Michaela Schneider

Journalistin, Pressefotografin, Würzburg

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„Früher hatten wir die Kehrwoche, heute wird gecared“

Vor kurzem hat der „Verein Deutscher Sprache“ ((VDS) den Duden mit dem zweifelhaften Titel „Sprachpanscher des Jahres 2013“ ausgezeichnet. In Interview spricht Dr. Bernhard Sturn unter anderem über den Anglizismus-Wahn vieler Deutschen. Der 60-jährige Arzt aus Wiesentheid ist Regionalvorsitzender  des VDS in Unterfranken.

Wie lautet Ihr Lieblingswort?

Dr. Bernhard Sturn: Ich bin Wortpate der „Heilkunst“. Die Wortpatenschaft ist eine Aktion unter dem Dach des „Vereins Deutsche Sprache“. Unser deutscher Sprachschatz besteht aus mehreren 100000 Worten. Hieraus kann jeder gegen einen Spendenbeitrag ein Wort auswählen, das er bewahren möchte.  Dafür bekommt man eine Urkunde. Ich bin Arzt, das Wort „Heilkunst“ kommt aus meiner Profession heraus. Heute wird ja überall „gecared“ statt gepflegt. Früher hatten wir die Kehrwochen…. Jeder macht inzwischen seinen Job, einst übte man einen Beruf aus. Und Beruf leitet sich eigentlich ab von der „Berufung“. „Heilkunst“ kommt dem sehr nahe und heißt für mich: Die Kunst des Heilens mit Leib und Seele ausüben.

Wie verändert sich der deutsche Wortschatz?

Sturn: Der Wortschatz der deutschen Sprache wächst andauernd. Unserer Sprache wird ja gerne eine deutsche Schwerfälligkeit angelastet. Doch schon durch Wortzusammensetzungen wie die Donaudampfschifffahrtgesellschaft ist unser Wortschatz riesig. Hinzu kommt eine sehr hohe Dialektdichte. Und: Der aktive Wortschatz verändert sich rasant und zwar zu Ungunsten deutscher Formulierungen.

Sie sprechen vom deutschen Anglizismus-Wahn?

Sturn: Gern zitiere ich in diesem Zusammenhang einen Spiegelartikel aus dem Jahr 2006 von Matthias Mattussek. Er schreibt, dass 1960 eines von 100 gebrauchten Wörtern eine englische Färbung hatte, 2004 waren es 24 von 100 Wörtern. Viele Kinder sagen als erstes Wort nicht mehr „Mama“, sondern „OK“. Und das fängt beim "Bahn-Bashing" an und reicht zu einem "Slash" statt einem Schrägstrich und dem entspannenden "Relaxen". Worte wie "Wiederverwertung", "Geländerad" oder "Handhabung" hört man hingegen gar nicht mehr. Die deutsche Sprachverleugnung geht so weit, dass pseudoenglische Worte gebildet werden.

Zum Beispiel?

Sturn: Ein prominentes Beispiel ist der Begriff „Handy“ als eine rein deutsche Erfindung. Im Englischen heißt das kleine Telefon in der Hand „mobile“. Als wir im August den Perseidenschwarm beobachtet haben, habe ich gesagt: „Schaut, das sind Shootingstars“ - denn wörtlich übersetzt bedeutet Shootingstars Sternschnuppen. Absurd, wenn man bedenkt, in welcher Bahn sich letztere bewegen, während deutsche „Shootingstars“ nach oben schießen. Weitere Beispiele: „Public viewing“ heißt wörtlich übersetzt „öffentliche Aufbahrung“; wir sagen heute nicht mehr Projektor, sondern Beamer – und den übersetzen die Engländer wiederum in „projector“. Eine Rolle spielt hier, dass etliche Firmen selbst intern bis in die untersten Ebenen nicht mehr in der Muttersprache kommunizieren. Das Resultat: Es wird in Abkürzungen und vereinfachtem, zum Teil falschem Englisch gesprochen.  2013 hat der „Verein Deutsche Sprache“ übrigens den Duden zum Sprachpanscher des Jahres gewählt.

Der Duden als Sprachpanscher – warum das?

Sturn: Der Duden hat in seine neueste Auflage mehr als 5000 Anglizismen ungefiltert übernommen. Ist es wirklich notwendig, dass ein Wörterbuch der deutschen Sprache als Ersatz für die Bezeichnung „Fußball“ das Wort „Soccer“ vorschlägt? Wir Sprachbewahrer werden gern in die rechte Ecke gestellt, das ist Unsinn. Wir wollen lediglich vermitteln: Es gibt mehr als nur Englisch! Europa ist nicht „Made in Europe“, wie inzwischen auf Produktzetteln zu lesen ist. Die Stärke Europas liegt in seiner Vielfalt – und dazu zählt auch die Sprachvielfalt.

Welche Trends beobachten Sie mit Blick auf die Jugendsprache?

Sturn: Die Jugendsprache ist ein ganz eigenes Kapitel, da sich die Jugend naturgemäß von den Etablierten absetzen muss, neue Ideen einbringt und eigene Regeln und Ausdrucksweisen schafft. Nehmen wir das Wort „toll“. Das war im Begriff „Tollhaus“ einst dem Verrücktsein vorbehalten. In der Jugend will man ein bisschen verrückt sein, so kam es zum inhaltlichen Wandel. Für bedenklich halte ich heute einen mannigfachen Gebrauch von Fäkalworten. Es ist inzwischen normal, dass ein Jugendlicher zu seinem Kumpel sagt: „Du siehst sch… aus.“ Eine verletzende Sprache, die den Respekt vernachlässigt und unter die Gürtellinie reicht, kann aber schnell dazu führen, dass auch unter die Gürtellinie geschlagen wird.

Zusammengefasst: Deutsche Sprache – hopp oder top?

Sturn: Deutsche Sprache top, wenn es darum geht, sich künstlerisch, poetisch oder anspruchsvoll auszudrücken. Deutsche Sprache hopp im geschäftlichen Bereich, wenn es nur noch um Counter, Service Manager oder E-Business geht.

 

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