MAINZ - Fast 112 Jahre ist Mainz 05 alt. Und zumindest die jüngere Vereinsgeschichte lässt sich in genau zwei Phasen unterteilen: vor und nach Jürgen Klopp. Seit er vom Spieler zum Trainer umfunktioniert worden ist, hat der Verein eine erstaunliche Entwicklung hingelegt. Mittlerweile erlebt er seine elfte Saison in der Bundesliga, spielt in einer neuen Arena vor zehntausenden Menschen. Zu dieser Entwicklung haben natürlich noch viele andere beigetragen. Die einen mehr, die anderen weniger. In unserer Serie „Was macht eigentlich...?" erzählen wir, was aus den kleinen und großen Helden von einst geworden ist.
Am Mittwoch tat Milorad Pekovic das, was Millionen andere Europäer auch taten: Er sah das Achtelfinale der Champions League, Atletico Madrid gegen Bayer Leverkusen. Und das, im Gegensatz zu den vielen normalen Zuschauern, aus nächster Nähe - Pekovic hospitiert gerade im Training von Atletico unter Diego Simeone. Bei Borussia Dortmund war er schon, hat Thomas Tuchel im Training über die Schulter geschaut. „Von diesen großen Trainern kann man natürlich viel lernen", sagt Pekovic. Nur selbst Fußball-Profi gewesen zu sein, reiche nicht, um auch ein Profi-Trainer zu werden. „Man muss auch die andere Perspektive kennen lernen und verinnerlichen." Genau das tut Pekovic also gerade. Er lässt sich zum Trainer ausbilden und ist wieder mittendrin im Fußball. Doch das war nicht immer so.
Wenn man im Sommer 2015 mit Pekovic sprach, erlebte man eine bislang eher ungewohnte Seite des ehemaligen Sechsers der 05er. Er, der niemals einen Zweikampf scheute, immer vollen Einsatz zeigte und sich schon traditionell in fast jedem Spiel eine Gelbe Karte abholte. Er, der 20 Jahre lang Profi gewesen war, seit ihrer Gründung für die Nationalmannschaft seines Heimatlandes Montenegro gespielt hatte. Und noch mit 37 Jahren seine Knochen für Eintracht Trier in der Regionalliga Südwest hingehalten hatte. Dort war sein Vertrag im Sommer 2015 ausgelaufen. Kurz danach hatte dieser Milorad Pekovic die Lust an seinem Sport verloren.
„Ich dachte erst mal, ich würde gar nichts mehr mit Fußball zu tun haben wollen", sagt der heute 39-Jährige. Zu schwierig sei dieser Cut gewesen. „20 Jahre lang lebte ich durch den Fußball ein Leben wie bei der Bundeswehr. Alles war geplant, alles war geregelt, ich musste nur trainieren und spielen." Doch dann war da plötzlich diese Leere. Pekovic wohnte weiter in Mainz-Finthen, verbrachte viel Zeit mit seiner Familie und gewann Abstand. „Nach zwei Monaten habe ich meinen Sport dann zu sehr vermisst", gesteht er. „Ich kann mir mein Leben ohne Fußball nicht vorstellen."
Im Sommer 2005 war er vom damaligen Zweitligisten Eintracht Trier an den Bruchweg in die Bundesliga gewechselt. Er brauchte etwas Eingewöhnungszeit, spielte die ersten fünf Spiele nicht. Die Mainzer verloren sie alle. Nach dem missglückten Saisonstart rückte Pekovic im Spiel in Kaiserslautern in die Startelf. Er sah zum Debüt gleich Gelb - und 05 gewann sein erstes Saisonspiel. Pekovic blieb im Team, er kämpfte mit Herz und viel Willen. „Meine Stärke war, dass ich nie aufgegeben habe", sagt er. „Gut, ein bisschen Können war vielleicht auch dabei..."
