1 Abo und 2 Abonnenten
Artikel

Arbeit, Politik, Essen, Trinken, Schlafen

Die beiden Gerhards, Kraft und Thumes, teilen sich nicht nur einen Vornamen, sondern auch einen Rekord. Seit 25 Jahren sitzen die beiden ihren Fraktionen im Main-Spessarter Kreistag vor – Kraft den Grünen, Thumes den Freien Bürgern. Im Doppelinterview sprechen die beiden darüber, wie sich Kreispolitik in den vergangenen 25 Jahren geändert hat, über Fehler und Erfolge.


Frage: Nach einem Vierteljahrhundert im Kreistag: Freundet man sich da nicht zwangsweise an, auch wenn man politisch so unterschiedliche Ansichten hat?

Gerhard Thumes: Ach, wir tun uns nix.

Gerhard Kraft: Nein. Es gibt mal ein Gekabbel (Thumes lacht). Aber das ist ganz normal.

Thumes: Er hat sich ja gewaltig gebessert. Als er angefangen hat, im Gemündener Stadtrat, da war er ja ultra links.

Kraft: Ich war nie links.

Thumes: Und ich war parteilos, bürgerliche Mitte. Man hat mir ja immer nachgesagt, ich wär ein verkappter FDPler.

Aber Sie waren doch mal mit der FDP auf einer Liste?

Thumes: Langsam, langsam. Diese Liste hieß zwar FDP/Freie Bürger, aber die FDP war hier in Main-Spessart immer schwach auf der Brust. Die hätten ohne uns ihre Liste gar nicht voll gekriegt.


Es lief ja auch alleine dann.

Thumes: Am Schluss hatten wir fünf Kreisräte, unter anderem mit der Anna Stolz. Dann kam der große Fall mit Günther Felbinger. Wobei wir ihn für den Kreis nicht genommen haben, aber in Gemünden. Ich dachte mir: In der 'kleinen' Politik sollte auch mal verziehen werden. Das haben mir aber die Gemündener Bürger nie verziehen.


Lesen Sie auch: Dachten Sie da mal ans Aufhören?

Thumes: Ich hatte eine Zeit, aber nicht da. Ein rühriger Stadtratskollege, nein, ein Freund, starb nach langer, schlimmer Krankheit. Ich wurde gebeten, die Urne zu tragen und noch auf dem Friedhof, fünf Meter neben dem Grab, hat einer gesagt: "Guck mal, der Thumes hat das nur gemacht, weil bald Wahlen sind." Wörtlich, am Grab.


Sind das die Nachteile eines Politikers?

Thumes: Damals habe ich wirklich überlegt: Für was setzt du dich als Freiberufler überhaupt noch ein, wenn das das Bild von dir ist. Als Stadtrat und Freiberufler hat man viele Nachteile.

Herr Kraft, Sie kamen in den Kreistag und übernahmen direkt den Vorsitz. Wie kam's?

Kraft: Wir waren fünf Grüne. Die anderen wollten es nicht machen und ich hatte aus dem Gemündener Stadtrat und als dortiger Fraktionsvorsitzender schon etwas Erfahrung.


1996 war noch Landrat Armin Grein.

Kraft: Das erste, was ich bewirkt habe, hat er mir heute noch nicht verziehen (lacht). Ich hatte es gegenüber Grein gewagt, einen Nachtragshaushalt zu fordern.

Thumes: Für ihn war das eine Majestätsbeleidigung.

Kraft: Er bat seinen Kämmerer, das zu prüfen und das Ergebnis war: ein Nachtragshaushalt.

Sie beide haben inzwischen zwei Landräte erlebt, jetzt hat Main-Spessart eine Landrätin.

Wie unterscheiden sie sich?

Kraft: Armin Grein habe ich mal eine Gutsherrenart vorgeworfen, er war aber auch ein Macher. Insofern konnte man auch einiges von ihm lernen. Thomas Schiebel hingegen war ein Verwalter. Er hatte eine ruhige Hand, hat integriert. Was er nicht war: ein Visionär. Das ist dem Landkreis ein Stück weit abgegangen.


Würden Sie da zustimmen, Herr Thumes?

