Der dritte Krieg in sechs Jahren hat in Gaza nicht nur tausende Häuser zerstört, sondern auch die Hoffnung auf Frieden mit Israel. Die junge Generation der Palästinenser vertritt inzwischen radikalere Ansichten als ihre Eltern. Eine Lösung kann sie sich nur noch mit den Raketen der Hamas vorstellen. Warum? Eine Spurensuche bei Waffenstillstand.
Eine Reportage von Theresa Breuer und Martina Kix
Als keine Bomben mehr fallen, scheint die Sonne in Gaza-Stadt. Die cremefarbenen Hochhäuser leuchten golden, der Himmel strahlt blau. Auf den Straßen fahren Autos und hupen laut, Neuwagen überholen alte VWs, mittendrin peitscht ein Mann auf seinem Holzkarren seinen Esel. Am Rand der Hauptstraße sitzt eine Gruppe von Männern auf Plastikhockern und trinkt schwarzen Tee aus kleinen Gläsern. Vor einem Geschäft wehen lange schwarze Kleider in der Luft und rosafarbene Rucksäcke liegen in der Auslage.
Zwei Tage nach Waffenstillstand scheint die Normalität nach Gaza zurückgekehrt. Es wirkt, als hätten die Menschen sich an den Ausnahmezustand gewöhnt, als falle ihnen die Wiederherstellung des Alltags leicht.
Fünfzig Tage haben die Kämpfe zwischen Israel und der Hamas gedauert. Mehr denn je hat Israel in diesem Krieg Wohnhäuser von Zivilisten angegriffen. Die Begründung lautete, Kämpfer seien darin verschanzt gewesen oder es hätten sich Tunnel der Hamas darunter befunden. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen haben 120.000 Menschen in Gaza ihr Zuhause verloren. Rund 2100 Menschen sind in der Zeit auf palästinensischer Seite gestorben, die meisten von ihnen Zivilisten. Auf der Israelischen waren es 73 Tote, die meisten von ihnen Soldaten.
Der Krieg war der dritte seit 2008, kein Jahrzehnt in Gaza war so gewalttätig wie das vergangene. Für die 1,8 Millionen Einwohner des kleinen Landstrichs, der kaum größer ist als das Bundesland Bremen, gibt es keine geordneten Zustände. Von außen lähmt Israel Gaza wirtschaftlich durch eine Blockade. Innenpolitisch unterdrückt die Hamas das Volk. Wie wirkt sich dies auf die junge Generation aus, die unter diesen Umständen aufwächst? Wer in diesen Tagen mit ihr spricht, bekommt den Eindruck, dass Gaza so weit vom Frieden entfernt ist wie noch nie.
Da ist Farah Baker, die während des Krieges mit ihren Tweets weltweite Aufmerksamkeit erlangte. Ayman Mghames, ein Rapper, der den Soundtrack zum Krieg geschrieben hat. Abu Yazan, dessen Jugendbewegung „Gaza Youth Breaks Out“ einst die Hamas stürzen wollte. Fidaa Hanin, die sich für die Rechte palästinensischer Frauen stark macht. Sie kennen einander nicht, aber es verbindet sie, in Gaza drei Kriege überlebt zu haben. Es verbindet sie, noch nie mit einem Israeli gesprochen zu haben. Und es verbindet sie, dass sie die Radikalität, für die die Hamas steht, fest in ihren Köpfen verankert haben. Die besagt: Israel muss von der Landkarte verschwinden.
Wochenlang hatte Farah Baker ihr Haus nicht verlassen. Sich nicht einmal auf den Balkon gewagt, aus Angst vor den israelischen F-16 Kampfjets, die Gaza aus der Luft bombardierten. Jetzt kann Farah, 16 Jahre alt, wieder im Garten ihres Elternhauses in Gaza-Stadt sitzen. Zum ersten Mal seit Wochen starrt sie nicht nur auf ihr Handy, sie genießt die Sonnenstrahlen, die frische Luft, sogar das Rauschen des Verkehrs auf der Straße.
