Martina Kix

Chefredakteurin ZEIT CAMPUS, Hamburg

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Mädchen- und Jungenschule: Auf Abstand

Es gibt Momente, in denen treffen sie sich dann doch. In einer Fußgängerzone in der Altstadt von Mainz: Auf der einen Seite liegt der Eingang zur Mädchenschule, ein paar Meter weiter, etwa zwei Minuten zu Fuß, geht's hinein in die Jungenschule. Dazwischen der Ballplatz mit einem Brunnen mit Bronzefiguren in seiner Mitte. In den Pausen stehen sie hier zusammen, die Mädchen und Jungs aus den Oberstufen beider Schulen, spielenPokémon Go auf dem Smartphone, sprechen über Hausaufgaben, Lehrer, Mitschüler und checken sich gegenseitig ab. Es gibt einige Pärchen, die Händchen halten. Deshalb wird der Ballplatz auch "Balzplatz" genannt.

Die Maria Ward-Schule und das Willigis-Gymnasium in Mainz sind anders als die rund 33.500 allgemeinbildenden Schulen in Deutschland: Am Willigis lernen bis zur Oberstufe nur Jungs, während im Unterricht der Maria Ward kein einziger Peter, Max oder Jakob sitzt. Seit einem Abi-Gag vor einigen Jahren hätten sie sogar Hausverbot, munkeln manche Mädchen. Die einzigen Männer sind hier Lehrer, immerhin 27 von 109 insgesamt. 300 Meter entfernt sitzen die Jungs am Willigis, einem der letzten drei Jungengymnasien in Deutschland. Einige Mädchen behaupten, manchmal könnten sie sie sogar riechen.

Ist die Trennung der Geschlechter noch zeitgemäß? Oder schon wieder Zeitgeist, weil Jungs und Mädchen so besser gefördert werden?

Als die Ordensschwestern von Maria Ward die Mädchenschule 1752 übernommen haben, galten sie als Vorkämpferinnen für mehr Bildungsgerechtigkeit. Es war die Zeit, als Mädchen am Herd stehen und kochen sollten, aber nicht lernen. Von den Mädchenschulen, für die sich Maria Ward damals engagierte, gibt es in Deutschland heute noch etwa 160. Wie bei den Jungenschulen mussten viele ihre Klassenzimmer für das andere Geschlecht öffnen, weil die Monoedukation als altmodisch und exotisch galt. Die Direktorin Andrea Litzenburger, die mit kanarienvogelbunten Klamotten und kurzen Haaren aussieht wie eine Powerfrau, sagt: "Wir wollen keine Prinzessinnen heranziehen. Wir wollen die Mädchen umfassend fördern und darauf vorbereiten, dass sie in der Arbeitswelt mit Männern bestehen können." In den siebziger Jahren, als die Chancengleichheit im Bildungssystem großes Thema war, besuchte Litzenburger eine koedukative Schule. Im Unterricht mussten die Mädchen in der letzten Reihe sitzen. Diese Benachteiligung hat sie nie vergessen. "Wir vermitteln hier nicht nur Fachwissen. Wir müssen das Selbstbewusstsein der Frauen stärken", sagt sie.

An der Maria Ward-Schule beginnt gerade die zweite Stunde, eine achte Klasse hat Chemie. Die Lehrerin Heike Leuninger, die in dem traditionsreichen Gebäude mit den rosafarbenen Sandsteinverzierungen selbst schon als Schülerin das Periodensystem erklärt bekam, verteilt Schutzbrillen für ein Experiment. "Auf die Nase damit, nicht dekorativ in die Haare stecken!", ruft sie. Die Mädchen sollen eine Textaufgabe lösen. Mehl, Zucker, Natron oder Zitronensäure: Welcher Stoff aus Omas Speisekammer kann den Geruch von Katzenurin neutralisieren? Drei Mädchen im Teenageralter, alle mit Zahnspangen, pipettieren eine Flüssigkeit auf ein weißes Pulver: "Wie geil", sagt eine: "Ich hör's puffen!" Ein anderes Mädchen am Bunsenbrenner ruft: "Huch, es brennt!" Die Lehrerin löscht die Flammen mit einem Lappen. Aufgeregtes Murmeln, lautes "Hihi".

Während es bei den Mädchen zischt und brennt, sitzen die Jungs der 8a am Willigis-Gymnasium im hellblauen Klassenzimmer und üben im Englischunterricht das Gerundium. Auf den Tischen liegen Bücher, Stifte und iPads. Max meldet sich und liest vor: "Writing postcards is boring!" Wenig überraschend auch, dass Felix sagt:"I like playing football!" Ein anderer:"Shopping is no fun."

Rosa und blau, Küche und iPads: Was wirkt wie typische Geschlechterklischees aus vergangenen Zeiten, nennen die Lehrer hier "Lebenswelt". Aber gibt es zu Textaufgaben aus "Omas Speisekammer" und Grammatikübungen mit Fußballvokabeln wirklich keine Alternative? Lernen Jungs und Mädchen besser, wenn sie die ihnen zugeordnete Welt nicht verlassen müssen, oder verfestigen sich auf diese Weise die Klischees immer weiter?

Spricht man mit den Lehrern an beiden Schulen, suchen sie schnell nach dem besten Beweis für ihren Erfolg: Die Schüler fühlten sich so wohl, dass sie nach dem Abitur am liebsten bleiben möchten. "Durch Aufgaben aus der Lebenswelt der Mädchen können wir eine größere Begeisterung für die Naturwissenschaften schaffen", sagt die Chemielehrerin Leuninger. Ihr sei es wichtig, im Unterricht die Neugier für ein Fach zu wecken. Da müsse dann eben auch mal die Oma herhalten. Besonders in den Mint-Fächern wie Mathe, Chemie oder Physik würden die Mädchen mit Zusatzstunden und AGs gezielt gefördert.

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