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Feature

Gesetz in Gefahr

Zeitschrift Internationale Politik | März/April 2016


Verminderung des Atomstromanteils, Energieeffizienz, Förderung der erneuerbaren Energien: Das Gesetz zur französischen Energiewende ist ambitioniert. Doch es bleibt in vielen Punkten unklar – und die Widerstände sind groß.


Am Ende flossen in Paris Freudentränen. Selbst der französische Außenminister Laurent Fabius war bei seiner Schlussrede auf der Klimakonferenz so bewegt, dass seine Stimme bebte und die Augen feucht wurden. Der 69-jährige Leiter der COP21, den die internationalen Medien als Gehirn der diplomatischen Klima-Task-Force bezeichneten, bekam Standing Ovations für seine Arbeit. Neben ihm stand Frankreichs Präsident Francois Hollande und applaudierte ihm zu, auch er war sichtlich zufrieden. 2017 ist in Frankreich Präsidentschaftswahl. Der Klima-Erfolg von Paris verschafft dem sozialistischen Präsidenten in seiner Regierungsbilanz ein dickes Plus – was er bei seinen schlechten Umfragewerten dringend benötigt.


Bereits lange vor der Konferenz war dem Gastgeber Frankreich klar: Will man diesen Erfolg erreichen, muss man glaubhaft überzeugen können – und folglich ein Vorbild sein in der Klimapolitik. Zwar mit zwei Jahren Verspätung, aber noch rechtzeitig vor der COP 21 verabschiedete die Nationalversammlung Ende Juli 2015 das Gesetz zur französischen Energiewende, der sogenannten „transition énergétique“. Der Präsident bezeichnete dieses Projekt sogar als einen Meilenstein seiner Amtszeit.

 

Dieses „Gesetz des energiepolitischen Übergang für grünes Wachstum“ klingt ambitioniert:

 

+ Schon während des Präsidentschaftswahlkampfs 2012 hatte Hollande angekündigt, dass der Anteil der Kernenergie an der Stromversorgung bis 2025 von 75 Prozent auf 50 Prozent sinken soll. Für die Atomnation mit ihren 58 von der Électricité de France (EDF) betriebenen Reaktoren ist dieser Schritt eine kleine Revolution. Konservative Abgeordnete im Senat und die Atomlobby kämpften heftig gegen dieses Datum, nun steht leicht abgeschwächt „gegen das Jahr 2025“ im Gesetz.

 

+ Das Land will seinen Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 um 40 Prozent senken (im Vergleich zu 1990), wie es eine EU-Vorgabe fordert.

 

+ Ebenso im Jahr 2030 soll der Anteil der erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch 32 Prozent betragen (2012 lag der Anteil bei knapp 14 Prozent).

 

+ Der Verbrauch fossiler Energien wie Erdöl und Kohle soll bis 2030 um 30 Prozent gesenkt werden (im Vergleich zu 2012).

 

+ Geplant ist zudem, den Energieverbrauch in Frankreich bis 2050 zu halbieren (im Vergleich zu 2012) – kein anderes Land setzt sich dieses hochgesteckte Ziel. 2030 will man bereits 20 Prozent weniger verbrauchen.

 

Frankreichs Ministerin für Umwelt, nachhaltige Entwicklung und Energie, Ségolène Royal, verspricht sich von dem Gesetz 100000 Arbeitsplätze in den kommenden drei Jahren und mehr Kaufkraft für die Haushalte. Es sei das ehrgeizigste Energie- und Klima-Projekt in Europa.

 

Wenn es denn so kommt. „In den kommenden zwei Jahren besteht das Risiko, dass die Klima-Bemühungen stark nachlassen“, sagt der Energie- und Klimapolitikexperte Andreas Rüdinger, der für das Institut für Nachhaltige Entwicklung und Internationale Beziehungen in Paris (IDDRI) forscht. „2017 ist Präsidentschaftswahl: Da will keine Partei mehr große Risiken eingehen, die Themen Sicherheit und Arbeitslosigkeit haben Priorität.“

 

Das Klimaschutz-Abkommen vom Paris werde der französischen Energiewende einen Schub verleihen, hatte Royal bereits vor der COP21 gesagt. Allerdings gibt das beschlossene Gesetz zwar einen Rahmen vor, die konkreten Schritte müssen aber erst noch von den Ministerien durch weitere Dekrete und Richtlinien auf den Weg gebracht werden. „Anders als in Deutschland, wo zum Beispiel das Erneuerbare-Energien-Gesetz bereits alles bis auf den Cent genau regelt, legen in Frankreich erst die Dekrete die Details fest. Das kann bis zu drei Jahre dauern und geht zu Lasten der Rechtssicherheit“, sagt Andreas Rüdinger. Die Umweltverbände Réseau action climat und Réseau pour la transition énergétique kommentierten denn auch das Gesetz als „nützlichen Kurs mit interessanten Zielen“. Das Wichtigste stünde aber noch aus.

