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Kolumne

"Darf man hässliche Menschen verstecken?"

Geo | 09.2015   Moral International / Gewissensfragen anderswo

 

Ein Restaurant in Paris vergibt Fensterplätze nur an attraktive Gäste. Der Philosoph Charles Pépin hat das für uns ethisch bewertet.

„Niemand kann dem Wirt des Lokals die ästhetische Diskriminierung verbieten; ich glaube aber nicht, dass sie gut ist für sein Geschäft ist. Viele Gäste werden wegbleiben, weil sie sich unerwünscht fühlen.

Als Philosoph sehe ich auch ethische Probleme: Es ist unmoralisch, schöne Menschen zu instrumentalisieren, um Kundschaft anzulocken. So betrachtet man Menschen nur als Mittel, anstatt sie zu bewundern und zu respektieren. Schönheit erzeugt laut Immanuel Kant ‚interesseloses Wohlgefallen’. Der Restaurantbesitzer läuft dem zuwider mit seinem Kalkül.

Aber: Ist das Verhalten des Restaurantbesitzers unmoralischer als das eines Mannes, der eine schöne Frau an seinem Arm benutzt, um sich Geltung zu verschaffen? Wir alle instrumentalisieren oft  andere Menschen – bei der Arbeit und auch im Privatleben.

Doch es gibt auch noch das Problem der Ästhetik: Jeder Betrachter fällt über Schönheit oder Hässlichkeit selbst sein Urteil. Der Wirt aber glaubt zu wissen, was für andere schön ist und entzieht den Leuten ihre Entscheidungsfreiheit.

Wer glaubt,  dass die Gettoisierung der Hässlichen typisch für das modische Paris sei, der irrt. Wir haben es hier mit einer Beleidigung der Pariser Seele zu tun. Paris ist vor allem die Stadt der Freiheit!

Die Pariserin nimmt sich diese Freiheit, etwa um Schönheit selbst zu erfinden. Außergewöhnlichkeit, Widersprüchlichkeit – das macht wahre Schönheit aus. Diese lässt keine simple Auswahl zu, wie sie in diesem Lokal passiert. Zudem erkennt man die Schönheit der Hässlichen oft erst auf den zweiten Blick. Dann erscheint sie oft schöner als die Schönheit der Schönen.

Der Restaurantbesitzer hat seinen Angestellten eine Ausnahme erlaubt. Hässliche dürfen vorne sitzen, wenn sie Stars sind oder berühmt. Was heißt das? Berühmte Menschen haben also das Recht, hässlich zu sein. Aber eine Welt, in der Berühmtsein allein schon einen Wert darstellt, ist eine hässliche Welt.

In Frankreich gab es viele Männer, die man eher für hässlich hält, die aber große Verführer waren. Serge Gainsbourg zum Beispiel. Und gerade er sagt weit mehr über den Esprit Frankreichs aus als dieses Aussortier-Restaurant.

Übrigens: In Paris reservieren sehr viele ihren Tisch per Telefon oder Internet. Was dann?“

 

Charles Pépin (Jahrgang 1973) ist Philosoph, Schriftsteller und Journalist in Paris. Er hat mehrere Handbücher und Comics zur Philosophie geschrieben sowie einen Essay mit dem Titel „Wenn uns die Schönheit rettet“. Sein Philosophie-Comic „Planet der Weisen. Die Enzyklopädie der Philosophie“ erscheint auch auf Deutsch (Knaus-Verlag).

Protokoll: Michael Neubauer