Thumes: Thomas Schiebel wollte keine offenen Konflikte.

Kraft: Sabine Sitter würde ich noch als Lernende bezeichnen. Sie hat aber Zukunftsperspektiven. Das sehe ich positiv. Da sehe ich für den Landkreis eine Chance.

Thumes: Mit Visionen, was das Gesundheitswesen angeht, da wäre ich sehr, sehr vorsichtig, Gerhard. Das ist ja mein Schwerpunkt. Da arbeite ich mit „denen" zusammen.


Denen?

Thumes: Die Grünen. Der Christian Baier ist ja Humanmediziner. Für mich ist er in diesem 60er-Club, also dem Kreistag, der einzige, der Sachverstand hat. Wenn ich da einige aus der CSU mit ihren Egos sehe, die haben von Medizin keine Ahnung.


Herr Kraft, haben Sie schon mal ans Aufhören gedacht?

Kraft: Im Leben von Kommunalpolitikern gibt es öfter solche Phasen. Nicht zuletzt habe ich nach 14 Jahren im Gemündener Stadtrat das Mandat abgegeben. Aber ein großer Einschnitt war dieser Beschluss in Bezug auf die Einhäusigkeit der Krankenhäuser 2015 und das – ich wiederhole es auch heute wieder – ohne einen Plan zu haben. Und den hatten wir damals nicht.

Thumes: Das stimmt.

Kraft: Diesen Beschluss zu diesem Zeitpunkt und ohne Masterplan zu fassen, war verantwortungslos.


Haben Sie beide dafür gestimmt?

Kraft: Nein. Ich war dagegen. Er (zeigt auf Thumes) war dafür. Wir als grüne Fraktion haben auf einen Plan beharrt, aber es ist nichts passiert, leider über Jahre. Erst jetzt, im vergangenen Jahr, hat René Bostelaar diesen Masterplan vorgelegt.

Sind Sie zufrieden damit?

Kraft: Das ist eine sehr gute Lösung, sie kam nur fünf Jahre zu spät. In der Zwischenzeit sind unnötige Gräben aufgemacht worden.


Herr Thumes, wie war das bei Ihnen?

Thumes: Das Defizit des Karlstadter Krankenhauses ist immer weiter gewachsen. Das Leistungsspektrum in der Medizin auch. Das kann man mit so einem Belegerkrankenhaus nicht abdecken.

Kraft: Das war mir auch klar. Aber durch diese Planlosigkeit hatten wir Patientenabwanderungen, haben wir es uns mit manchen niedergelassenen Ärzten und sehr vielen eigenen Pflegekräften verscherzt. Dieses verloren gegangene Vertrauen müssen wir jetzt erst einmal wieder schaffen.


Wie unterscheidet sich die politische Kultur im Kreis vor 25 Jahren mit der heutzutage?

Kraft: Außer den Fraktionsvorsitzenden hat sich damals kaum jemand zu Wort gemeldet. Greins Spezialität war, dass er jeden – und ich unterstreiche jeden – Wortbeitrag persönlich kommentierte. Die Sitzungen waren legendär lang.

Thumes: Es gab zwischendurch sogar belegte Brötchen – zum Durchhalten.

Kraft: Thomas Schiebel hat überhaupt nichts kommentiert, außer er musste etwas fachlich richtig stellen. Das heißt: Wir hatten 30 Tagespunkte und nach 45 Minuten war die Sitzung vorbei.

Thumes: Schiebel hat die Fraktionsvorsitzendenbesprechung eingeführt, wie schon als Gemündener Bürgermeister. Vorher wurde alles schon besprochen. Deswegen ging es so schnell.


Wie war die Zusammenarbeit unter den Fraktionen?

Kraft: Vor 25 Jahren gab es noch Blocks. Zum Beispiel die Konservativen, die mit „denen da", damit waren wir Grünen gemeint, nichts zu tun haben wollten. Unter Schiebel wurde das schon besser, es wurde mehr an der Sache orientiert entschieden, ohne Fraktionszwang.

Thumes: Eins war unter Grein und Schiebel aber gleich: Beide legten Wert darauf, dass der Gesamtlandkreis „bedient" ist, dass nicht ein Viertel „absäuft".

