Martin Reischke

Freelance journalist // Periodista, Berlin

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San Salvador: Eine Art Messias

Nayib Bukele ist kein Mann der halben Sachen. "100% iluminado" heißt eines seiner politischen Projekte - auf Deutsch: zu 100 Prozent erleuchtet. Seit einem Jahr ist Bukele Bürgermeister von San Salvador, und er will nicht nur die Hauptstadt erhellen.

Im ersten Jahr seiner Amtszeit hat er die alte Straßenbeleuchtung der Stadt gegen moderne LED-Lampen austauschen lassen. Jetzt sollen Orte in der Provinz die ausrangierten Straßenlaternen erhalten. Deshalb sieht es an diesem sonnigen Donnerstagvormittag im Dezember auf dem bekanntesten Platz der Hauptstadt mit der großen Jesus-Statue aus wie bei einer Entwaffnungskampagne kurz nach dem Friedensschluss - nur dass statt alter Gewehre Hunderte von grauen Straßenlampen auf dem Platz aufgereiht liegen, die an Bürgermeister aus 18 bedürftigen Gemeinden abgegeben werden. Was in der Hauptstadt ausgedient hat, so der Plan, kommt in der Provinz wieder zum Einsatz und trägt so das Licht von Nayib Bukele, 35, ins ganze Land.

San Salvador zählt zu den gewalttätigsten Städten der Welt. Hier geschehen jährlich mehr als 100 Morde pro 100.000 Einwohner - zum Vergleich: in Deutschland lag die Rate 2015 bei weniger als einem Mord pro 100.000. Bukele will das ändern, und zwar nicht nur mit helleren Lampen. "Neue Infrastruktur kann zu einem Wandel führen, aber der ist vergleichsweise klein", sagt Bukele. "Erst wenn sie begleitet wird von einem neuen Denken, wird es einen wirklichen Wandel geben."

Mit diesem neuen Denken hat der Bürgermeister schon einmal selbst angefangen. Er versucht erst gar nicht, das Gewaltproblem der Hauptstadt - und des ganzen Landes - kleinzureden. Doch statt wie so viele seiner Vorgänger darauf mit einer Politik der harten Hand vor allem gegen die Jugendbanden zu antworten, die ganze Bezirke der Hauptstadt kontrollieren, vertritt er eine andere Position: "Wenn eine Person eine andere ermordet, dann könnte man denken, dass diese Person ein Soziopath ist", sagt Bukele. "Wenn aber Zehntausende von Jugendlichen in die Jugendbanden strömen, dann haben wir es nicht mehr mit Soziopathen zu tun, sondern mit einem sozialen Phänomen." Solche Worte sind eine Seltenheit in einem Land, in dem die Öffentlichkeit Straftätern oft selbst grundlegende Menschenrechte abspricht.

"Polizei ist nicht die Lösung"

Wenn er über das Scheitern der Sicherheitspolitik in seinem Land redet, vergleicht Bukele den salvadorianischen Staat gerne mit dem menschlichen Körper. "Wenn du Kopfschmerzen hast und ein Schmerzmittel nimmst, dann gehen die Kopfschmerzen vielleicht weg", sagt der Bürgermeister. "Aber wenn du sie wirklich heilen willst, vor allem wenn es sich um etwas Ernstes wie einen Tumor handelt, dann wirst du das nicht mit Schmerzmitteln schaffen."

Genau das habe man jedoch in El Salvador über Jahre hinweg versucht: "Wir haben überall Polizei in den Straßen und Geschäfte mit bewaffneten Sicherheitskräften vor der Tür: Wir nehmen riesige Mengen an Schmerzmitteln, aber die Schmerzen wollen einfach nicht weggehen", meint Bukele. "Niemand ist gegen die Polizei, aber offenbar ist sie nicht die Lösung."

Bukele will die strukturellen Gründe der Gewalt bekämpfen: Die soziale Ungleichheit und die Exklusion großer Teile der Bevölkerung. Dafür hat er ein Bündel an öffentlichen Investitionen geplant, mit denen er die Stadt ihren Bewohnern zurückgeben will. Kernstück dieser Politik ist die Rückgewinnung des historischen Zentrums von San Salvador. Hier, wo heute noch fliegende Händler, Taxen und Busse die engen Straßen verstopfen und die architektonischen Perlen der Hauptstadt langsam aber sicher zerfallen, sollen die Passanten schon in naher Zukunft durch Fußgängerstraßen flanieren und auf begrünten Plätzen verweilen. Bisher künden von den Plänen allerdings nur die hellblauen, blickdichten Metallzäune, mit denen die Stadtverwaltung wichtige Bauobjekte abgesperrt hat. Dabei ist die Hälfte der Amtszeit von Bukele schon vorbei.

Bukele braucht Erfolge

Jetzt müsse der Bürgermeister schnell beweisen, dass seine Politik Erfolg habe, sagt Luis Membreño, ein konservativer Wirtschaftsanalyst aus der Hauptstadt. "Wenn er das schafft, wird er davon stark profitieren - wenn nicht, wird es ihm schaden."

Bisher kannte die politische Karriere von Nayib Bukele nur eine Richtung: steil nach oben. Als Sohn einer Unternehmerfamilie mit palästinensischen Wurzeln machte er zunächst Karriere in seiner eigenen Werbeagentur, auch sie ist ein Teil des Familienimperiums. Dort kümmerte er sich um diverse Wahlkampagnen der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí, kurz FMLN, die als Partei der ehemaligen Guerrilla heute das Land regiert.

Kurze Zeit spät wurde Bukele selbst Politiker für die FMLN, zuerst in einer kleinen Gemeinde am Rande der Hauptstadt, 2015 dann in San Salvador. Als Outsider-Kandidat gewann er die Wahl knapp gegen den Kandidaten von Arena, der größten konservativen Partei des Landes. Dabei half ihm die Unterstützung seines Vaters Armando Bukele, eines bekannten salvadorianischen Unternehmers und Intellektuellen, und eine Social-Media-Kampagne, mit der er zahlreiche junge Wähler an sich binden konnte. Fast stündlich berichtet Bukele auch heute noch auf Twitter aus seinem privaten und politischen Leben - und hat damit mehr als 300.000 Follower um sich geschart.

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