des Heimatmuseums die einzige Eingeborene, die noch Wolle spinnen konnte. Mittlerweile sind es schon mehr als fünf Livignascas, die die alte Technik von Cristina gelernt haben.

 

Dolce Vita: von außen und von innen

 

Die Liste an modernen Aktivitäten in Livigno in der Winterzeit ist lang: Die Outdoor-Sportarten reichen von Langlaufen auf Loipen, die Weltklassesportler zum Höhentraining anziehen, bis zum Eisklettern an Wasserfällen oder auf einer eigens angelegten 20-Kilometer-Spur mit dem Fat-Bike auf extra breiten Reifen durch den Schnee zu strampeln. Zum Aufwärmen geht es dann in den Wellness-Park Aquagrande. Auf 10.0000 Quadratmetern lassen sich die verschiedensten Formen von Entspannung, Relaxen und Spaß ausprobieren - ob beim Schwimmen, Rutschen oder Saunieren im stylischen Spa. Leibliche Genüsse gehören natürlich auch dazu. Früher gab es in Livigno zwar nur einmal im Jahr Obst zur Alltagskost Buchweizen, Rüben und Milchprodukte. Doch mit den Zufahrtsstraßen ist auch das typisch italienische Dolce Vita in dem gemütlichen Dorf angekommen - feines Essen und guter Wein wird von den Berghütten bis zu den Restaurants im Tal serviert.

 

 

Infos:

Anreise: Livigno ist mit dem Auto von Landeck (AT) über Zernez (CH) durch den Tunnel Munt

La Schera und von Zürich über Landquart (CH) erreichbar. Bis nach München sind

es 275 Kilometer, bis Innsbruck 180 Kilometer, bis Zürich 195 Kilometer und nach

Mailand 230 Kilometer. Mit dem Zug erreicht man Livigno über

Zernez (CH), die letzten 30 Kilometer per Bus oder Taxi.

Hotels: Zu den besten Hotels gehören die 4-Sterne-Häuser „Lac Salin“ (DZ mit Halbpension ab 200 Euro) und das „Hotel Amerikan“ (DZ mit Halbpension ab 150 Euro).

Freeriden: Jeden Sonntagabend laden die lokalen Bergführer zum kostenlosen Freeridemeeting in die Brauerei 1816 ein.

Internet: www.livigno.eu