Viereinhalb Jahre spielte Pekovic im Mainzer Trikot, für keinen anderen Verein absolvierte er in seiner Karriere mehr Spiele. Und er schoss ein einziges Tor, nach dem Abstieg, Ende Oktober 2007 zu Hause gegen den FC Augsburg. „Klar erinnere ich mich daran", sagt Pekovic. „So viele Tore habe ich ja nicht geschossen, als dass ich das vergessen könnte." Einen Freistoß versenkte er zum 1:0 im Augsburger Kasten. „Das war ein super Tor! Mindestens!" Pekovic lacht. Und fügt an: „Ok, etwas Zufall war auch dabei." Warum er nicht öfter Freistöße geschossen hat? „Ich war nicht wirklich ein Spezialist darin." Pekovic mag kein großer Techniker gewesen sein. Ein großer Kämpfer aber war er zweifelsohne. Er besaß eine enorme mentale Stärke. „Die braucht man, um Profi zu werden." Qualität alleine reiche nicht, um sich auf höchstem Niveau durchzusetzen. „Man braucht den Willen und die Stärke im Kopf. Du musst dem Trainer immer wieder zeigen, dass er dich einsetzen muss und nicht einen anderen."
Als er mit 17, 18 Jahren am Anfang seiner Karriere stand, vermittelte ihm das keiner seiner Trainer. „Sie warfen uns einfach einen Ball hin und sagten: ‚Los, spielt Fußball.'" Pekovic entwickelte seine psychische Stärke von allein. Heute gibt er sie weiter - neben seiner Ausbildung zum Fußball-Lehrer arbeitet der frühere Mittelfeld-Abräumer seit Sommer 2016 als Co-Trainer der U 19-Nationalmannschaft Montenegros. Er pendelt zwischen der Hauptstadt Podgorica und seiner Wohnung in Mainz. Seine Ehefrau und die beiden kleinen Töchter sind mit ihm nach Montenegro gegangen. „Das ist für mich die optimale Kombination gerade. Ich bilde mich weiter, trainiere Nachwuchs-Talente und habe Zeit für meine Familie."
Einmal im Monat, für fünf bis sechs Tage, kommen die Junioren-Nationalspieler für Lehrgänge zusammen. Den Rest der Zeit nutzt Pekovic für seine Ausbildung. Die A-Lizenz hat er schon, die zum Profi-Trainer macht er gerade. „Ich habe wieder genauso viel Spaß am Fußball wie früher", sagt er. Auch wenn sein Leben jetzt komplett anders sei. „Ich denke nicht mehr wie ein Spieler von Spiel zu Spiel und von Training zu Training." Er denkt heute viel mehr über den Fußball nach. Über Taktik, über Verbesserungen, über kommende Gegner.
Dass er dafür nach 13 Jahren als Profi in Deutschland in sein Heimatland zurückgekehrt ist, hat einen Grund: „Hier ist der Einstieg für mich leichter." Den ehemaligen Weltklasse-Spielmacher und heutigen Verbandspräsidenten Dejan Savicevic kennt Pekovic gut. Er öffnete ihm die Tür zur U 19. „Trotzdem ist Mainz meine zweite Heimat geworden", sagt Pekovic. „Die Zeit bei 05 war die beste in meiner Karriere." Wichtiger als die Erinnerung an seinen Freistoß-Treffer ist ihm die Erinnerung an den zweiten Mainzer Bundesliga-Aufstieg. „Die Euphorie und Leidenschaft, die ich in dieser Zeit erlebt habe, waren wahnsinnig", sagt er. „Dafür spielt man Fußball."
Eines Tages will er als Trainer in den Senioren-Bereich zurückkehren. „Aber für den Anfang passt es so wie es gerade ist perfekt", sagt er. Pekovic als Trainer, seine Jungs als Spieler - beide Seiten können von einander lernen. „Das ist eine gute Vorbereitung für später." Viele große Trainer haben ähnlich angefangen. Thomas Tuchel zum Beispiel.
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