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Vergessene Krise: Wie die EU vor Mauretanien Flüchtlingsboote stoppt

Mit einem Militäreinsatz gegen Schleuser will die EU Flüchtlingsboote aufhalten. Vor Mauretanien wurde der Seeweg nach Spanien schon vor Jahren blockiert - und die Menschen vergessen.


Nouakchott - Vor der Küste von Nouakchott treiben am Nachmittag Dutzende Holzboote im Wasser. Dort, wo die Wellen noch nicht brechen, warten Fischer, bis sie an Land gezogen werden. An Bord haben sie Seezungen, Doraden und Zackenbarsche aus einem der fischreichsten Gewässer der Welt, dem Meer vor Mauretanien. Die meisten Männer auf den Booten aber stammen aus dem Senegal. Sie waren einst auf der Durchreise - und blieben hier hängen. Über den Atlantik wollten sie auf die kanarischen Inseln flüchten, die 800 Kilometer nördlich liegen.

Im Jahr 2006 war die sogenannte Westafrikaroute einer der Hauptwege nach Europa für jene, die auf legale Weise nicht einreisen konnten. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex verzeichnete damals auf den zu Spanien gehörenden Inseln knapp 32 000 "illegale Grenzüberschreitungen" - damals die meisten in Europa. Die Europäische Union und Spanien reagierten: Sie schlossen mit Mauretanien Abkommen zur Grenzsicherung, außerdem Vereinbarungen zur Rückführung der Menschen in ihre Heimatländer. Die Küste wird seitdem überwacht von Schiffen der spanischen Guardia Civil, Radarstationen und gemeinsamen Patrouillen mit den mauretanischen Sicherheitskräften. 2007 sank die Zahl der Migranten, die auf den Kanaren ankamen, um 60 Prozent. Heute schaffen es nur noch wenige über diesen Weg nach Europa.

Mauretanien ist zu einer Art Wartesaal für Flüchtlinge geworden. In den Straßen Nouakchotts verkaufen Männer, die den lokalen arabischen Dialekt Hassanija nicht sprechen, Guthabenkarten für Mobiltelefone. Kinder laufen an den Autos entlang und betteln. Die meisten Migranten hier stammen aus dem benachbarten Senegal. Was die Krise aber noch verschärft: Aus dem Konfliktland Mali sind Menschen in Scharen vor den Kämpfen zwischen Tuareg-Rebellen und der Armee geflohen.

Fast 50 000 dieser Flüchtlinge sind in einem großen Camp an der südöstlichen Grenze untergebracht. Einige sind weiter nach Nouakchott gezogen, wo sie als Billigarbeiter in Restaurants, in der Landwirtschaft, der Fischerei oder als Wachleute arbeiten - wie Fati Wallett Mohammed Ali. Sie stammt aus dem Norden Malis, wo sie den dortigen Massakern entflohen ist und bewacht einen Rohbau Tag und Nacht. "Ich fühle mich unsicher. Wenn Einbrecher kommen, bin ich denen völlig ausgeliefert", sagt sie. Auch wenn sie in großer Armut lebt, zurück in ihre Heimat will sie nicht - vor allem um das Leben ihrer Kinder zu schützen.

Da die Bewohner vieler benachbarter Länder ohne Visum nach Mauretanien einreisen können, fahndet die Polizei nach jenen, die länger bleiben, als sie dürfen. Eine Aufenthaltsgenehmigung kostet für ein Jahr pro Person etwa ein Monatsgehalt, umgerechnet knapp 90 Euro. Für viele ist das nicht leistbar. Sie führen deshalb ein Leben in Angst vor Abschiebung. Die Flüchtlingskrise ist zwar für Europa nicht mehr sichtbar, gelöst wurde sie aber nicht. Anke Strauss, Leiterin der Mission der Internationalen Organisation für Migration (OIM), ist sich sicher: "Sobald die Überwachung der Küste und die Kontrollen der mauretanischen Behörden wegfallen, sind die Bootsflüchtlinge sofort wieder da."

Vor dem Gebäude des UN-Flüchtlingshilfswerks in Nouakchott campiert Mohamed Abdellah mit seiner Frau Najat und den vier Kindern. Sie sind aus der Westsahara geflohen, aus der "von Marokko besetzten Zone", wie er sagt, und wollen nach Europa. Er habe mehrfach wegen seiner Proteste gegen die marokkanische Regierung im Gefängnis gesessen und wolle nun ein Leben in "Freiheit und Würde" führen. Europa ist ein Ziel, das nur die wenigsten Flüchtlinge erreichen. Denn die internationalen Organisationen bemühen sich eher um eine freiwillige Rückkehr in die Heimat oder um eine Integration der Menschen vor Ort. Mohammed ist jedoch fest entschlossen. Er will sein Zelt nicht abbauen, bis ihm die Einreise nach Europa erlaubt wird.

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