Martina Kix

Chefredakteurin ZEIT CAMPUS, Hamburg

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Artikel

Fernbeziehungen: Was hält uns zusammen?

Abschiede am Bahnhof, gemeinsam einschlafen mit Skype: Eine Fernbeziehung stellt die Liebe auf die Probe. Wann sie Paaren trotzdem gelingt - und wann nicht


Gehe ich für ein Semester nach Madrid, obwohl du in Göttingen bleibst? Sehen wir uns wieder, nachdem wir uns im Urlaub verliebt haben? Bleibe ich hier, obwohl du für deinen neuen Job umziehen willst? Wer so viele Entscheidungen treffen muss wie in der Zeit zwischen Uni und Berufseinstieg, für den stellt sich ständig die Frage: Könnte ich auch eine Fernbeziehung führen? Längst ist das Alltag, über die Hälfte der Deutschen hat in den vergangenen Jahren einmal in einer Beziehung auf Distanz gelebt. Woran es liegt, wenn die Liebe das aushält, beantworten vier Paare mit ihren persönlichen Geschichten

Die Unabhängigkeit: "Manchmal fahre ich spontan zu ihm"

Maresa Sophie und Sebastian verlieben sich in einem Italien-Urlaub. Sie studiert Amerikanistik in München, er jobbt dort. Dann will Sebastian auf eine Schauspielschule - sollte es in München nicht klappen, hieße das: Fernbeziehung. Kann das sogar gut sein für ihre Liebe?


"Als Sebastian an den Schauspielschulen in München abgelehnt wurde, waren wir niedergeschlagen. Ein Jahr lang hatte er es versucht. Wir wussten, dass Sebastian sich danach auch in anderen Städten bewerben musste und was das bedeuten würde. Vergangenen Februar fuhren wir dann zusammen zum Vorsprechen nach Stuttgart. Ich sagte zu ihm: 'Heute habe ich ein gutes Gefühl.' Und das brachte Glück: Er kam in die letzte Runde. Auf dem Rückweg im Zug haben wir geheult, vor Freude und auch vor Angst. Ein paar Tage später lag ich dann mit einer Grippe im Bett in München, und er feierte seine Zusage in Stuttgart. Uns war klar, dass wir uns nicht mehr täglich sehen würden. Realisiert habe ich das erst im Sprinter auf der Autobahn, als wir Sebastians Koffer und Kisten nach Stuttgart gebracht haben. Am Anfang kam mir die Stadt hässlich und grau vor. Die räumliche Trennung traf mich wie ein Schlag in den Bauch. In den ersten Wochen haben wir uns auch noch oft gestritten. Ich war frustriert, weil er nicht gleich auf Textnachrichten antwortete. Er, weil er im Unterricht nicht schreiben konnte. Wir haben etwa ein Jahr gebraucht, bis wir unseren Rhythmus gefunden haben. Heute wissen wir, dass es besser für uns ist, abends zu skypen, statt ständig zu schreiben. Wir versuchen, uns fast jedes Wochenende zu sehen, und manchmal steige ich sogar spontan in den Zug. Jeder von uns hat Freunde in der jeweils anderen Stadt, so hängen wir nicht wie früher die ganze Zeit zusammen. Inzwischen finde ich die Fernbeziehung sogar cool, weil ich mich so besser auf mein Studium und meinen Nebenjob konzentrieren kann."

Die Leidenschaft: "Als wir skypten, stand ich nackt vor der Kamera"

2193 Kilometer trennen Sarah* und ihren Freund Paul*. Sie studiert in Istanbul, er arbeitet in Hamburg. Sie schreiben und telefonieren täglich, nur anfassen können sie sich manchmal wochenlang nicht. Irgendwann fragten sie sich: Können wir auch über Skype Sex haben?

"Eigentlich waren mein Freund und ich ganz gut in Sachen Fernbeziehung. Aber nichts ersetzt es, einfach nackt nebeneinanderzuliegen. Nichts ersetzt es, miteinander zu schlafen. Mir fehlte das sehr. Weil wir viel skypten, fragte ich ihn, ob wir uns dabei nicht mal selbst anfassen wollten. Mein Freund zögerte. 'Sex vor der Laptop-Kamera, das ist irgendwie gekünstelt', sagte er. Mir war mein Vorschlag dann irgendwie unangenehm, denn so ganz überzeugt war ich von der Idee auch nicht. Sex auf dem Bildschirm - da kann ich ja auch gleich YouPorn schauen.

Ein paar Nächte später bekam ich eine SMS von ihm. Ich war gerade aus einer Bar nach Hause gekommen. Lang und ausführlich beschrieb er, wie sehr er mich vermisse und was er mit meinem Körper anstellen würde, wenn er bei mir wäre. Dass er mich am liebsten lecken wollte. Ich klappte meinen Laptop auf und rief ihn über Skype an. Als er abnahm, stand ich nackt vor der Kamera. Er sagte nichts. Ich begann, mich selbst zu berühren. Nach ein paar Sekunden zog er seine Hose herunter und tat es mir gleich.

