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Die KI-Demokratisiererin

Kenza Ait Si Abbou Lyadini: „Viel weniger komplex dürfte mein Name auf keinen Fall sein – denn genauso viele Facetten spiegele ich in einer Person wider“, schreibt sie auf ihrer Homepage iamkenza.de. Die Ingenieurin, Managerin, Rednerin und Autorin tritt für die „Demokratisierung der KI“ ein und hat im letzten Jahr das Buch „Keine Panik, ist nur Technik“ veröffentlicht. Das Buch ist für die Nicht-Techies gedacht und erklärt sehr anschaulich, was Algorithmen sind, wie Programmiersprachen funktionieren und wo uns KI bereits auf Schritt und Tritt begleitet. Düster und bedrohlich, wie die intelligenten Maschinen oft dargestellt und wahrgenommen werden, seien sie keinesfalls.

Gleichwohl weiß sie auch um ihre dunkle Seite: Die KI ist in der Lage, historisch bedingte Ungleichheiten in der Gesellschaft zu reproduzieren und tausendfach zu verstärken. „Viele denken: Naja, Maschinen sind neutral. Wenn wir sie einsetzen, werden sie neutral entscheiden. Aber sie werden von Menschen programmiert mit Daten voller Vorurteile. Wichtig ist, dass die Leute das kapieren: Wenn wir rassistisch oder chauvinistisch sind, werden die Maschinen es auch sein“. Deshalb ist das Buch auch für Profis spannend.

Als Senior Managerin Robotics & AI bei der Deutschen Telekom IT hat Ait Si Abbou eine Vermittlerfunktion zwischen den 120 Entwicklern und Entwicklerinnen der KI-Teams des internen IT-Dienstleisters und dem Konzern-Management. „Ich höre mir die Herausforderungen an und überlege, ob und wie wir sie mit unseren Technologien lösen können“. Das Mobilfunk- und das Festnetz stabilisieren, interne Prozesse automatisieren, die Technik vorausschauend warten, Chatbots fürs Kundengespräch entwickeln oder Kunden eine Identifizierung per Stimme anbieten, sind einige Beispiele. Die KI-Teams sorgten etwa dafür, dass die gewaltige Umstellung von Millionen analoger Telefonanschlüsse auf VoIP einigermaßen glatt vonstatten ging. Ein künstliches neuronales Netz beobachtete vorab, welche Router sich wie verhielten. „So konnten wir feststellen, dass bestimmte Routerfamilien für das Umschalten geeignet sind, andere eher nicht. Das hat eine Menge Unsicherheit reduziert“.

Irgendwann merkte die Ingenieurin, dass sie KI nicht nur entwickeln, sondern auch sehr gut erklären kann. Nach ihrem ersten „AI for Everyone“-Vortrag auf einer Bitkom-Veranstaltung kamen immer mehr interne und externe Anfragen. Sogar Kindern kann die zweifache Mutter die künstliche Intelligenz verständlich machen. „Viele glauben, mit KI habe ich nichts zu tun. Aber ob Arzt, Anwalt oder Kassierer: Wir müssen uns alle rechtzeitig damit auseinandersetzen und umlernen, denn jeder Job wird sich verändern“.

Die Managerin hat für ihr Aufklärungsengagement zahlreiche Preise gewonnen, etwa den Digital Female Leader Award und den Fem Tec Award. Die Zeitschrift „Capital“ kürte sie zu einer der 40 einflussreichsten Personen unter 40 in Deutschland. Ihren Einfluss nutzt sie, um Mädchen für MINT-Berufe zu begeistern. Wenn der Gedanke an Mathe immer noch abschreckt: Programmieren hat viel mit Sprache zu tun. Ait Si Abbou kann nach eigenen Angaben sieben Sprachen, die Programmiersprachen nicht mitgerechnet. „Eine Programmiersprache lernt man ähnlich wie eine Menschensprache: Man muss sich neue Vokabeln, Grammatik und Satzstrukturen aneignen und sich hineindenken: Welche Vokabeln beherrscht diese bestimmte Maschine?“ Außerdem würden Programmiersprachen immer nutzerfreundlicher, IT-Arbeitsplätze seien spannend, zudem familienfreundlich. Trotzdem finden sich kaum Frauen in der Branche.

Das ist nicht nur ein Problem für die Frauen, denen gutbezahlte Jobs mit Zukunftsperspektive entgehen. Das ist ein Problem vor allem für die Entwicklerteams, die fast nur aus „weißen jungen Männern mit Kapuzenpullis“ bestehen. Und diese achteten nicht genug auf Diversity-Aspekte bei ihren Produkten. „Die meinen es gar nicht böse, die haben einfach nur andere Sachen im Kopf“. Die Jungs testeten die neuen Lösungen an sich selbst – und so funktionierten sie auch. Deshalb entstünden Stimmerkennungsprogramme, die Frauenstimmen nicht verstehen, Bilderkennungsprogramme, die nur Weiße auseinanderhalten können, Scorings, die die Kreditwürdigkeit am Geschlecht festmachen und HR-Software, die Bewerbungen von Migranten aussortiert.

„Wie bei allen komplexen Problemen muss man hier an mehreren Schrauben drehen“, sagt die Expertin. Mehr Vielfalt bei den Entwicklerteams wäre der erste Schritt, um eine vorurteilsfreie KI zu schaffen. Dabei geht es um unterschiedliche Hintergründe und Denkweisen: Frauen, Zugewanderte, „People of Color“, Menschen mit Behinderungen, aber auch beispielsweise Linguisten und Soziologen neben den Informatikern. Seit 2019 organisiert die Ingenieurin unter dem Dach der Deutschen Telekom die #AIHack4Diversity-Hackathons für Teilnehmende aus der ganzen Welt. Der dritte mit dem Schwerpunkt Mobilität war im März.

Für eine vorurteilsfreie KI müsse man aber auch die „Antidiskriminierungsdenke“ bereits in einer sehr frühen Phase, bei der Auswahl der Daten, berücksichtigen und das Produkt vor der Kommerzialisierung mit allen möglichen Menschen testen. Es im Nachhinein zu reparieren, weil es Richtlinien und Gesetzen widerspreche, sei teuer und aufwändig: Die Unternehmen zahlten lieber eine Strafe, als den ganzen Prozess wieder von vorne aufzurollen. Ait Si Abbou ruft aber auch die Nutzer und Nutzerinnen zum konstruktiven „Meckern“ auf: „Baut Druck auf, damit das System sich verändert“.


Info:

Kenza Ait Si Abbou ist in Marokko geboren und hatte schon als Kind ein Faible für Mathe. Die 39jährige hat Telekommunikation-Ingenieurswissenschaften an der Universität Valencia studiert und in der Hardware-Entwicklung in Barcelona gearbeitet. 2007 hat sie ihren Master in Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Fachhochschule Berlin gemacht. Später hat sie die spanischen Pavillions auf der Expo in China betreut. Seit 10 Jahren ist sie bei der Deutschen Telekom, aktuell in Elternzeit.