Doch die Wunden des Krieges sind noch frisch. Nur wenige Meter von der Hauptstraße entfernt liegt ein Trümmerberg an einer Straßenecke. Noch vor wenigen Wochen stand dort ein Wohnhaus. Zwei Bomben und dreizehn Sekunden brauchte es, um das zwölfstöckige Gebäude zum Einsturz zu bringen. Nachbarn filmten den Angriff mit dem Handy. Das Video haben sie bei YouTube hochgeladen, teilten es bei Twitter und Facebook. Die flackernden Bilder mit der riesigen schwarzen Rauchwolke und dem Feuer sind zur Ikone dieses Krieges geworden. Die Betonbrocken, die Bruchstücke von Wänden mit Tapetenresten, zersprungene Toilettenschüsseln sind übrig geblieben. Die Wohnungen, die für Familien ein Zuhause waren, lassen sich nicht einmal mehr erahnen. Während die Nachbarn wieder zur Arbeit gehen, können diese Familien nicht mehr zurück. Sie sind bei Verwandten untergekommen oder in einer der vielen Flüchtlingseinrichtungen. Für sie bedeutet das Ende des Krieges, bei null zu beginnen.
Die schrecklichste Nacht in Farahs Leben sollte sie berühmt machen: Am 28. Juli twitterte sie im Minutentakt. Ihre Angst in 140 Zeichen. Bomben schlugen in ihrer Nachbarschaft ein. Die Decken in ihrem Haus zitterten. Farah hörte Menschen schreien. „Das ist meine Nachbarschaft. Ich kann nicht aufhören zu weinen. Ich könnte heute Nacht sterben“, schrieb sie unter ihrem Twitternamen @Farah_Gazan eine Minute vor Mitternacht. Über 17.000 Mal wurde ihr Tweet geteilt.
In den 50 Kriegstagen ist Farahs Anhängerschaft auf Twitter von einigen Hundert auf über 200.000 angewachsen. Weil sie auf Englisch schrieb, und nicht wie viele Menschen in Gaza auf Arabisch, erreichte sie Nutzer auf der ganzen Welt. Einer hat sie als moderne Anne Frank bezeichnet. Farah gefällt der Vergleich. Sie hat das Tagebuch gelesen, während die Bomben auf Gaza fielen. „Aber im Gegensatz zu ihr habe ich das Glück, dass ich noch lebe.“
Farah hat fröhliche, blaue Augen, dunkle Locken und ein pausbäckiges Gesicht, das sie mehr als Kind denn als Frau erscheinen lässt. Sie träumt davon zu reisen, nach Spanien und nach Großbritannien. Ihr Englisch ist sehr gut, sie geht auf eine der besten Schulen in Gaza. In ihrem Zimmer, zwischen rosafarbenem Bett und Schrank, hängt ein großes Poster vom Eiffelturm. Eines der ersten Dinge, die sie nach dem Waffenstillstand gemacht hat: Eis essen mit Freundinnen.
Farah ist Teil einer Generation, die fernab eines normalen Teenagerdaseins aufwächst. Einer Generation, die noch nicht volljährig ist, aber schon drei Kriege überlebt hat. Während des Krieges hat Farah ihr mit ihren Tweets eine Stimme verliehen. Und die klingt auf beängstigende Weise radikal. „Ich unterstütze den bewaffneten Widerstand, auch wenn meine Waffe das Wort ist“, sagt sie. Bewaffneter Widerstand, das sind die Raketen der Hamas, die die Radikalislamisten tausendfach nach Israel feuern. Wie die Hamas erkennt sie das Existenzrecht Israels nicht an, und wie die meisten Jugendlichen in Gaza will sie keine Zwei-Staaten-Lösung. „Ich will das Land zurück, das Israel 1948 von uns gestohlen hat.“
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