chrismon: Herr Herrlich, Sie wollten Frau Teege unbedingt treffen. Warum?
Heiko Herrlich: Mein Sohn, er ist 14 Jahre alt, hatte das Thema Nationalsozialismus in der Schule. Aber in dem Alter interessiert dich das nicht unbedingt. Bei mir selbst entwickelte sich erst mit Anfang 20 das Interesse für diesen Teil der deutschen Geschichte, da habe ich alles, was es an Informationen dazu gab, in mich aufgesogen. Ich habe meinen Sohn auf das Thema angesprochen, aber es kam nicht viel dabei raus. Also habe ich gesagt: Ich würde gern mit dir den Film "Schindlers Liste" schauen. Am nächsten Tag hatte er den echten Oskar Schindler als Whatsapp-Profilbild. Als ich den Film 1994 gesehen habe, wollte ich auch mehr wissen. Ich fand die Person des KZ-Kommandanten Amon Göth pervers, Ralph Fiennes hat ihn faszinierend gut gespielt. Ich habe mich immer gefragt: Wie wird man so? Jeder Mensch hat doch eigentlich etwas Gutes in sich ...
Jennifer Teege: Ja, ich unterscheide zwischen Tätern und Mittätern. Mittäter sind die Menschen, die sich nicht im juristischen Sinne schuldig gemacht haben, die aber ein System unterstützt und es an die Macht haben kommen lassen. Amon Göth, mein Großvater, war Täter. Er hat viele Menschen erschossen, einfach so. Er hat den Tod Tausender Menschen zu verantworten und wurde 1946 gehängt. Wie es mit ihm so weit gekommen ist? Ich weiß es nicht. Ich glaube, er hatte eine beschädigte, sadistische Persönlichkeit - und im NS-System konnte er diese Persönlichkeit entfalten.
Herrlich: Wie sehr der Krieg bis heute nachwirkt! Mein Großvater war tschechischer Zwangsarbeiter in Mannheim und hatte mit meiner Oma ein Verhältnis. Dafür hätte man ihn hingerichtet. Also hat man das Kind einem Deutschen untergeschoben - meinem Stiefopa, Erich Herrlich. Mein Vater erfuhr am Sterbebett von seiner Mutter: "Dein Vater heißt Alois Nedorostek, du bist gar kein Herrlich. Ich weiß nicht, ob der Mann noch lebt." 1978, nach fast zehn Jahren, hat mein Vater seinen Vater gefunden. Ich kann mich erinnern, wie wir im Schwarzwald bei uns im Garten Fotos gemacht haben. Mein Vater hat die Bilder nach Tschechien geschickt und geschrieben: "Ich bin dein Sohn. Ich würde dich gerne treffen." Der Alois ist dann zu seiner Frau und hat gesagt: "Ich habe einen Sohn in Deutschland. Er ist erwachsen. Kann ich ihn kennenlernen?" Und die Babetschka, seine Frau, sagte: "Du musst! Das ist dein Kind!" Ich war dabei, als mein Vater seinen Vater das erste Mal umarmt hat. Und die Babetschka hat ihn wie ein eigenes Kind betrachtet. Die gute Frau ist vor vier Jahren gestorben. Mein Vater hat einen ganz engen Draht zu seinen Halbgeschwistern. Auch deswegen bewegt mich Ihre Geschichte so.
Frau Teege, Sie haben vor zehn Jahren zufällig herausgefunden, wer Ihr Großvater war. Welche Rolle spielt das heute in Ihrem Leben?
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