Kraft: Diese Kirchturmdenkerei ist nach wie vor ein Problem.

Thumes: Gegen Ende seiner Karriere ist Armin Grein einmal interviewt worden. Ein Satz hat mir echt weh getan. Er hat gesagt, es sei ihm nicht gelungen, einen homogenen Main-Spessart-Landkreis zu hinterlassen.


Dazu hat der neue Kreistag nun eine Chance, oder?

Kraft: Seitdem ich dabei bin, war dies der größte Wechsel an Räten. Das macht aber nicht unbedingt alles einfacher.

Thumes: 50 Prozent Neue.

Kraft: Corona und Distanzierung haben den Start in diese neue Wahlperiode, vor allem für die neuen Kolleginnen und Kollegen, nicht einfach gemacht.

Thumes: Aber viele Neue und auch Alte wollen sich natürlich profilieren. Das macht die Sitzungen wieder länger. Viele Nachfragen gibt es auch.


Krankenhaus, B26n und Schulen – kaum etwas anderes scheint zu interessieren.

Kraft: Die Kreispolitik ist im Gegenteil zur Stadt- oder Gemeindepolitik nicht so nah an den Leuten. Das Interesse der Leute ist leider häufig zu punktuell. Beispiel B26n: Alle, die meinen, sie hätten eine Entlastung, sind eher dafür. Alle, die eine Belastung fürchten, sind dagegen. Den nicht betroffenen Rest interessiert es eigentlich gar nicht. Dabei bräuchten wir ein Verkehrskonzept für den gesamten Landkreis, ohne dass jemand verliert.

Thumes: Es spaltet diesen Landkreis regelrecht in Befürworter und Gegner.


Sind früher mehr die Fetzen geflogen als heute?

Kraft: Durchaus. Wir hatten eine andere Diskussionskultur. Die Abgeordneten, MdLs und MdBs, haben sich von Haus aus Schlagaubtausche geliefert. Die Debatten über Landes- und Bundespolitik hat uns nicht unbedingt weiter geholfen.

Thumes: Geld haben sie halt gebracht.

Kraft: Das stimmt zum Teil. Heute gibt es eine Diskussionsvielfalt, jeder bringt sich ein.

Sie waren jetzt so lange das Gesicht ihrer Fraktion. Warum tut man sich das an?

Kraft: Weil doch die Gestaltungsmöglichkeit da ist. Ich möchte den Landkreis – genauso wie der Gerhard auch, er aber von einer anderen Plattform aus – weiterentwickeln. Vor allem bei dem Thema Ökologie und Nachhaltigkeit, da sind wir nicht so weit wie wir sein müssen. Das ist meine Motivation.


Herr Thumes, Sie könnten ja eigentlich irgendwo am Strand liegen, die Rente ausgeben.

Thumes: Ich habe noch nie Urlaub gemacht, in dem Sinn. Ich habe neben meinem Bett mein Telefon. Wenn wer anruft, dann bin ich da. Gut, auf der Koppel renn ich nicht mehr rum.

Kraft: Urlaub, das brauchen wir zwei nicht. Arbeit, Politik, Essen, Trinken, Schlafen (lacht).

Warum braucht es für Sie Politik?

Thumes: Das hat sich so zwangsläufig ergeben (beide lachen). Früher war ein gewisser Respekt da für Ärzte, da wurde man da eben reingewählt.

Kraft: Es ist auch eine Lebensphilosophie. Diese Freizeitgesellschaft ist unser beider Ding nicht.

Thumes: Gut, Tennis gespielt hab ich schon. Und Fußball. Daher habe ich auch meinen Spitznamen "Morlock". Der schnellste war ich nicht, aber das Bein hab ich gern mal stehen lassen. Ein paar Mal bin ich auch vom Platz gestellt worden (beide lachen).


Welche Ratschläge würden Sie der nächsten Generation Kreispolitikerinnen und -politikern geben?

Thumes: Sauber bleiben. Jeden Menschen korrekt behandeln, auch wenn dieser andere Meinungen hat.

Kraft: Respekt gegenüber allem. Nicht nur den politischen Mitbewerbern gegenüber, sondern auch der Natur.

Zum Original