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Zu Besuch beim jüngsten Leihhaus der Schweiz: Ein Leben auf Pfand - Sonntagsblick Magazin

Jahrzehntelang gab es in der Schweiz nur drei Pfandleihhäuser. Alle mit staatlichem Auftrag. In letzter Zeit wurden diverse Private eröffnet. Ein Besuch bei der Pfandbox in Grenchen.

Text: Matthias von Wartburg   Fotos: Stefan Bohrer

Im Schaufenster steht ein ­Flipperkasten. Daneben eine Schirmlampe auf einem Salontisch. Ein Feldstecher, ein Telefon mit Wahlscheibe, sogar ein Dampfreiniger. Der Laden an der Centralstrasse 96 in Grenchen SO könnte eine Brockenstube sein. Wäre da nicht das abgeschlossene Hinterzimmer.

Bruno Megaro, zuvor 30 Jahre lang Lastwagenchauffeur, hat die Pfandbox vor zwei Jahren mit seinem Geschäftspartner Stefan Gautschi eröffnet. Einerseits An- und ­Verkauf - und eben: Pfandleihe. Menschen hinterlegen einen Wertgegenstand und erhalten dafür einen ­Barbetrag (weit unter dem Marktwert). Nach drei Monaten zahlen sie die Summe plus Zinsen zurück und können den verpfändeten Gegenstand wieder mitnehmen.

So weit die Theorie. "Von all den Sachen hier im Laden haben wir etwa die Hälfte direkt gekauft, der Rest wurde verpfändet und von den Besitzern nicht wieder abgeholt", sagt Megaro. Ist die Frist abgelaufen, darf das Pfandhaus den Gegenstand verkaufen. Zuerst wird die Ware auf einer öffentlichen Plattform im Internet angeboten. Schlägt dort niemand zu, landen die Uhren, Goldringe und Computer hier im Laden.

Das Telefon klingelt. "Pfandbox Megaro. Ja, das geht. Marke?" Der 53-Jährige geht in sein Büro und bleibt stehen. "Aha, auf den Vater eingelöst. Und der weiss Bescheid? Also schicken Sie mir ein Foto und eine Kopie des Fahrzeugscheins." Am Abend wird Bruno Megaro den Vater anrufen und fragen, ob er wisse, dass der Sohnemann sein Auto verpfänden will.

Die richtig wertvollen Sachen kommen in den Tresor

Momentan stehen in der Lagerhalle der Pfandbox sechs Autos. Ausserdem warten rund hundert weitere Gegenstände darauf, abgeholt zu werden. Sie alle liegen im Hinterzimmer. Megaro schliesst auf. In den Regalen an beiden Seiten des Raumes ist kein Fach mehr frei. Auf den gelben Plastikboxen kleben Etiketten mit Nummern drauf. In 5164 liegt ein MacBook, in 5141 eine Fotokamera. Weiter hinten stehen zwei Gitarren, an der Wand lehnt ein Cello, daneben eine Armbrust. Die richtig wertvollen Sachen sind im Tresor. Vor allem ­Uhren und Goldschmuck. Alles in kleinen Kartonschächtelchen mit Nummern drauf.

"Goldschmuck nehmen wir gerne als Pfand. Da bleibt der Wert erhalten", sagt Bruno Megaro, der Gold in Ohrläppchen und um den Hals trägt. Oft hätten die Leute gerade zu Goldschmuck eine emotionale Beziehung, sodass er meistens wieder abgeholt werde.

Auch Gutbetuchte kommen ins Pfandleihhaus

"Über alles gesehen werden etwa 80 Prozent der Gegenstände zurückgeholt", sagt Megaro. Als sie vor zwei Jahren angefangen haben, sei das noch anders gewesen: "Wir waren viel zu gutgläubig, viel zu lieb." Oft liessen sich Megaro und sein Geschäftspartner vom Versprechen blenden, dass die Ware dann bestimmt wieder abgeholt werde. "Jedes Mal, wenn sich die Leute nicht mehr gemeldet haben, wussten wir, dass der Darlehens­betrag wohl doch zu hoch war."

Die Kunden der Pfandbox kommen aus der ganzen Schweiz. Laut Megaro auch "Gutbetuchte", die für ein kurzfristiges Geschäft Geld brauchen und den Porsche für ein paar Wochen verpfänden. Im Gegensatz zur Bank oder zum Kleinkreditanbieter geht das im Pfandleihhaus viel schneller und mit viel weniger Fragen. Solange das Pfand dem Kunden gehört und genug Wert hat, gibt es Bargeld.

Eine Frau schleppt ein Keyboard in den Laden. Sie keucht, als ob sie das Ding eben über den Grenchenberg getragen hätte. "Erst zwei Mal gebraucht", sagt sie. "Das nehme ich nicht", antwortet Bruno Megaro, ohne zu zögern. Sie starrt ihn durch ihre Brille an wie ein Kind, dem nach langer Anreise gerade der Eintritt ins Disneyland verwehrt wurde.

