Marvin Mendel

Journalist, Producer, Podcaster, Frankfurt

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Eigentlich - thatscene.com

Im Grunde könnte mir alles egal sein. Ich habe keinerlei ernsthafte Probleme, maximal Lächerlichkeiten im Vergleich zu denen anderer. Ich bin ein random White Dude mit deutschem Pass aus der Mittelschicht, zudem noch heterosexuell. Gesundheitlich ohne nennenswerte Einschränkungen, sieht man mal von gewissen Makeln, die mich beim Hosenkauf vor gelegentliche Probleme stellen, ab. Und so könnte ich eigentlich ganz vergnügt mein Leben bestreiten, werde ich doch zudem von niemandem bewusst angefeindet. Klar, den ein oder anderen übellaunigen Griesgram gibt es immer, aber dies bekomme ich nur in den seltensten Fällen mit. Auf der Straße zum Beispiel merke ich nichts, werde ich doch im Grunde von jedem in Ruhe gelassen.

Leider ist dies bei meinen Mitmenschen nicht der Fall. Der ein oder andere diffamierende Spruch über Homosexuelle hier, sexuelle Übergriffigkeit da. Und spätestens seit 2014 auch wieder vermehrt rassistische Sprüche. Dies geht so weit, dass eine Bekannte von mir letztens in Dresden solch negative Erfahrungen gemacht hat - sie war aufgrund ihrer Arbeit in der Landeshauptstadt Sachsens - dass sie eine für sie weitreichende Entscheidung getroffen hat: Sie will aus Deutschland wegziehen. Der Grund: Als Dunkelhäutige fühle sie sich in Deutschland nicht mehr sicher. Nachdem sie hier geboren wurde, im Großraum Frankfurt aufwuchs und zwar nicht immer einfach, aber dennoch ein ordentliches Leben mit einem guten sozialen Umfeld hatte, verschlimmerte sich in den letzten Jahren die Situation für Menschen nicht-weißer Hautfarbe zusehends.

Es ist eine beschämende Entwicklung. Ein Land mit solch mahnender Geschichte fällt gerade zurück in ganz dunkle Zeiten. Mitmenschen anderer Hautfarbe oder Religion werden zunehmend angegangen, Refugees beschimpft und ihre Unterkünfte in Brand gesetzt. Dass weite Teile der Politik in Ostdeutschland das Problem des Rechtsextremismus kleingehalten haben, zeigt sich nicht erst jetzt, Stichwort NSU. Rechte Gesinnung ist ein Phänomen, dass noch immer fest in der Gesellschaft verwurzelt scheint. Nicht nur im Osten, nicht nur in Clausnitz. Denn wenn wir ehrlich sind, braucht man gar nicht weit zu schauen. Die Frage ist nur: Was tun?

Für mich gibt es nur eine Option: Die Stimme erheben. Es nicht tolerieren, wenn das Umfeld sich fremdenfeindlich äußert, mal wieder antisemitische „Witzchen" macht, vielleicht gar das Wort „Jude" als negative Bezeichnung nutzt oder in feinster PEGIDA-Manier flüchtlingsfeindliche Bildchen geteilt werden. Hier muss man als Einzelner anfangen, selbst wenn's weh tut und dadurch vielleicht sogar Bekanntschaften zerbrechen. Schlimm genug, dass man im Jahr 2016 überhaupt noch an solchen Grundsätzlichkeiten arbeiten muss.

Sicher ist es wichtig, zunächst das Gespräch zu suchen und zu erklären, dass bzw. was daran nicht okay ist, aber wenn das nicht mehr hilft, macht auch eine bekanntschaftliche oder gar freundschaftliche Beziehung in meinen Augen keinen Sinn mehr. Und spätestens hier schwenkt die oben angedeutete Neutralität mir gegenüber so langsam aber sicher bei einigen Menschen um, können bzw. wollen sie doch nicht verstehen, warum ich der festen Überzeugung bin, dass die Achtung der Würde eines jeden Menschen von Bedeutung und dies nicht einfach nur eine hohle Phrase ist. Ich kann und will nichts mit Leuten zu tun haben, die der Ansicht sind, es wäre okay, gegen Flüchtlinge, jüdische Mitbürger oder andere Minderheiten zu hetzen. Ja: diese Radikalität, im Zweifelsfall den Kontakt abzubrechen, ist unpopulär, weil es manche nicht einsehen wollen, dass solche Meinungen einfach nicht gehen. Aber dann, so ehrlich muss man sein, können einem diese Menschen auch gestohlen bleiben. Ich merke, wie sehr diese Einstellung aneckt. Dass überraschend viele Leute sich vor den Kopf gestoßen fühlen, weil das, was sie als „Meinung" ansehen, im Grunde nichts weiter als unreflektierter rassistischer Dreck ist und ich den betreffenden Personen auch sage. Aber anders geht es nicht. Denn in einer Gesellschaft, in der die Mehrheit sich nicht um ihre Minderheiten kümmert, will ich nicht leben. Solidarität und Empathie scheinen zu absoluten Fremdwörtern zu verkommen. Stattdessen werden diffuse Ängste befeuert und selbst der deutsche Klaus aus der Nachbarschaft mit ordentlich bezahltem Job, einem eigenen Haus und zwei Autos vor der Tür, fürchtet plötzlich um den Erhalt „seines" christlichen Abendlandes. Ein „Abendland", dessen Werte die meisten dieser besorgten Bürger weder leben noch verstehen.

Eine Gesellschaft, in der man andere nur aufgrund ihres Aussehens oder Herkunft und nicht ob ihrer Taten und ihrem Verhalten gegenüber den Mitmenschen beurteilt, ist nicht die meinige. Und so lohnt es sich zu kämpfen. Für das Ideal einer offenen Gesellschaft, in dem jeder Mensch von Geburt an gleich viel „wert" ist und es komplett egal ist, welche Religion, Hautfarbe, Neigung oder Beeinträchtigung er oder sie hat.

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