Drei Jahre lang wartete sie auf ihren Traumberuf. Gab die Hoffnung nie auf, einen der wenigen Ausbildungsplätze zu ergattern. Schon lange vor ihrem Abitur war für Ana da Costa klar: Sie will Hebamme werden. „Eine Alternative gab es nie", sagt die 24-Jährige. Ihre kleine Schwester kam zur Welt, als sie 16 war, gleichzeitig war ihre beste Freundin schwanger. Erlebnisse, die da Costa prägten. Sie absolvierte mehrere Praktika in Frankfurter Kreißsälen. Und aus einem Traum wurde Gewissheit: „Es ist das Schönste, dabei zu sein, wenn ein Mensch das Licht der Welt erblickt."
Nur: Es gab es keinen Platz für sie. In Hessen bilden die Wiesbadener HSK-Akademie sowie die Hebammenschulen in Kassel und Marburg Hebammen aus. Nirgendwo kam da Costa unter, trotz Abitur und Praktika. Doch sie war bereit, notfalls jahrelang auf ihren Platz zu warten. Schließlich zog sie nach Duisburg, um sich am Krankenhaus Bethesda ihren Berufswunsch zu erfüllen. Auch dort empfing man sie nicht gerade mit offenen Armen: Im Bewerbungsgespräch fragte ein Klinik-Verantwortlicher, ob sie nicht einen anderen Beruf erlernen wolle. Die Frage war verbunden mit einer Warnung. Die Warnung vor der größten Bedrohung ihrer Branche: der Haftpflichtprämie für Hebammen. Die wird im Juli um mehr als 20 Prozent erhöht – auf gut 5 000 Euro im Jahr. Viele Hebammen werden sich dann nur noch auf Vor- und Nachsorge der Babys beschränken. Das kostet weniger Versicherungsprämie.
Da Costa gab sich damals unbeeindruckt. Nun ist sie fast fertig mit ihrer Ausbildung, hat die praktischen Examen abgelegt. Die neuerliche Erhöhung macht ihr Angst. Wie den meisten der 21 400 Hebammen in Deutschland. Viele wissen nicht, wie es weitergehen soll.
„Noch geht die Anzahl der Hebammen nicht zurück", sagt Maren Borgerding vom Verband Deutscher Hebammen. „Aber im Jahr 2012 haben sich 25 Prozent der freiberuflichen Hebammen aus der Geburtshilfe zurückgezogen." In Ballungsräumen oder ländlichen Gebieten gibt es kaum noch Geburtshelferinnen. Wer die traditionelle Vor- und Nachsorge samt Geburt mit einer vertrauten Helferin wünscht, muss sich frühzeitig um eine Hebamme bemühen. „Klar, im Krankenhaus gibt es Hebammen", sagt Borgerding. Doch die bringen am Tag vier Kinder oder mehr auf die Welt. Da Costa hat erlebt, was das bedeutet: „Eine individuelle Betreuung ist da nicht mehr möglich." Doch gerade die ist vielen werdenden Müttern wichtig. Die Geburt soll von einer vertrauten Person begleitet werden. Ein wachsender Teil entschließt sich von vornherein, auf Wehen und Geburtsvorgang zu verzichten. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Kaiserschnitte in Deutschland verdop- pelt – bei rückgängiger Geburtenrate. Schon jedes dritte Kind wird operativ auf die Welt geholt. Borgerding ist sich sicher: „Diese Entwicklung hat mit dem Fehlen der Hebammen zu tun."
Um diesem Trend entgegenzuwirken, schlägt sie einen staatlichen Fonds vor, der ab einer gewissen Summe für die Hebammen haftet. Ursache für den Prämien-Anstieg sind stetig steigende Regressansprüche, in Einzelfällen bekommen geschädigte Eltern Schmerzensgelder in Millionenhöhe zugesprochen. Die Beträge richten sich nach dem mutmaßlichen Verdienst, der einem geschädigten Kind später entgeht, sowie den Kosten, die der Mutter durch die Betreuung dieses Kindes entstehen. Hebammen haften noch 30 Jahre nach der Entbindung. Borgerding kritisiert diese Regelung nicht. „Es ist ja gut, dass die Eltern mehr Entschädigungen fordern können", sagt sie.