 

Trotz Gesetz gibt es also viele Fragezeichen – vor allem was den Plan angeht, den Anteil des Atomstroms am Energiemix zu senken. Frankreich ist Atomstromland par excellence – und die Katastrophe von Fukushima hat den Glauben an die Sicherheit der eigenen Nuklearindustrie nicht so sehr erschüttert wie in Deutschland. Von einem Ausstieg kann keine Rede sein: In der Klimadebatte ist für viele Franzosen die Atomenergie eine pure Notwendigkeit, um den CO2-Ausstoß zu mindern. Gerne verweisen die Franzosen dabei auf Deutschland, das laut Internationaler Energieagentur einen CO2-Außstoß pro Einwohner von 9,3 Tonnen hat, Frankreich dagegen nur 5,5 Tonnen (Zahlen 2012). Deutschland steht damit bei den Treibhausgaswerten in der EU an der Spitze.

 

Hollandes Wahlversprechen, das dienstälteste AKW in Fessenheim noch vor dem Ende seiner Amtszeit im Mai 2017 abzuschalten, sorgte für Furore. Vor allem die konservative Opposition macht Front gegen die Abschalt-Pläne und mahnte, dass Frankreich durch seine Atomenergie unabhängig sei. Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, Parteichef der Republikaner (Les Républicains, LR), hat bereits angekündigt, Fessenheim am Netz zu lassen, sollte er 2017 wieder Präsident werden.

 

Die Opposition warnt vor steigenden Energiepreisen, die der Industrie schaden würden. In Zeiten, wo die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch wie in Deutschland ist, verweisen AKW-Befürworter auf die 400000 direkten Arbeitsplätze, die die Branche schaffe. Man erhofft sich für die Zukunft sogar große Export-Erfolge in der Nuklearindustrie.

 

Experten hatten zunächst geschätzt, dass bis zu 20 Reaktoren abgeschaltet werden müssten, wolle man die Senkung des Atomanteils Realität werden lassen. Doch im Gesetz steht kein einziges Wort von stillgelegten Meilern – was grüne Politiker und Umweltorganisationen scharf kritisieren.

 

Die Regierung fürchtete wohl enorme Entschädigungsforderungen von Seiten der EDF. Deshalb beschritt man einen anderen Weg und lässt dem Konzern zunächst Freiheit bei den Reaktorentscheidungen. Das Gesetz schreibt nur eine Kapazitätsobergrenze von 63,2 Gigawatt vor, was der heutigen Leistung der Atomkraftwerke entspricht. Theoretisch müsste also ein Kraftwerk abgeschaltet werden, wenn der neue Europäische Druckwasserreaktor EPR ans Netz geht, den der Atomkonzern Areva derzeit im normannischen Flamanville baut. Doch das Vorzeigeprojekt der Atomindustrie sorgt derzeit vor allem wegen Mängeln am Reaktorbehälter für Schlagzeilen. Der Pannen-EPR wird wohl kaum 2017 in Betrieb gehen können.

 

Sicher ist also, dass die Kühltürme der Atommeiler weiterhin zum Landschaftsbild in Frankreich gehören werden. Doch die erneuerbaren Energien legen zu. Deren Anteil beim verbrauchten Strom zwischen Juli 2014 und Juni 2015 betrug 19,4 Prozent. Davon stammen allein 60 Prozent aus Wasserenergie (nämlich 25,4 GW; Wind 9,8 GW, Photovoltaik 5,7 GW, Bioenergie 1,7 GW laut einer Studie des Stromnetzbetreibers RTE, des Stromlieferanten ERDF und des Verbands Erneuerbare Energien). Die konkreten Ziele für die einzelnen Energiearten – Atom, Wind, Wasser, Sonne, Biogas - werden ab 2016 in mehrjährigen Energieprogrammen festgelegt, die EDF mit der Regierung aushandeln muss. Die Atomlobby tut derzeit ihr Bestes, diese Programme zu verzögern oder zu beeinflussen.

 

Dennoch überwindet das Land unübersehbar eine lang gewachsene wirtschaftlich-kulturelle Hürde. Frankreich ist bei der Stromversorgung immer noch zentralistisch ausgerichtet, der staatliche Stromanbieter EDF hat das Monopol. Doch jetzt entstehen – auch dank weniger bürokratischer Hürden - auf regionaler Ebene mehr und mehr eigene Strom-Inseln mit Holzheizkraftwerken, Methangasanlagen und Solarparks.

