9.07 Uhr: Das kann doch nicht gut gehen. Wie bin ich hier bloß reingeraten? Ich, der absolute Rennsportanfänger, der sich sonst auf sein Navi verlässt, soll also einen Rallye-Weltmeister durch das Elsass lotsen; und zwar keinen Geringeren als Christian Geistdörfer. Mit Walter Röhrl wurde der Münchner 1980 und 1982 Weltmeister, mit 27 Jahren damals der jüngste aller Zeiten. Im Gegensatz zu mir ist Geistdörfer vollkommen entspannt. Ich versuche mir einen Teil seiner Gelassenheit zu eigen zu machen, was aber nur so mittelprächtig funktioniert. "Roadbook, Wertungsprüfung, Boardkarte" schwirren mir immer wieder im Kopf herum. Na, das kann ja was werden.
9.17 Uhr: Mein Puls steigt, die erste Wertungsprüfung steht an. Wir sollen 60 Meter in exakt zwölf Sekunden fahren. Alles, was ich machen muss, ist zählen. "Wenn ich ›los‹ sage, zählst du von eins bis zwölf. Ganz ruhig, wird schon funktionieren", erklärt mir Geistdörfer. Zählen kann ich, denke ich mir. Wir fahren an die Linie und ich höre das Startsignal meines Fahrer: Eins, zwei, drei... Doch plötzlich wird das Zählen schwerer als gedacht. Motorengeräusche und die augenblicklich in mir hoch steigende Hitze kommen nun zusammen und ich quäle mich zählend bis zur Ziellinie. Irgendwie schaffe ich es dann doch und wir machen uns auf in Richtung Elsass.
9.41 Uhr: Der NSU Ro 80 läuft sehr flüssig. Die 115 Pferdestärken des Wankel-Motors, der von Felix Wankel aus Lahr entwickelt wurde, sind nicht all zu laut, sodass ich mich prima mit Geistdörfer unterhalten kann. Der Münchner kam eher spät zum Rallyesport, seine Erfolge errang er dagegen schnell. Mit 20 Jahren nahm er an den ersten Wettfahrten teil. Darunter waren auch 36-Stunden-Etappen wie die San-Remo-Rundfahrt 1978: "Zuerst sind wir zehn Stunden gefahren, dann haben wir eine Stunde geschlafen, gegessen und waren auf der Toilette. Danach haben wir uns wieder ins Auto gesetzt und sind weiter." Nach der Karriere gründete er seine eigene Firma und setzte all die Ideen um, die er während der aktiven Zeit im Auto gesammelt hatte. Eine davon waren Rennsimulatoren. Neben der Organisation von Golfturnieren und der Pflege seiner Firma, nimmt der 62-Jährige regelmäßig an Wettfahrten wie der Paul-Pietsch-Classic teil: "Solche Rallyes sind für mich mein Lebenselixier."
10.17 Uhr: "Nach rechts abbiegen und dann sind wir da", sage ich zu Geistdörfer und plötzlich stehen wir vor einem imposanten Schloss. So also sieht das Bugatti-Werk im elsässischen Molsheim aus. Ein toller Ort, um die zweite Wertungsprüfung abzulegen. Die Aufgabe dieses Mal: 60 Meter in 14 Sekunden zurücklegen. Kein Problem für Geistdörfer.
11.04 Uhr: Die Sonne knallt immer stärker auf unseren Ro 80 und die bequemen, aber überhaupt nicht luftdurchlässigen Sitze beginnen so langsam mit meiner Hose zu verschmelzen. Mir fallen die Worte der erfahreneren Rennfahrer vor der Rallye ein: "Du wirst in deinem eigenen Saft sitzen." Jetzt merke ich, dass sie nicht übertrieben haben. Zum Glück wird der Streckenverlauf ab jetzt weitläufiger. Geistdörfer nutzt das aus. Die Durchschnittsgeschwindigkeit erhöht sich auf rund 75 Stundenkilometer. Das Fenster haben wir beide nun bis zum Anschlag nach unten gekurbelt. Für einen kurzen Augenblick schließe ich die Augen und genieße den Mix aus Wiesenluft, Benzingeruch und Fahrtwind, ehe mich ein "Müssen-wir-hier-nicht-abbiegen" wieder ins Roadbook schauen lässt. Ja, müssen wir.
11.30 Uhr: Endlich Pause und raus aus dem Auto. Noch ein paar Treppenstufen hinauf, dann sitzen wir auf der Terrasse des Hotel Velleda, wo uns ein Rallye-Menü erwartet. Nach französischer Pastete und einem Stück Blaubeertorte ist meine Körpertemperatur wieder im Normalbereich.
13.07 Uhr: Ich öffne die Tür des Ro 80. Eine unsagbare Hitze schlägt mir entgegen. Aber wir müssen weiter. Hilft ja alles nichts.
13.48 Uhr: So langsam mache ich mir Sorgen, ob wir wieder heil in Offenburg ankommen. Die Straße schlängelt sich durch die elsässischen Berge und meist geht es abwärts. Geistdörfer hat sichtlich Spaß daran. Um keine Zeit zu verlieren, fährt er das, was Rennfahrer gerne als Ideallinie bezeichnen. Bei dieser Fahrweise achtet der Fahrer weniger darauf, auf welcher Fahrspur er sich befindet, sondern versucht vielmehr so wenig Straße wie möglich befahren zu müssen. Leider kann man bei dieser so unmöglich sehen, ob ein Auto auf der Gegenfahrbahn hinter der Kurve entgegenkommt. Aus Laiensicht würde ich im Nachhinein sagen, dass wir das ein oder andere Mal einem Unfall gerade noch so entgehen konnten - aus Rennfahrersicht ist das wahrscheinlich nicht so.
14.07 Uhr: Die Hitze ist so stark, dass wir die Fenster ganz heruntergekurbelt haben. Durch den Fahrtwind sind meine Augen trocken und eine Frisur kann man das, was da auf meinem Kopf ist, auch nicht mehr nennen. In den 90-Grad-Kurven quietschen die Reifen, wenn wir der Leitplanke näher kommen, heult der Wankel-Motor laut auf und anstatt zu navigieren, bin ich damit beschäftigt, mich irgendwie in der Waagerechten zu halten.
14.33 Uhr: Zurück in Offenburg müssen wir die letzte Wertungsprüfung ablegen. Ein Blick ins Roadbook und ich verstehe nur Bahnhof: 45 Meter in zwölf Sekunden. Darauf folgt unmittelbar eine Dreierwertung, bei der wir zuerst 60 Meter in 14 Sekunden, dann 100 Meter in 24 Sekunden und anschließend sofort 160 Meter in 34 Sekunden fahren müssen. "Kein Problem. Du stoppst erst die erste Zeit mit der einen Uhr, dann gibst du mir diese, dann stoppst du mit der anderen Uhr die andere Zeit und wenn wir die dritte Prüfung fahren, gebe ich dir wieder die erste Uhr", sagt mir Geistdörfer, immer noch völlig entspannt. Wären da nicht die Schweißperlen auf seiner Stirn, könnte man denken, er hätte gerade ein Picknick mit seiner Familie hinter sich. Dass die Prüfung dann doch nicht so reibungslos verläuft, soll hier nicht weiter ausgeführt werden.
15.09 Uhr: Nach gut sechs Stunden steige ich aus dem Auto aus. Ich bin erschöpft und nass geschwitzt und erkenne froh: Alles noch dran, Geistdörfer lacht und bedankt sich bei mir. Ist wohl doch alles gut gegangen.