Michael Trammer

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Abschiebehaft kann tödlich enden

Zum 20. Jahrestag der Selbsttötung eines tamilischen Jugendlichen in der Abschiebehaft in Hannover-Langenhagen demonstrieren Aktivist*innen gegen diese Praxis. Gründe zu protestieren liefert die Geschichte dieser Anstalt reichlich und die Situation verschärft sich

Von Michael Trammer

Immer wieder sehen Menschen in der Abschiebehaftanstalt am Flughafen Hannover-Langenhagen keinen anderen Ausweg, als sich selbst zu töten. Vor mehr als 20 Jahren, am 8. Dezember 2000, beendete so der tamilische Jugendliche Arumugasamy Subramaniam sein Leben, bevor er in das damals vom Bürgerkrieg zerrissene Sri Lanka abgeschoben werden konnte. Fünf Jahre hatte er in Deutschland gelebt.

Den Jahrestag des Todes von Arumugasamy Subramaniam nahmen etwa 100 Aktivist*innen zum Anlass, um am 12. Dezember in Hannover am zentral gelegenen Ernst-August-Platz gegen das Fortbestehen von Abschiebehaft sowie das Konzept von Gefängnissen und Grenzen zu demonstrieren.

Vor mehr als zwei Jahrzehnten, im Mai 2000, nahm die niedersächsische Landesregierung die Abschiebeanstalt auf dem Gelände des Flughafens Hannover in Betrieb. Seitdem werden in den alten Kasernengebäuden Menschen aus Niedersachsen und dem ganzen Bundesgebiet festgehalten, hinter meterhohem Stacheldraht und mit Gittern vor den Fenstern. 68 Plätze hat der Komplex. Seit 2019 wird in der auf dem Gelände gelegenen Zentralen Abschiebebehörde, kurz ZAB, über die Duldung oder Ausweisung von Menschen entschieden.

Hungerstreik ignoriert

Das Wenige der Geschehnisse im Inneren, das nach außen dringt, spricht Bände: 2010 tötete sich der 58-jährige Slawik C., bevor er nach Armenien ausgewiesen werden konnte. 2014 stellte sich heraus, dass 900 Personen rechtswidrig in der Anstalt festgehalten wurden - Entschädigung war damals nicht in Sicht. 2015 hielten Gefangene einen Hungerstreik ab - das Ministerium ignorierte diesen kurzerhand. 2018 berichtete die taz über „Schläge, Beleidigungen und Duschverbote" in Langenhagen.

Immer wieder gibt es Proteste, sowohl vor als auch in der Haftanstalt und auch der hannoverschen Innenstadt. 2020 urteilten Amts- und Landgericht, dass die Tatsache, dass Strafgefangene in Langenhagen gemeinsam mit Abschiebehäftlingen eingesperrt waren, nicht mit geltendem Recht vereinbar ist. Der Fall geht vor den europäischen Gerichtshof.

„Der Jahrestag des Todes von Arumugasamy Subramaniam ist für uns Anlass, an die Opfer der unmenschlichen Abschiebe-Maschinerie zu erinnern!", ruft Sigmar Walbrecht, ein Aktivist der Gruppe „Solinet" über den Lautsprecher der Kundgebung. Der Zynismus sei in Zeiten der Pandemie besonders deutlich: „Es wird abgeschoben, als ob es nichts Wichtigeres gäbe."

Solinet ist eine Gruppe, die in Hannover Geflüchtete unmittelbar auf unterschiediche Art und Weise unterstützt. Walbrecht sagt, Geflüchtete bekämen keine Termine bei der Ausländerbehörde, warteten Wochen auf eine Verlängerung der Beschäftigungserlaubnis und ihrer Ausweise.

Im laufenden Jahr seien bereits 200 Personen aus Niedersachsen abgeschoben worden. Dass es zu immer weiteren Verschärfungen der Gesetze kommt, sei, so sieht es Walbrecht, auch ein Erfolg der extremen Rechten, die versuche den Diskurs zu bestimmen. Die Ideologie aus Hierarchisierung, Konkurrenzkampf und Ausbeutung, die der Abschiebepraxis zu Grunde liege, sei aber auch tief im bürgerlichen Denken verankert, sagt er.

Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent des Flüchtlingsrates Niedersachsen, steht am Rand der Kundgebung in Hannover, während das Stück „Borders" von der britischen Künstlerin M.I.A. über die Lautsprecher gespielt wird. Seit 16 Jahren begleitet und unterstützt Öztürk­yilmaz Menschen, die abgeschoben werden sollen. Ein zentrales Problem sei, dass das Gefängnis und damit die Institution, deren Handlungen gerade reglementiert werden sollen, die Regeln mache, sagt er.

Und das, obwohl das Bundesverfassungsgericht bereits 1972 entschieden habe, dass es für die Vollstreckung eines Freiheitsentzugs stets eines Gesetzes bedarf. Wenn Menschen in der Anstalt beispielsweise Konflikte mit eine*r Justizvollzugsbeamt*in hätten, könnten sie sich nur an die Gefängnisleitung wenden. Eine unabhängige Beschwerdestelle existiere nicht. „Hart formuliert entsteht damit ein Staat im Staat", sagt Öztürk­yilmaz.

Seit Jahren gibt es in Deutschland Abschiebehaft als eine Form des Freiheitsentzugs, dem keine Straftat oder ein Vergehen zu Grunde liegt. Ermöglicht wird sie durch Paragraf 62 des Aufenthaltsgesetzes. Die rechtlichen Grundlagen wurden nach und nach in den vergangenen Jahren immer weiter verschärft.

Ein besonders kritisiertes Novum des sogenannten Migrationspakets: Die Beweispflicht wurde umgekehrt. So müssen Betroffene nun zeigen, dass sie an ihrer Abschiebung mitwirken wollen und keine Fluchtgefahr bestehe, sonst ist Mitwirkungshaft möglich.

Kommt es nach Monaten der Haft zu einer rechtlichen Prüfung, stellte sich immer wieder heraus: Der Freiheitsentzug war nicht rechtmäßig. So dokumentierte Peter Fahlbusch, Rechtsanwalt, der seit 2001 rund 2.000 Abschiebegefangene vertreten hat, dass in etwa 50 Prozent der Fälle die Freiheitsentziehung nicht rechtmäßig war. Festgestellt wurde das aber oft erst nach vollzogener Abschiebung - das macht mutmaßlich etwa 5.000 unrechtmäßig Inhaftierte alleine im vergangenen Jahr.

Eine sudanesische Aktivistin, Iman S., die am Mikrofon der Kundgebung am Ernst-August-Platz sprach, stellte klar: „Wir sind heute hier, um unser Recht auf Leben zu verteidigen!" Im Juli 2019 habe die Bundesregierung beschlossen, sudanesische Geflüchtete abzuschieben, dabei drohe im Sudan nach wie vor Krieg und Verfolgung, es fehle nur Berichterstattung in deutschen Medien dazu. „Wir werden Zeugen eines ernsthaften Verfalls der Werte und Moral der institutionellen Praxis", sagt sie.

Geboren in Deutschland

Erst in der vergangenen Woche war es in Niedersachsen wieder zu mindestens einer Abschiebung gekommen: Ein 20-jähriger Rom aus Göttingen, der in Deutschland geboren wurde und hier aufwuchs, wurde nach Serbien abgeschoben. Laut Berichten des Göttinger Tageblatts kann der junge Mann weder die serbische Sprache, noch sei er jemals in Serbien gewesen. Ein ähnlicher Fall ereignete sich in Peine, wo eine 18-Jährige ebenfalls nach Serbien abgeschoben werden sollte.

Und auf Bundesebene scheint es den Wunsch nach mehr Abschiebungen zu geben. Die schwarz-rote Koalition kippte kürzlich den Abschiebestopp nach Syrien und will ab Januar Straftäter und Gefährder in das von Bürgerkrieg erschütterte Land abschieben, wo Folter droht.

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