 

Viele dieser Ökoenergie-Projekte entstehen landauf landab durch das Programm „Territoires à énergie positive“, für das Energieministerin Royal vehement wirbt. Einzelne Gemeinden und Zusammenschlüsse, die lokale Klimaschutzprojekte starten, können sich bewerben für einen Unterstützungs-Scheck in Höhe von 500000 Euro und mehr. Da erhalten öffentliche Gebäude eine Wärmedämmung, der Fuhrpark einer Gemeinde wird auf Elektrofahrzeuge umgestellt, kleine Windrad- oder Solarparks errichtet oder pädagogische Klima- und Umweltschutzprojekte gestartet. Über 500 Verträge für solche Initiativen liegen vor, in die mehr als 20000 Kommunen eingebunden sind. Rund 250 erhalten bereits eine Förderung.

 

Doch im Vergleich zu Deutschland geht der Ausbau der erneuerbaren Energien eher schleppend voran. „Der Ausbau der Photovoltaik wurde mehrere Male gebremst, um zu verhindern, dass es in Frankreich wie in Deutschland zum Phänomen der steigenden EEG-Umlage kommt“, sagt Andreas Rüdinger. Und bei der Windkraft sorgen vor allem die komplexen Genehmigungsverfahren dafür, dass neue Projekte sich lange hinziehen.

 

Was die Treibhausgas-Emissionen betrifft, hat die Regierung vor allem die Problembereiche Gebäude- und Transportsektor im Visier:

 

Zunächst die Sanierung und Wärmedämmung der Gebäude, die fast die Hälfte des Energieverbrauchs des Landes ausmachen. In Frankreich sind viele Häuser sehr schlecht isoliert, die Qualität vieler Fenster miserabel. Immobilienbesitzer müssen bei anstehenden Renovierungen die Häuser und Wohnungen energetisch sanieren, öffentliche Neubauten sollen in Niedrigenergie-Weise erbaut werden. Bisher hatten ähnliche Förderprogramme wenig Erfolg. Allein im Bausektor sollen 75000 Stellen geschaffen werden, wenn das Ziel von 500000 energetische Renovierungen pro Jahr ab 2017 erreicht werde, hofft Royal. Dieses hohe Ziel scheint zweifelhaft, schafft man derzeit nur  150000 pro Jahr.

 

Das Transportwesen wiederum ist verantwortlich für mehr als ein Viertel der Treibhausgasemissionen. Der Fuhrpark von staatlichen Behörden soll zu 50 Prozent auf schadstoffarme Autos umgestellt werden, aber auch Taxis und  Autovermieter sollen von Diesel auf Elektrofahrzeuge umstellen. Landesweit sollen sieben Millionen neue Ladestationen für Elektroautos errichtet werden. Wer seinen Dieselwagen gegen ein  Elektroauto austauscht, kann mit einer Prämie bis zu 10000 Euro rechnen. Firmen mit mehr als 100 Beschäftigen sollen einen „Mobilitätsplan“ erstellen, der auf Mitfahrgelegenheiten und öffentliche Verkehrsmittel setzt. Klimaexperten kritisieren, dass das viel zu wenig sei und auch er öffentliche Nahverkehr nicht berücksichtigt werde.

 

Zudem soll auch die CO2-Steuer erhöht werden von derzeit 14,50 Euro pro Tonne auf 56 Euro im Jahr 2020 bis zu 100 Euro im Jahr 2030. Auch die Abfallwirtschaft soll gestärkt werden: Das Recycling soll ausgebaut und die Restmüllmenge bis 2025 halbiert werden. Einweg-Plastiktüten werden bereits in diesem Jahr verboten.

 

Energieministerin Ségolène Royal stellt für die kommenden drei Jahre für die Energiewende zehn Milliarden Euro als Darlehen für Kommunen zur Verfügung – dazu gibt es noch Steuerfreibeträge, Rabatte, Boni, zinslose Darlehen. „Der Betrag ist zu wenig. Studien zeigen, dass 30 bis 50 Milliarden Euro Gesamtinvestitionen pro Jahr nötig wären.  In Frankreich fehlt leider ein groß angelegtes Finanzierungsinstrument wie die KfW in Deutschland“, sagt Andreas Rüdinger. Die leeren Kassen und Frankreichs hohe Ausgaben für den Anti-Terror-Einsatz bergen zudem noch viele finanzielle Risiken für diese Energiewende.

 

Großstädte wie Paris wollen derweil starke Zeichen setzen. Die sozialistische Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo will zeigen, dass die Metropolen und Großräume eine vorbildhafte Schlüsselposition einnehmen beim Kampf gegen den Klimawandel. Die Stromrechnung von Paris im Jahr beträgt 32 Millionen Euro (282 Gigawattstunden). Sie kündigte an, dass ab 2016 alle städtischen Gebäude sowie die Straßenbeleuchtung mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen versorgt werden.