Bis dahin war unser Sex oft laut gewesen. Wir haben uns gesagt, was uns anmacht, gestöhnt und geschrien. Aber beim Skypen schwiegen wir. Wir haben uns auch nicht unsere Gesichter gezeigt. Im Bild waren nur unsere Körper und Hände. Es war diese Distanz, eine gewisse Kälte, die mich angemacht hat. Die Szene wirkte abstrakt, als wären wir zwei Fremde, die sich in einem Chatroom begegnet sind. Nachdem wir beide gekommen waren, haben wir aufgelegt und erst am nächsten Tag wieder miteinander gesprochen. Wir wollten die Magie des Augenblicks bewahren und ihr nachspüren. Wir haben es danach noch ein paarmal probiert, aber die Erotik und der Nervenkitzel waren nicht mehr so stark wie beim ersten Mal."

Die Illusion: "Ich fühlte mich oft wie in einer Parallelwelt"

Über vier Jahre war Layla mit ihrem Freund zusammen. Sie lernten sich am Ende ihrer der Abi-Zeit in ihrer Heimat bei Stuttgart kennen. Nach einem halben Jahr zog Layla zum Jurastudium nach Köln. Fast alle drei Wochen besuchten sie einander. Warum ist ihre Liebe gescheitert?

"Auf einmal begann mein Freund mich zu ignorieren. Wir haben uns normalerweise täglich Textnachrichten geschrieben, regelmäßig abends telefoniert, auch wenn er eigentlich nicht der Typ für lange Telefonate war. Dann: Stille. Erst einen Tag, dann zwei, er ging nicht mal mehr ans Telefon. In der Zeit habe ich mich auf mein Staatsexamen vorbereitet, aber ich konnte mich kaum auf Paragrafen und Texte konzentrieren, weil ich nicht wusste, was los war. Wir hatten schon vorher Probleme miteinander, aber diese Stille hat sich anders angefühlt. An einem Abend im September habe ich ihm dann eine zwanzig Minuten lange Sprachnachricht geschickt. Ich habe ihm nach über vier Jahren Beziehung eine Pause vorgeschlagen. Eigentlich hatte er die mit seinem Schweigen längst eingeläutet. Offenbar konnte er das aber nicht so klar formulieren wie ich. Erst ein paar Tage später antwortete er in einer langen Textnachricht, dass er damit einverstanden sei. Ich war enttäuscht, gerade weil er mich in der Prüfungsphase hängen gelassen hat. Trotzdem hatte ich noch ein wenig Hoffnung, dass wir unsere Beziehung retten könnten, weil er von Ulm nach Köln ziehen wollte. Als er dann in Köln war, haben wir uns getrennt. Durch die Fernbeziehung konnten wir uns als Paar nicht weiterentwickeln. Die Wochenenden und die Vorstellung einer gemeinsamen Zukunft waren irgendwann die einzigen Grundlagen unserer Beziehung. Ich fühlte mich oft wie in einer Parallelwelt, als lebte ich an zwei Orten gleichzeitig und an keinem richtig. Heute denke ich, dass die Entfernung unsere Beziehung künstlich verlängert hat."

Die Krise: "Ich habe ihn in Frankreich betrogen. Er hat mir verziehen"

Neun Monate lang führten Mila Hua, 26, und Till Krecklow, 23, eine Fernbeziehung zwischen Berlin und Montpellier, wo sie Französisch studierte. Erst wollte Mila sich trennen, doch dann begann sie zu zweifeln. Seit drei Jahren wohnen sie zusammen in Berlin. Wie haben sie das geschafft?

"Einer der ersten Sätze, die ich zu Till auf einer Party gesagt habe: 'Ich gehe nach Frankreich!' Das war im Februar vor vier Jahren. Wir redeten weiter und gingen trotzdem an dem Abend zusammen nach Hause. Schon ein paar Tage später bin ich aus meiner WG aus- und bei Till eingezogen. Wir wollten die sechs Monate vor meiner Abreise genießen. Ich schlug vor, während meines Auslandsjahrs eine Pause einzulegen, Till wollte eine Fernbeziehung. Ich war nicht sicher. Als er mich im Berliner Hauptbahnhof verabschiedete, heulten wir beide. Ich habe mich gefragt: Werfe ich unsere Liebe weg? Bin ich eigentlich zu egoistisch?

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In den ersten Monaten skypten wir noch jeden Abend. Doch während ich von Open-Air-Konzerten und Abenden in Parks erzählte, zog er seinen Arbeitsalltag durch. Nach einem halben Jahr klammerte er, und ich wollte mehr Freiheit. Kurz vor meiner Rückreise habe ich ihn dann mit einem Erasmus-Studenten aus Spanien betrogen. Ich bat eine Freundin am Telefon um Rat, und sie erzählte es sofort Till. Ich habe mich wahnsinnig geschämt. Als ich in Berlin vor unserer Tür stand, waren die Schlösser ausgetauscht. Ich habe ein paar Tage bei Freunden gewohnt. Dann haben wir uns getroffen und stundenlang geredet. Ich habe gemerkt, wie eiskalt mein Verhalten war und was ich damit ausgelöst hatte. Till hat mir verziehen. Wir hatten eine Regel: Wenn er 'Flashbacks' hat und sich an die Zeit erinnert, reden wir sofort darüber, auch wenn es manchmal nervt. Als Till mit seiner Ausbildung fertig war, wollte er nach Neuseeland. Ich bin mitgekommen - es war viel schöner mit ihm als alleine in Frankreich."

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