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Mini-Partner der NATO - Tunis wird in Anti-Terror-Kampf eingebunden

Tunis (APA/dpa) - Nach der Eroberung der wichtigen libyschen Hafenstadt Sirte gingen die Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zur üblichen Machtdemonstration über. In einem langen Konvoi aus Pickup-Trucks, auf deren Ladeflächen vermummte Jihadisten mit Sturmgewehren standen, fuhren sie durch die Heimatregion des 2011 gestürzten Diktators Muammar al-Gaddafi.

So war es zumindest in einem ihrer Propagandavideos zu sehen. Der Vormarsch der sunnitischen Extremisten in Nordafrika versetzt die arabischen Nachbarn sowie Europa und die USA in Alarmbereitschaft. Denn Brüssel und Washington befürchten eine Ausweitung des IS-"Kalifats" in unmittelbarer Nähe zu Europa, welches das Risiko terroristischer Anschläge erhöhen und die Flüchtlingskrise im Mittelmeer weiter verschärfen würde. Nun wird Tunesien zu einem sicherheitspolitischen Partner aufgebaut.

Die US-Regierung legt sich zumindest öffentlich mächtig ins Zeug, um die Beziehung zwischen Amerika und Tunesien zu intensivieren. Präsident Barack Obama empfing seinen Kollegen Beji Caid Essebsi im Mai sehr freundschaftlich im Weißen Haus und machte viele Zusagen, darunter die Verdoppelung wirtschaftlicher Hilfen. Am wichtigsten war jedoch Obamas Entscheidung, Tunesien zu einem bedeutenden Alliierten außerhalb der NATO machen zu wollen.

Die Bemühungen Washingtons um das Land sind freilich scharf kalkuliert. Die Amerikaner fürchten, dass sich weitere junge Tunesier islamistischen Gruppen in Libyen, Syrien oder dem Irak anschließen - oder das sich die Terrororganisation in dem Land fest einrichtet. Nach Schätzungen der tunesischen Regierung kämpfen bereits 3000 Staatsbürger in den Reihen des IS. Das Land mit seinen elf Millionen Einwohnern stellt damit die meisten Ausländer unter den Jihadisten in Syrien und Irak. Dabei ist Tunesien strategisch sehr wichtig: Viele für Libyen zuständige westliche Diplomaten arbeiten von Tunis aus, Tripolis ist zu gefährlich.

Von den mehr als 130 Millionen Dollar (114,6 Mio. Euro), die Obama für das kommende Jahr beim Kongress für Tunis beantragt hat, fließt die deutliche Mehrheit in den Anti-Terror-Kampf des tunesischen Militärs. Für Investitionen in die Wirtschaft und Zivilgesellschaft bleibe alles in allem nicht mal ein Fünftel übrig, meinen manche Politik-Experten in Washington.

Dabei ist die Wirtschaftskrise in dem Land, das als einziges nach den Umstürzen 2011 den Übergang zur Demokratie schaffte, einer der Hauptgründe für die Radikalisierung von Jugendlichen. „Tunesien hat massive interne Probleme, die es dem Land kaum erlauben, eine wichtige Rolle in einer regionalen Sicherheitsarchitektur anzunehmen", warnt Katrin Sold, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Centrum für Nah- und Mittelost-Studien der Philipps-Universität in Marburg im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Doch die Aufrüstung der maroden Sicherheitsstrukturen läuft bereits an. Bis Ende 2016 soll Tunesien acht Black-Hawk-Hubschrauber bekommen, die erste Charge von insgesamt zwölf, die das Land bestellt hat. Einige Patrouillenboote aus Italien werden schon von Tunesien eingesetzt, um Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer zu suchen. Über eine Drohnenstationierung wird spekuliert.

„Wenn sich Tunesien destabilisieren würde, hätte das verheerende Konsequenzen. Dann könnten sich militante Gruppen aus Libyen weiter ausbreiten und die Herausforderungen bei der Migration würden noch größer werden", sagt Isabelle Werenfels, Leiterin der Forschungsgruppe Naher-, Mittlerer Osten und Afrika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Europäer und Amerikaner haben Interesse daran, dass Tunesien als Demokratie ein Gegenpol zu den anderen Ländern in der Region wird. Sie hoffen, dass dies dann letztlich auch auf die Nachbarländer abfärbt."

Erst im März war deutlich geworden, wie gefährdet Tunesien ist: Terroristen griffen das berühmte Bardo-Museum in der Hauptstadt an und töteten mehr als 20 Menschen. Als daraufhin Hunderte bei der Facebook-Kampagne „I will come to Tunisia this Summer" ihre Solidarität ausdrückten, meldeten sich auch Jihadisten zu Wort. Vermummte Kämpfer kündigten an, dass auch sie im Sommer nach Tunesien kommen wollten.

Die Amerikaner scheinen sich auf schwierige Zeiten einzustellen: Washington nominierte Daniel Rubinstein zum neuen Botschafter in Tunis. Der erfahrene Nahost-Experte war zuvor Sondergesandter in Syrien.


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