Michaela Schneider

Journalistin, Pressefotografin, Würzburg

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Vom bedrohlichen Springkraut und seltenen Sippen

30 Millionen Daten und tausende ehrenamtliche Kartierer: Das Projekt Ist riesig,  das Ergebnis wird um die vier Kilogramm wiegen. Die Rede ist vom ersten gesamtdeutschen Verbreitungsatlas aller Farn- und Blütenpflanzen, der noch heuer erscheinen soll und Deutschlands Hobbybiologen und Profibotaniker begeistern dürfte. Koordiniert wird das Projekt vom Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz des Saarlandes, die Datenverwaltung liegt in der Hand des Netzwerks Phytodiversität Deutschland.

Ein Blick in die Geschichte: Im 19. Jahrhundert zogen Landvermesser durch Deutschland, erfassten Geländeformen und lieferten das Datenmaterial für maßstabstreue Landkarten. Für die Erfassung heimischer Pflanzen indes gab es – anders als für die Landvermessung – nie einen Staatsauftrag. So wurden Farn- und Blütenpflanzen zwar in regionalen Projekten, aber nie deutschlandweit kartiert. Dabei sei die Kenntnis um die Pflanzenwelt wichtig – gerade in einem Land, in dem überall von Biodiversität gesprochen werde, betont Wolfgang Schumacher, Vorsitzender des Netzwerks Phytodiversität Deutschland.

So sind die Daten, die zum Beispiel für die Erstellung der Roten Liste gefährdeter Arten zugrunde liegen, sehr unvollständig, sagt Jürgen Klotz, einer der Projektkoordinatoren. Weil es am Geld fehlt, kümmern sich überwiegend ehrenamtliche Helfer um die Kartierung der Pflanzenwelt. Entsprechend lückenhaft ist die gesamtdeutsche Karte – so ist zum Beispiel der Raum Würzburg viel besser erfasst als der recht nahe Spessart.  Botaniker lieferten sich in der Vergangenheit zwar einen regelrechten Wettbewerb, besonders seltene Arten aufzuspüren und haben Pflanzen gut im Blick, die sich rasant und bedenklich ausbreiten. „Defizite haben wir indes vor allem bei mittelhäufigen Arten“, betont Klotz.

1988 erschien ein Atlas der Farn- und Blütenpflanzen für Deutschland West, 1996 dann ein Pendant für Deutschland Ost. Doch wer wissen wollte, wo in ganz Deutschland Trauben-Graslilien wachsen, konnte dies nirgends nachschlagen. Das ändert sich nun. 3000 Deutschlandkarten wird der Atlas enthalten, jede wird Auskunft geben über die Verbreitung einer „Sippe“, das heißt einer Gruppe Pflanzen mit gleicher Abstammung. Ablesen können Naturbegeisterte und Experten, ob Arten stark zurückgehen, ob sie etwa einheimisch oder eingebürgert sind oder sich vor oder nach der Entdeckung Amerikas 1492 verbreiteten. Bei jeder Landkarte im Verbreitungsatlas wird ein QR-Code stehen, um diese auch im Internet aufzurufen und sich in Regionen zu zoomen.

3000 Karten im Atlas bedeuten nicht, dass es in Deutschland nur 3000 Sippen gibt – hier mussten die Biologen eine Auswahl treffen. Bei den Kartierungsarbeiten verzeichnet wurden rund 7000  Sippen. Zunächst aus reinem Platzmangel beschränkten sich die Botaniker auf einheimische Farn- und Blütenpflanzen sowie auf eingebürgerte Arten, die sich rasant ausbreiten wie zum Beispiel das Indische Springkraut. Und weit verbreitete Pflanzen wie der Walnussbaum konnten in den Atlas nicht aufgenommen werden, schlichtweg weil die Kartierung viel zu lückenhaft ist.

Wie aber flossen die bestehenden Datenbestände in den gesamtdeutschen Verbreitungsatlas ein? Ab 2008 wurden bestehende Kartierungsdaten zusammengeführt und ergänzt. Ein Expertenkreis konnte noch bis vor wenigen Wochen Falschangaben korrigieren, das Redaktionsteam kontrollierte sämtliche Karten auf Unstimmigkeiten. Ergänzt wurde etwa ein Drittel um Kommentare.

Ist mit Erscheinen des Verbreitungsatlas‘ das groß angelegte Kartierungsprojekt abgeschlossen? Nein, vielmehr ist damit erst die Grundlage gelegt für weitere Erfassungsarbeit. Denn: Im Internet sind unter www.deutschlandflora.de nicht nur 3000, sondern alle 7000 Sippenkarten einzusehen. Nach Anmeldung kann jeder ehrenamtliche Kartierer selbst Datenbestände einpflegen – ähnlich wie es zum Beispiel Vogelkundler auf dem Portal www.ornito.de längst tun.

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