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Schulterschluss am Strand von Sousse

Sousse - Bevor die Minister kommen, bringen Mitarbeiter des Hotels „Imperial Marhaba" mehr Blumen an den Strand, drapieren sie im Sand und übergießen sie mit Wasser. Vermummte tunesische Soldaten mit Sturmgewehren haben sich zwischen Meer und Plastikliegen aufgestellt, um den Ort des Gedenkens zu sichern. Am Freitag hat ein junger Student hier 38 Menschen erschossen, bevor er selbst von Sicherheitskräften getötet wurde. Mindestens zwei Deutsche waren unter den Toten, die zum großen Teil aus Großbritannien stammten.

Drei Tage später sind Regierungsvertreter aus den betroffenen Ländern zu einem Solidaritätsbesuch in die tunesische Küstenregion bei Sousse gekommen - unter ihnen ist Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Gemeinsam mit den anderen Ministern legt der CDU-Politiker Blumensträuße am Strand nieder, dort wo die Terrorattacke am Freitag begann. „Wir sind hierhergekommen, um Solidarität zu zeigen mit dieser jungen und immer noch verletzlichen Demokratie", sagt er später auf einer Pressekonferenz.

„Kampf unserer Generation"

Die britische Innenministerin Theresa May betont in Sousse: „Wir werden gemeinsam daran arbeiten, unsere Werte zu verteidigen." Der britische Premierminister David Cameron bezeichnet die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) als „existenzielle Gefahr". „Es wird der Kampf unserer Generation sein, und wir müssen ihn kämpfen mit all unseren Mitteln", sagt er dem BBC-Hörfunk.

Der jüngste Angriff auf Touristen - 100 Tage nach der Attacke auf das Bardo-Museum in Tunis mit mehr als 20 Toten - macht deutlich, wie fragil die Sicherheitslage in dem kleinen nordafrikanischen Land ist, das den Übergang in die Demokratie im Gegensatz zu seinen arabischen Nachbarn vorbildlich meisterte. An der Grenze zu Algerien sind Anhänger des Terrornetzwerks Al-Kaida aktiv, in Libyen wird die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im dortigen Machtvakuum immer stärker.

Nach Schätzungen der tunesischen Regierung kämpfen 3000 Staatsbürger in den Reihen des IS. Das Land mit seinen elf Millionen Einwohnern stellt damit die meisten Ausländer unter den Dschihadisten in Syrien und Irak. Europa und die USA befürchten eine Ausweitung des IS-„Kalifats" in unmittelbarer Nähe zu Europa. Dies würde das Risiko terroristischer Anschläge erhöhen und auch die Flüchtlingskrise im Mittelmeer weiter verschärfen.

Neben der Leuchtturmfunktion für die Region hat Tunesien deshalb eine strategisch bedeutende Rolle. Viele für Libyen zuständige Diplomaten arbeiten inzwischen von Tunis aus - denn das Nachbarland ist zu gefährlich. Präsident Béji Caïd Essebsi wurde im Mai im Weißen Haus empfangen und im Juni zum G7-Gipfel ins bayerische Elmau eingeladen. Die USA will Tunesien zu einem bedeutenden Alliierten außerhalb der Nato machen.

Besserer Schutz der Urlauber

Europa braucht Tunesien als Sicherheitspartner und Tunesien braucht die Touristen aus Europa - immerhin leben rund 400 000 Menschen in dem Elf-Millionen-Einwohner-Land von diesem Wirtschaftszweig. So verspricht die tunesische Regierung, zusätzliche Sicherheitskräfte an den Hotels zu postieren. Moscheen, in denen Hassprediger aktiv sind, werden geschlossen.

Was das allerdings für die Reiseempfehlungen der europäischen Länder an Urlauber bedeutet, bleibt zunächst unklar. Deutschland rät nicht generell von Reisen nach Tunesien ab, empfiehlt aber Besuchern, „besondere Vorsicht walten zu lassen". De Maizière verspricht: „Wir geben unsere Reiseempfehlungen verantwortungsvoll und umsichtig."

Nach der Bardo-Attacke ist es nun das zweite Mal seit dem Sturz von Langzeitherrscher Zine el Abidine Ben Ali 2011, dass Touristen bei einem extremistischen Angriff getötet wurden. Nun sollen die maroden Sicherheitsstrukturen gestärkt werden. Deutschland hilft bei der Weiterbildung der Sicherheitskräfte und hat Wärmebildkameras und Schutzwesten zum Grenzschutz geliefert.

Wenn aber der Tourismus einbricht und die Wirtschaftskrise im Land sich verschärft, kann auch der stärkste Sicherheitsapparat eine Radikalisierung von Menschen nicht stoppen, die ohne Hoffnung sind.

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