Michaela Schneider

Journalistin, Pressefotografin, Würzburg

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Sisyphusarbeit mit winzigen Muschelfragmenten

Sie haben in etwa die Größe einer Fruchtfliege: die winzigen Fragmente aus Muscheln, Horn, Schneckenhäusern und Korallen, die der „Brunogrotte“ ihr unverwechselbares Aussehen geben. Man nimmt heute an: Viele Jahre lang arbeitete im 18. Jahrhundert ein Mönch aus der Kartause in Astheim an dem einzigartigen, aus abertausend Teilen zusammengesetzten Kunstwerk, das heute - hübsch restauriert - im Mainfränkischen Museum in Würzburg bestaunt werden kann. Kaum einer kann sich besser vorstellen, wie viel Arbeit in dem Objekt tatsächlich steckt als Susanne Wortmann, denn:  Sie ist die einzige Restauratorin im Museum auf der Festung Marienberg und arbeitete selbst ein Dreivierteljahr an der Brunogrotte. Viele hundert Einzelteile, die sich im Laufe vieler Jahre gelöst hatten, musste sie wieder an den richtigen Stellen platzieren. Und dabei ist die Restaurierung einzelner Objekte nur eine von unzähligen Aufgaben, die die 42-Jährige tagtäglich zu erfüllen hat.

Sehr viel Zeit fließe zunächst einmal in den Auf- und Abbau regelmäßiger Wechselausstellungen. Dabei stehen der Diplom-Restauratorin zwar Helfer zur Seite, doch trägt sie die alleinige Verantwortung, dass alle Objekte kunstgerecht behandelt werden. Gerade auf dem Festungsgelände ist das  keine leichte Aufgabe: Von den Depots ins Museum und wieder zurück müssen sie sorgfältig verpackt unter freiem Himmel über den Hof transportiert werden. Stellen andere Museen Leihanfragen, bewertet Susanne Wortmann, inwieweit und unter welchen Bedingungen ein Transport des gewünschten Objekts möglich wäre. „Die Brunogrotte zum Beispiel könnten wir nicht verleihen, bei jeder Erschütterung können sich hier Stücke lösen“, sagt die Expertin.

Umgekehrt muss sie bei Leihgaben ans Mainfränkische Museum dafür sorgen, dass alle Auflagen der Leihgeber erfüllt werden. So hat die Restauratorin zum Beispiel vor wenigen Tagen Urkunden mit Original-Wachssiegeln des Stadt- und Staatsarchivs aus der Jubiläumsausstellung entfernt, weil die sommerliche Hitze auch in den Museumsvitrinen die Temperatur steigen ließ. „Die Gefahr bestand, dass die Wachssiegel Schaden nehmen“, sagt Wortmann. Tatsächlich verbringt sie viel Zeit damit,  Temperatur, Luftfeuchtigkeit,  Licht und Schadstoffe in den Museumsvitrinen zu kontrollieren. Wären luftdichte Vitrinen eine Alternative? „Da scheiden sich die Geister“, sagt die Expertin. Einerseits könnten so zwar keine Schadstoffe aus der Umgebung eindringen, andererseits gingen aber häufig von den Kunstwerken selbst Schadstoffe aus, wenn Materialien wie etwa Holz und Silberbeschläge aufeinandertreffen. Einmal pro Jahr staubt Susanne Wortmann zudem an mehreren Montagen die komplette Sammlung ab – und nutzt die Gelegenheit, den Zustand sämtlicher Objekte zu kontrollieren. Um Veränderungen rechtzeitig zu bemerken, werden entsprechende Zustandsprotokolle erstellt.

Die Sisyphusarbeit an der Brunogrotte war bisher Susanne Wortmanns aufwändigste Arbeit am Einzelobjekt im Mainfränkischen Museum. „Sie war nicht transportabel, deshalb konnte ich die Aufgabe nicht an einen freiberuflichen Kollegen vergeben“, erklärt Wortmann, der für so aufwändige Jobs eigentlich die Zeit fehlt. Die Hauptschwierigkeit: Als die Restauratorin das Kunstwerk im Depot untersuchte, ließ sich zwar bei einigen Fragmenten über ihren mutmaßlichen Fallwinkel rekonstruieren, wo sie einst geklebt hatten. Viele andere Einzelteile jedoch waren aus der Brunogrotte herausgefallen oder in hintere Winkel gerutscht. Die Restauratorin verglich in etlichen Stunden Größe und Form  der Einzelteile mit den Eindrücken in der Wachs-Harz-Mischung, die einst als Klebemittel gedient hatte. Und nicht nur viel Geduld, sondern auch Improvisationstalent war gefordert: Von Goldschmieden schaute sie sich etwa die Technik ab, mit einer leicht klebrigen Spitze zu arbeiten, um Objekte im Klebemittel zu platzieren. Und um die Spiegel in der Grotte zu säubern, bastelte sich die Restauratorin aus Fensterleder und einer Briefklammer ein winziges Werkzeug. „Ich bin eigentlich spezialisiert auf Gemälde und Skulptur. Hier im Museum arbeite ich mit sämtlichem Materialien – von Textil und Papier bis zu Stein oder Metall“, sagt Wortmann. Immer wieder muss sie sich in neue Fachbereiche arbeiten, Expertenrat einholen, selbst kreative Lösungen entwickeln.

Inzwischen strahlt die Brunogrotte in der Museumsvitrine, doch die Arbeit geht Susanne Wortmann nicht aus. In ihrer Werkstatt arbeitet sie aktuell an einem Schlitten in Leopardenform aus der Barockzeit, denn: Im November wird im Mainfränkischen Museum die nächste Sonderausstellung zu sehen sein. „Winterfreuden – historische Schlitten und mehr“ ist sie betitelt. Der Leopardenschlitten ist dabei ein Fundstück aus dem Museumskeller. Motten hatten im Sitzpolster gewütet, an vielen Stellen ist Farbe abgeblättert, noch ist der Leopard kopflos. An Beispielstellen veranschaulicht Susanne Wortmann derzeit, wie sie sich die Restaurierung vorstellt – die Arbeit selbst wird sie dann an einen freiberuflichen Kollegen vergeben.

Die eigentliche Mammutarbeit besteht für die 42-Jährige jedoch darin, Ordnung in die Museumsbestände zu bringen. Im Mainfränkischen Museum bedeutet dies weit mehr als eine Lebensaufgabe, denn: Die Inventare gingen im zweiten Weltkrieg verloren, was irgendwie nach Kunst aussah, wurde in der Nachkriegszeit im Festungskeller geschichtet und gestapelt unter – aus heutiger Sicht – katastrophalen Rahmenbedingungen. Seit Jahrzehnten bringen die Museumsmitarbeiter inzwischen Ordnung in die Bestände, geben ihnen ihre Geschichte zurück und bringen sie, wie Wortmann selbst sagt, „in eine stabile Seitenlage“ – zum Teil in so genannten Klimazelten. Immer wieder tauchen dabei Kleinode auf. So zum Beispiel – zusammengeknüllt, teilweise zerrrissen und in altes Blumenpapier gepackt - ein Porträt von Max I.. Inzwischen blickt der König wieder majestätisch von der Leinwand herunter. Um die Bildträgerkonservierung hatte sich eine Studentin aus Dresden im Zuge ihrer Diplomarbeit gekümmert.

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