Mathias Liebing

Sportjournalist und Blogbetreiber, Leipzig

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DFB-Pokal: Der Pokal-Fluch der Kleinen

Auf dem Berliner Badeschiff tanzte André Weingärtner mit seinen Assistenten vor Freude Ringelreihen. Der Trainer des Verbandsligisten SV Alemannia Waldalgesheim hatte bei der Auslosung der ersten Hauptrunde des DFB-Pokals gerade eines der ganz großen Lose erwischt: Bayer Leverkusen. Ein Bundesligist, ja möglicherweise sogar Champions League-Teilnehmer! "Wir haben uns alle riesig gefreut", sagt Reinhard Schenk, zweiter Vorsitzender des Sechstligisten aus Rheinland-Pfalz.

Ähnlich märchenhaft starten seit jeher die unterklassigen Clubs in das Abenteuer DFB-Pokal. Aber vor allem für die kleinsten der Kleinen, also Landes- und Verbandsliga-Clubs, endet der Abstecher in die Glitzerwelt des professionellen Fußballs oft böse. Eimsbüttler Turnverein, VfB Speldorf, ASV Durlach, 1.FC Gera, TSG Tannhausen und FC Kutzhof - alles einstige Erstrundenteilnehmer, die sich entweder intern heillos zerstritten, sportlich abrutschten oder sogar vorm Insolvenzrichter landeten. Für jeden dritten Sechst- und Siebtligisten wurde in den vergangenen zehn Jahren die DFB-Pokalteilnahme zum Fluch.

Im gut 30 Kilometer von Mainz entfernt gelegenen Waldalgesheim versucht man alles, um sich nicht in diese Aufzählung einzureihen. Die Euphorie ist groß. Die Alemannia ist neben dem SV Waldkirch einer von zwei Verbandsligisten im Wettbewerb. Seit über einer Woche tummeln sich täglich mehrere Fernsehteams auf dem Vereinsgelände. Drei von vier der 4.000 Waldalgesheimer haben bereits Eintrittskarte für das Spiel gegen Leverkusen gekauft, das aus Kapazitäts- und Sicherheitsgründen im Mainzer Bundesliga-Stadion ausgetragen wird. Von dort überträgt der Bezahlsender Sky am Freitag ab 19 Uhr live. Auch ARD, ZDF und SWR sind angemeldet, um in großen Bildern die so herrlich romantische Geschichte von den chancenlosen Feierabendkickern zu erzählen.

Man kennt das Phänomen von Lottomillionären

Beim ETV Hamburg war vor drei Jahren zum gleichen Zeitpunkt die Euphorie schon längst verflogen. Noch in der Sommerpause eskalierte ein Streit zwischen der Mannschaft und der Vereinsführung über Prämien und die Verwendung der Einnahmen. Am Ende verließ die erste Mannschaft, die als Landesligist sensationell den Hamburger Landespokal gewann, geschlossen den Verein. Stattdessen trat der ETV mit einer aufgebesserten "A-Jugend" an. Das Pokalspiel gegen den Zweitligisten Greuther Fürth ging mit 0:10 verloren. In der vergangenen Spielzeit stieg der Club nun sogar in die Bezirksliga ab.

Was machen mit dem vielen Pokal-Geld? Wie normal bleiben bei Einnahmen, die es sonst aufaddiert in zehn oder zwanzig Jahren gibt? Das Phänomen, das man von Lottomillionären kennt, deren Leben sich durch sechs Richtige mit Zusatzzahl nicht etwa verbesserte, sondern nur verkomplizierte, scheint man auch auf Amateurclubs übertragen zu können.

Zwischen 2002 und 2009 erhielt jeder Teilnehmer 51.000 Euro. 2009 wurde die Summe nahezu verdoppelt und zur aktuellen Saison noch einmal spürbar aufgestockt. "Da die Erst- und Zweitligisten auf einige Erlöse verzichten, sind es in dieser Saison nun genau 140.000 Euro", sagt Schenk. Diesen Betrag will er nicht anfassen. Die Ausgaben für die Miete des Bruchweg-Stadions, für Security und Catering oder den vorausgesetzten Shuttle-Service für die Offiziellen sollen komplett aus den Eintrittsgeldern gedeckt werden. "Mit der Mannschaft sind wir uns einig geworden. Selbstverständlich bekommen die Protagonisten einen gewissen Prozentsatz der Einnahmen, aber der Rest des Gewinns soll in die Erneuerung unseres Sportheims, der Kabinen und des Bistros fließen. Da sind sich alle einig", sagt Schenk.

Zwei Teilnahmen, zwei Insolvenzen

Ungeachtet dieser aktuellen Vernunftsanflüge ist die Geschichte des DFB-Pokals aber auch eine von windigen Geschäftsleuten, geplatzten Träumen und echten Chaosvereinen: Der Karlsruher Stadtteil-Club ASV Durlach etwa nahm 2008 am DFB-Pokal teil und scheiterte dort knapp mit 1:2 an Arminia Bielefeld. Schon damals sollten die Einnahmen aus dem Pokalauftritt für den Schuldenabbau genutzt werden, was offenkundig nicht funktionierte. Auf 428.000 Euro waren die Verbindlichkeiten bis 2012 angewachsen, die der vollkommen neu aufgestellte Club seither erfolgreich abbaut. "Es herrschte ein wildes Durcheinander an Belegen, es gab über Jahre keine geschlossene Buchhaltung", sagte Robert Böhringer, der beim ASV einen sogenannten Sanierungsausschuss leitete, damals gegenüber der Lokalpresse.

Gar in der Auflösung endeten die Pokalträume des 1.FC Gera 03. Zwei DFB-Pokalteilnahmen 2006 und 2007 stehen zwei Insolvenzverfahren 2010 und 2012 gegenüber. Aus den Resten des Vereins formten Eltern der Jugendspieler den Verein JFC Gera, der sich bislang rein auf den Nachwuchsfußball beschränkt.

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