Emmanuelle Charpentier hat Biologen ein neues Werkzeug beschert: Mit "Crispr" lassen sich Gene verblüffend präzise und sicher ändern. Ärzte wollen damit Aids, Krebs und Erbkrankheiten heilen. Nimmt der Mensch die Evolution bald selbst in die Hand? Von Max Rauner und Martin Spiewak
Gäbe es einen Nobelpreis für Bakterien, der Streptococcus pyogenes wäre ein Kandidat mit echten Aussichten. Betrachtet man ihn durch ein Mikroskop, wirkt er eher hässlich. Beim Menschen verursacht das Bakterium eine eitrige Mandelentzündung oder sogar Scharlach. Doch Streptococcus pyogenes verfügt über ein einzigartiges Werkzeug zur Selbstverteidigung. Bis vor Kurzem hat das so gut wie niemanden interessiert. Es ist schließlich nur eine Mikrobe. Jetzt kennt man das Instrument besser, und plötzlich interessieren sich sehr viele Menschen auf der ganzen Welt für das winzige Geschöpf.
Sein Werkzeug ist eine Art intelligentes biologisches Skalpell für Präzisionsoperationen am Erbgut. Damit setzt sich das Bakterium gegen die Angriffe von Viren zur Wehr. Mediziner hoffen nun, mithilfe dieser Methode bald HIV-Infektionen heilen zu können, Leukämie und Erbkrankheiten. Genetiker schaffen damit bereits Pflanzen, die bislang niemand kannte. Die Technik weckt große Hoffnungen: Fehler im Genom aller denkbaren Lebewesen können womöglich künftig wegkorrigiert, ausgelöscht werden - wie vertippte Buchstaben in einem Textdokument.
Die Frau, die den Anlass für solche Hoffnungen gab, sitzt in ihrem Büro in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs und wundert sich …