Die Hebammen wiederum verdienen nicht mehr. Ihr Stundenlohn liegt bei etwa 8,50 Euro. Da Costa rechnet vor: „Das bedeutet, man muss circa 22 Geburten im Jahr voll betreuen – nur um die Haftpflichtprämie zu tilgen." Wer aus der Geburtshilfe aussteigt, muss mit Nachsorge oder Schwangerenbegleitkursen dreimal so viel arbeiten, um dasselbe Geld zu verdienen.
„Die Heil- und Behandlungskosten steigen pro Jahr um neun Prozent", sagt Bernd Hendges. Er ist Geschäftsführer des Versicherungsmaklers Securon, vermittelte die neue Versicherungsregelung. Dazu hatte er alle Versicherungen im deutschsprachigen In- und Ausland angefragt. „Die Schäden bei Geburten sind für die Versicherer unkontrollierbar geworden", erklärt er. Deswegen gibt es nur noch einen Anbieter, der Hebammen versichert. Ein Konsortium, bestehend aus der Versicherungskammer Bayern, der Nürnberger Versicherung und der R & V. Wobei die Nürnberger Versicherung bei der neuerlichen Regelung noch nicht verbindlich zugesagt hat. Hendges prophezeit: „Die Prämie wird immer weiter steigern." Zum Vergleich: 1981 musste eine Hebamme lediglich 30,68 Euro zahlen – pro Jahr.
Ein Haftungsfonds ist für Hendges nur eine kleine Lösung: Eine solche Rücklage wird irgendwann aufgebraucht sein. Hendges fordert von der Politik eine Regelung, die die Kalkulation der Schäden absehbar macht und die Regressansprüche begrenzt. Und: Hebammen müssen besser bezahlt werden. „Sonst ist ihr Berufsstand vom Aussterben bedroht."
Der Regierung ist die Problematik bekannt. Wegen der gerade erst abgeschlossenen Koalitionsverhandlungen hat sich noch kein neuer Ausschuss für Gesundheit gebildet. Von der CDU, die in der Regierung die größte und somit entscheidende Fraktion stellt, heißt es: „Es wird ein Gesetzgebungsverfahren geben." Marc Degen, Sprecher der Arbeitsgruppe Gesundheit, sagt: „Die Politik kann bei der Gestaltung der Haftpflichtprämie nicht eingreifen, weil sie nicht staatlich geregelt ist." Für ihn besteht die einzige Lösung darin, an der Vergütung der Hebammen zu drehen.
Im Koalitionsvertrag steht genau das. „Die Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung mit Geburtshilfe ist uns wichtig. Wir werden daher die Situation der Geburtshilfe und der Hebammen beobachten und für eine angemessene Vergütung sorgen." Zwei „recht schwammige" Sätze, wie Borgerding meint. Und in den Vertrag aufgenommen wurden sie erst auf Druck der Öffentlichkeit mithilfe einer Online-Petition. Der Verband deutscher Hebammen will mehr Druck auf den neuen Gesundheitsausschuss ausüben. Dieser wird sich in der ersten Sitzungswoche ab dem 13. Januar konstituieren.
Da Costa legt viel Hoffnungen auf diesen Termin. Im März wird sie mit den letzten Examen ihre Ausbildung beenden und ist darauf eingestellt, viel zu arbeiten – aber nicht fest angestellt, koste es, was es wolle. „Sonst wäre ich im System gefangen", sagt sie. „Und könnte mich nicht mit voller Leidenschaft jeder einzelnen Geburt widmen." Und genau das war immer ihr Traum gewesen.