Schleiereulen sind in der Schweiz nur deshalb nicht gefährdet, weil Vogelfreunde landesweit Hunderte von Nistkästen für sie aufgehängt haben. An die 400 sind es allein im Einzugsgebiet der Universität Lausanne, wo Forschende um Professor Alexandre Roulin den nachtaktiven Vögeln seit 2004 ihre Geheimnisse entlocken.
Zunächst hebt Morgane Calvani den Deckel des Eulennistkastens nur um
wenige Zentimeter an, um hineinzuspähen. Dann öffnet sie ihn noch etwas
mehr, schiebt ihre Hand durch den Spalt und ergreift die erste von vier
jungen Schleiereulen, die hier im Frühling geschlüpft sind – die älteste
am 9. April, die jüngste 12 Tage später. Still und etwas steif verharrt
die Eule im Griff der Forscherin, die Augen weit geöffnet, während
diese sie mit Blicken prüft und dann behutsam in einen Baumwollbeutel
steckt, der an einer Kordel an ihrem Arm hängt. Nacheinander holt
Calvani die drei verbleibenden Geschwister aus dem Nistkasten,
begutachtet und verstaut sie jeweils in einem eigenen Beutel, bevor sie
die Leiter wieder hinunterklettert.
Es ist ein sonniger Dienstag Anfang Juni, und trotz der brütenden
Mittagshitze haben sich hier um 13 Uhr mehr als 20 Biologie-Studierende
eingefunden, um zu sehen, wie die jungen Schleiereulen vermessen werden,
und um einem Vortrag von Alexandre Roulin zu lauschen. Als Professor am
Institut für Ökologie und Evolution der Universität Lausanne leitet
dieser ein ganzes Team von Forschenden, die sich nur mit Fragen rund um
die Schleiereulen beschäftigen. Der Nistkasten, den Morgane Calvani
zusammen mit den Doktorandinnen Laurie Ançay und Estelle Milliet
kontrolliert, befindet sich an einer Scheune auf dem Campus der
Universität, nur fünf Gehminuten von Roulins Büro entfernt.
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