Geschenke werden verpfändet

Dann stellt sie einen Feldstecher auf den Tresen. "Das war das letzte Geschenk meines Vaters, bevor er gestorben ist." Megaro schaut hindurch. "Okay, das geht als Pfand. Ich kann dafür 50 Franken geben." Die Frau, wieder mit Kinderblick, entgegnet: "Ich bin wirklich knapp dran, der Sozialdienst zahlt noch nicht. 60?" Megaro mit Blick auf den Feldstecher: "50." - "60?" - "50." - "Ich muss unbedingt eine Stromrechnung von 50 Franken bezahlen. Machen wir 55, dann kann ich noch Zigis kaufen?" - "50." - "Dann halt 50." Bruno Megaro fotografiert den Feldstecher. Die Frau unterschreibt den Vertrag: "Pro Monat fallen 1 Prozent Zinsen sowie 2,5 Prozent Verwaltungskosten an." Die Frau geht mit einem Fünfziger und dem Keyboard davon.

Herr Megaro, schlagen Sie Profit aus der Notsituation anderer Menschen? "Eben gerade nicht", sagt er. Oft würde er die Kunden vor sich selber schützen. "Wir raten häufig zu einem tieferen Pfandbetrag, weil so die Hürde kleiner wird, den Gegenstand zurückzuholen. Wenn wir die Leute ausnehmen wollten, dann würden wir mehr zahlen, um dann mehr Zinsen zu kassieren."

Eine Lagerhalle, ein Ladenlokal, zwei Personen. Auf die Frage, ob sich das Pfandleihgeschäft lohne, winkt Megaro ab: "Momentan leben wir beide noch von unseren Frauen." Seit dem Start vor bald zwei Jahren haben Bruno Megaro und Geschäftspartner Stefan Gautschi weder Lohn noch Ferien bezogen. Ein Gehalt soll es ab 2018 geben. Megaro ist guter Dinge. Auf die Idee eines eigenen Pfandhauses seien sie im Ausland gekommen. In Deutschland, Italien und Österreich gebe es solche Angebote überall, und sie rentierten. Warum also nicht in der Schweiz?

Bei staatlichen Häusern stand der soziale Gedanke im Fokus

Auch in der Schweiz gibt es Pfandhäuser mit einer langen Tradition. Die Pfandleihkasse der Zürcher Kantonalbank besteht seit 145 Jahren. Damals gab es viele private Pfandleiher, welche die Notlage von Menschen mit Wucherzinsen ausnutzten. Das wollte der Zürcher Regierungsrat unterbinden. Er bewilligte der Zürcher Kantonalbank (ZKB) die Gründung einer Staatsbank. An diese Bewilligung knüpfte er den Auftrag, dass die ZKB eine Pfandleihkasse mit angemessenen Zinsen führt. Im Fokus sollte der soziale Gedanke stehen.

Jahrzehntelang musste die Zürcher Kantonalbank das Defizit ihrer Pfandleihkasse ausgleichen. Auch die Pfandhäuser in Lugano TI und Genf werden mit einem staatlichen Auftrag geführt. Sie sind nicht auf grosse Gewinne aus. Menschen in einer finanziellen Schieflage sollen rasch und unkompliziert Geld zur Überbrückung erhalten.

Bei den privaten Pfandhäusern gibts mehr Geld

In den letzten drei Jahren wurden in der Schweiz fünf private Pfandleihhäuser eröffnet. Bei ihnen steht der finanzielle Gewinn im Fokus. Private und staatliche Pfandleihhäuser unterscheiden sich dann auch im Angebot. Bei den privaten gibt es für das gleiche Pfand deutlich mehr Geld. Dafür sind die Zinsen bei den staatlichen Stellen um einiges tiefer.

Hört man sich in Pfandleiherkreisen um, werden vor allem zwei Gründe für das Aufkommen der privaten genannt. Erstens die tiefen Zinsen der Banken - 3,5 Prozent im Monat gibt es sonst nirgends. Und zweitens kommen durch die Zuwanderung viele Menschen in die Schweiz, die einen selbstverständlichen Umgang mit Pfandleihhäusern mitbringen.

Unterdessen wartet in Grenchen am Tresen eine Frau, Ende fünfzig. Eine Taxifahrerin aus Bern. Vor Jahren wurde sie während der Arbeit überfallen, was sie aus der Bahn warf. Dann wurden Schulden fällig, und sie brachte den ganzen Goldschmuck ihrer Mutter nach Grenchen und erhielt 5200 Franken.

Das war vor sieben Monaten. Nach vier Monaten hat sie den Vertrag verlängert und Zinsen von 728 Franken bezahlt. Heute müsste sie das Geld plus Zinsen für die weiteren drei Monate zurückzahlen. "Ich habe ein Riesenproblem", sagt sie und legt ein Dokument auf den Tresen. "Dieser Deal ist geplatzt, ich kann den Schmuck nicht auslösen. Was können wir tun?" - "Kein Problem, dann verlängern wir den Vertrag nochmals um drei Monate." Die Taxifahrerin atmet auf. "Merci vielmal." Bruno Megaro holt den Vertrag. "Das wären dann 546 Franken." - "Kann ich eine Anzahlung machen?"

Die Frau verlässt den Laden mit dem Versprechen, die restlichen 146 Franken in einer Woche zu zahlen.

Megaro schaut ihr nach: "Bei ihr habe ich ein gutes Gefühl."

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