Michaela Schneider

Journalistin, Pressefotografin, Würzburg

1 Abo und 1 Abonnent
Artikel

„O die Hüften, o die Schultern, o die Brüste"

Prüde waren sie ganz bestimmt nicht, die alten Griechen. Da räkelt sich eine Mänade mit nacktem Oberkörper. Priapus, der Gott der Fruchtbarkeit, hält eine Waage mit einem Riesenphallus in der Hand. Und auf einer Amphore verlustieren sich die Herren beim Gelage mit hübschen Hetären. Szenen, die heute manch einem die Schamesröte ins Gesicht treiben, hingen und standen damals als Dekor in den Wohnhäusern. Um Liebe und Erotik in der Antike wird sich eine Führung mit dem eindeutig zweideutigen Titel „Literarische Ergüsse" im Martin-von-Wagner-Museum in Würzburg am 6. Oktober drehen. Sie bildet den Auftakt zur neuen Führungsreihe „Erlesens".


Die Idee: Jede Führung steht unter einem bestimmten Motto. Vor ausgewählten Objekten in der Antikensammlung oder der Gemäldegalerie werden Fachstudenten zum Thema passende Texte aus der Antike vortragen. Es wird um Erotik, um die Bibel, um Menschliches im Göttlichen und auch um Klatsch und Tratsch in früheren Zeiten gehen. Den Auftakt machen Kunstgeschichtestudentin Eveline Sava und der Geschäftsführer der Museumsinitiative, Felix Röhr: Die beiden werden nicht nur literarische Texte vortragen, sondern wissen auch Allerlei aus dem Liebesleben antiker Menschen zu berichten.


Die Herren in der Antike wussten die Reize der Damen zu schätzen, das zeigt zum Beispiel der Blick auf ein Gedicht des epikureischen Philosophen und Dichters Philodem. Der nämlich schwärmt in seinen Versen: „... O die Hüften, o die Schultern, o die Brüste, o der schlanke Hals, o die Hände, o - ich wird verrückt - die - Augen, o der verdammt raffinierte Gang, o die unübertroffenen Zungenküsse, und - o schlag mich tot - die Stimme!" Bei den Römern finden sich ähnlich anschauliche Texte, dafür ein Abstecher in die Poetik des römischen Dichters Ovid: „...sie kämpfte darum, von dem Kleid bedeckt zu sein. Weil sie so kämpfte wie eine, die gar nicht siegen möchte, wurde sie leicht besiegt durch ihren eigenen Verrat.... Was für Schultern und Arme ich sah und berührte! Wie waren ihre Brüste für die Liebkosung geschaffen!"

"Ich bin dein für ein Kupferstück"
(Graffiti aus Pompeji)

 

Tatsächlich gingen vor allem die Griechen mit Nacktheit viel unverkrampfter um als die Menschen heute: Götter, Heroen, Sportler und sogar Verstorbene auf Grabmälern wurden nackt dargestellt - allesamt muskulös, jugendlich, heldenhaft, ideal. „Jugendwahn und Perfektionismus gab es damals wie heute", sagt Felix Röhr. Was heute Bildbearbeitungsprogramm leisten, war einst Aufgabe der Steinmetze. Nacktheit war dabei in Griechenland nicht automatisch mit Erotik gleichzusetzen - zumindest, wenn es um nackte Männerdarstellungen ging.

 

Anders sieht es beim weiblichen Geschlecht aus, Damen der Gesellschaft wurden für die Nachwelt nur in züchtigen Posen verewigt. Mit unbekleideten Schönheiten indes war immer auch eine sexuelle Komponente verbunden. Ein Beispiel im Martin-von-Wagner-Museum: ein Relief, das eine nackte Mänade zeigt. Mänaden waren die grausamen Begleiterinnen des Dionysos - und der war nicht nur Gott des Weines und der Trauben, sondern auch der Freude, Fruchtbarkeit und der Ekstase. Kein Wunder also, dass seine mythische Begleiterin die erotischen Fantasien der Menschen anregte.

 

Und wie stand es in der Realität ums Liebesleben in der Antike? Nicht umsonst spricht man bis heute von römischer Dekadenz in Anlehnung an die lustvollen Gelage der Römer. Anders als bei den Griechen waren hier übrigens auch die Frauen der Gesellschaft zugelassen. Griechische Gelage indes waren Männersache - was nicht heißt, dass die Herren unter sich blieben. Gesellschaft leisteten ihnen gegen Bezahlung Hetären. Diese Damen waren durchaus gebildet, geschult in Tanz und Gesang und kannten sich aus in Literatur, Künsten und Politik. Doch leisteten sie darüber hinaus auch Liebesdienste. Eine Vase aus der Zeit um 340/330 vor Christus zeigt im Martin-von-Wagner-Museum anschaulich, wie es bei solchen Gelagen zur Sache gehen konnte.

 

Triebhafte Satyrn - halb Mensch, halb Tier - tummeln sich im Museum zudem auf Schalen und Vasen und wer von Vitrine zu Vitrine schlendert, wird auf unzählige phallische Symbole stoßen. Allerdings wäre ein Sigmund Freud rasch desillusioniert worden: Penisse nämlich standen für Fruchtbarkeit und wurden in antiker Zeit schlichtweg als Glücksbringer verstanden.

 

Abschließend noch ein Blick auf eine aus heutiger Sicht besonders pikante Beziehung - nämlich auf das Verhältnis zwischen Erastes und Eromenos, das heißt zwischen älterem Liebhaber und jüngerem Geliebtem. Tatsächlich weiß man, dass sexuellen Handlungen zwar nicht Teil der Erziehung, aber im pädagogischen Lehrer-Schüler-Verhältnis nicht ausgeschlossen waren. Das allerdings galt nur für die Dauer der Ausbildung, danach war Homoerotik laut Felix Röhr im antiken Griechenland verpönt.

 

Ein sehr männlicher Blickwinkel im Martin-von-Wagner-Museum auf Liebe und Erotik in der Antike? Nein, mit der antiken griechischen Dichterin Sappho darf auch eine Dame zu Wort kommen. Diese fleht zur Göttin der Liebe: „Du auf dem bunten Thron, unsterbliche Aphrodite, (...) zwing mir nicht nieder mit Liebespein und Qualen, Herrin, das Herz."


Zum Original