Maximilian Marquardt

Journalist, Texter, Fotograf, Korrespondent, Kirchseeon

3 Abos und 1 Abonnent
Artikel

Verschwiegene Vergangenheit - das Massaker von Wounded Knee

Die Leiche von Häuptling Big Foot. 28. Dezember 1890


Das Massaker von Wounded Knee markiert das letzte Kapitel der amerikanischen Indianerkriege. Vor über 120 Jahren war es das Fanal einer brutalen Verfolgung. Die Nachfahren der wenigen Überlebenden kämpfen bis heute für Gerechtigkeit.


Es ist der 29. Dezember 1890. Ein bitterkalter Montag im US-Bundesstaat South Dakota. Im Pine Ridge Reservat hat sich ein Treck von über 200 Männern, Frauen, Kindern und Alten niedergelassen. Es sind Indianer der Lakota. Nach zweiwöchigen Marsch sind sie müde, erschöpft und durchfroren. Aus Angst vor weiteren Übergriffen der Armee und Verfolgungen durch den Weißen Mann, folgen sie ihrem Stammeshaupt Big Foot, in der Hoffnung bei befreundeten Stämmen Schutz zu finden. Desillusioniert lagern sie in der kargen Winterlandschaft. Das Reservat gilt als sicher, als reines Indianergebiet. Doch nur wenige Siedler halten sich an diese Abmachung und drängen mit Hilfe der Armee weiter nach Westen. Trotz bestehender Verträge und Versprechungen. Widerstand, dass wissen die Stammesangehörigen, wäre zwecklos. Gegen die Armee haben sie keine Chance.


Um ihrer unglücklichen Situation entgegenzuwirken, suchen viele Zuflucht im Glauben. In Nevada predigt ein Paiute-Indianer gewaltlosen Widerstand und brüderliche Liebe. Als spirituelle Stütze soll den Indianern ein Geistertanz dienen, der sie gegen die Kugeln des Weißen Mannes immun machen und die Siedler zurückdrängen soll. Der Tanz verbreitet sich wie ein Präriefeuer unter den Stämmen und stärkt deren Moral. Doch die Intention einer sanften Rebellion verfehlt ihr Ziel: Die weißen Siedler sind verängstigt, fühlen sich durch den Anblick der archaischen Riten der Ureinwohner bedroht. Die Regierung wird benachrichtigt, das Militär alarmiert. Hinter dem Tanz vermutet man eine Verschwörung, ausgehend von Sitting Bull, dem legendären Häuptling der Sioux. Bereits am 01.Dezember 1890 hatte die Regierung der Armee die klare Anweisung gegeben, dass "jedwedes Aufkeimen einer indianischen Bedrohung sofort niedergeschlagen werden müsse." Der Tanz wird verboten, die Armee alarmiert.


Am 28. Dezember umstellt Colonel Forsyth des 7. Kavallerieregiments mit 44 weiteren Soldaten Sitting Bulls Blockhütte am Ufer des Grand Rivers. Als sich der Häuptling weigert abgeführt zu werden, kommt es zu einem Handgemenge. Schüsse fallen. Sitting Bull sinkt tödlich getroffen zu Boden.


Am Morgen des 29. Dezember 1890, kurz nach Sonnenaufgang, fordert Oberst Forsyth die verbliebenen Indianer auf, ihre Waffen abzugeben. Widerstandslos leisten sie den Anweisungen Forsyths folge. Von Misstrauen und Wut getrieben, lässt der Kommandeur nun auch die Zelte der Indianer von seinen Soldaten durchsuchen. Außer ein paar gefundenen Beilen bleibt die Suche jedoch erfolglos. Daraufhin erfolgen Leibesvisitationen. Bei einem jungen, tauben Indianer finden die Soldaten schließlich eine Winchester. Nicht verstehend was die Weißen von ihm wollen, weigert er sich, sein Gewehr auszuhändigen. Die Situation eskaliert, ein Schuss löst sich. Er scheint das Signal zu sein, auf das Forsyths Männer gewartet haben. Die auf einer Anhöhe in Stellung gegangen Soldaten des 7. Regiments, entfachen mit ihren Repetiergewehren und Maschinenkanonen einen bleiernen Feuersturm, schießen auf alles was sich bewegt.


Das Massaker dauert fast den gesamten Tag an. Als sich die Rauchschwaden über dem gefrorenen Steppenboden verzogen haben, wird am 03. Januar 1891 eine erste grausame Bilanz gezogen: Über 200 ermordete Indianer, teilweise bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Männer, Frauen und Kinder, von Kugeln durchsiebt, erschlagen oder auf der Flucht erfroren. Erstarrt zu grässlichen Posen, liegen sie auf einer Fläche von über zehn Kilometern verstreut. Neben ihnen auch 25 ihrer Widersacher, die dem wutentfachten Kugelhagel ihrer schießwütigen Kameraden ebenfalls zu Opfer fielen.


Wer den ersten Schuss abgab, ist bis heute ungeklärt. Fest steht jedoch: Mit dem Massaker am Wounded Knee Greek endete die Ära der letzten Prärie-Indianer. Geschlagen zogen die einst so unbeugsamen Krieger sich in ihre kargen Reservate zurück. Den Soldaten von Oberst Forsyth wurden für ihre, wie es später hieß, "heroischen Dienste" 20 Ehrenmedaillen verliehen. Das Massaker von Wounded Knee ging als letzte Schlacht der Indianerkriege in die amerikanischen Geschichte ein. Bis zum heutigen Tag kämpfen die Nachfahren der damaligen Überlebenden darum, das Wort "Battle" durch "Massacre" in den US-amerikanischen Geschichtsbüchern zu ersetzen. Trotz Verhandlungen, Prozessen und Petitionen geschah nichts. Die geschriebene Schmach in pechschwarzer Druckertinte, nun scheint sie hohngrinsend auch noch den Nachfahren der Lakota die letzte Ehre zu rauben. Black Elk, einer der wenigen Lakota die Wounded Knee überlebt hatten, notierte Jahre später: „Dort starb der Traum meines Volkes" Er sollte Recht behalten. Die Folgen der Repressionen wirken bis heute nach: Nur jeder fünfte Bewohner des Pine-Ridge-Reservats hat Arbeit, jeder zweite lebt unter der Armutsgrenze. Gerechtigkeit, Gleichheit, Anerkennung - im "Land of the Free" sind diese Worte fest verankert - Zumindest in der Verfassung.<<


Text: Max Marquardt Fotos: Worth Wester Photo Corp., Smithonian Archives

Zum Original