Merlin Münch

Redakteur / Journalist, Berlin

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Der sechste Sinn des Lebens

Magneten im Finger und Chips unter der Haut? Was erstmal nach dem futuristischen Nachfolger vom Piercing klingt, hat einen anderen Hintergrund: Der neugegründete Berliner Cyborg e.V. will sich für die gesellschaftliche Akzeptanz der Maschinenmenschen einsetzen. Denn der Cyborg ist längst in der Gesellschaft angekommen, sagen die Vereinsgründer.

Technische Hilfsmittel und Implantate zur Bewusstseinserweiterung: Stefan Greiner vom Berliner Cyborg e.V. auf der re:publica 2014.


Als Stefan Greiner neulich in seiner WG einen Nagel in die Wand hauen wollte, ohne dabei auf eine Stromleitung zu stoßen, kam ihm sein eingebauter Magnet im linken Ringfinger sehr gelegen. Wasserkocher einstöpseln, Strom durch die Leitung jagen und mit der Hand genau abtasten, wo lang die Leitung läuft. Praktisch. Jedoch hat sich Greiner das Implantat nicht zum Heimwerken einsetzen lassen. In Kreisen der Selbstmodifizierer quasi das Einstiegsritual.


Cyborgs wie du und ich

Um die Differenzierung zwischen Mythos und Realität, Spaß und Ernst ging es den beiden Gründern des Berliner Cyborg e.V. auch in ihrem Panel heute auf der re:publica. Vor allem aber wollten sie für größere Akzeptanz gegenüber den Cyborgs werben. Mit heiserer Stimme verliest Nadja Buttendorf dazu auf der Bühne von Stage 4 vor knapp 200 Interessierten die Grundprinzipien des Vereins. Mit heiserer Stimme sagt sie, sie habe letzte Woche versucht ihre Stimmbänder mit GoogleTranslate zu vernetzen. Der Versuch sei wohl daneben gegangen. Scherz!


Etwas ernster fährt sie fort: "Wir wollen Gegensätze wie Virtualität und Realität, physisch und nicht physisch, Natur & Kultur aufheben. Wir wollen die Verwischung der Grenzen genießen!". Cyborgs lehnen Normen und Standards Bewusst ab. Sie stehen für Inklusion, ständige Veränderung, Verbundenheit mit ihrer Umwelt und begreifen sich mehr im "wir" als im "ich". Dennoch scheint es bei der ganzen Sache auch um Individualisierung und Abgrenzung zu gehen. Cyborg sein ist eben auch ein Statement.


Grenzgänger

Hinter der Subkultur lässt sich nämlich durchaus auch ein gutes Stück politische Motivation vermuten: Gegen den Effizienzdruck. Gegen das ständige schneller, höher, weiter der "kapitalistisch-liberalen" Weltgesellschaft. Auch wenn es doch so scheint betonen sie, dass es den Cyborgs eben nicht darum geht sich selbst zu optimieren, zumindest nicht als Folge von gesellschaftlichem oder ökonomischem Druck. Vor allem aber wollen sie sich und ihre Umwelt anders erfahren. Die eigne Wahrnehmung um eine, oder mehrere Dimensionen bereichern. Was LSD in Sachen Bewusstseinserweiterung also nicht schafft, oder zumindest nur kurzzeitig, soll jetzt und in Zukunft mithilfe verschiedener technischer Hilfsmittel vollbracht werden.


Vor allem aber versteht sich der Cyborg e.V. als Plattform zur Diskussion. Und Diskussionsbedarf gibt es. Denn Cyborgs, behaupten die beiden, sindmittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Wer mehr erfahren möchte wird herzlich zumnächsten Meeting des Cyborg e.V. in den Räumen der Wikimedia eingeladen. Alternativ kann man sich natürlich auch gleich einen RFID-chip einsetzen lassen. Im Internet gibt es die jetzt vorgefertigt mit Silikonhülle. Den Einbau sollte allerdings ein Experte übernehmen. Wir garantieren für nichts.


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