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Wie sich unsere Innenstädte verändern werden

Das Einkaufsverhalten vieler Menschen wandelt sich. Orte, Händler und Werbegemeinschaften arbeiten an der Zukunft der Innenstädte. Ihre Ideen sind spannend.

Die Main-Spessarter Innenstädte waren schon vor der Pandemie zu Sorgenkindern geworden. Lohr, Karlstadt, Gemünden und Marktheidenfeld werden dominiert vom Handel, dazu Gastronomie. Doch das Einkaufsverhalten der Menschen wandelt sich seit langem. Besucheranstürme sind schon lange nichts mehr Selbstverständliches. "Corona hat die strukturellen Herausforderungen der Innenstädte offengelegt", sagt Christian Seynstahl, Referent für Regionalentwicklung bei der IHK Würzburg-Schweinfurt. Er glaubt, dass sich die Modernisierung der Innenstädte durch die Krise beschleunigen wird.


Aber wie sieht diese Modernisierung aus? Diese Frage hat die Redaktion in den vergangen Monaten nicht nur Seynstahl sondern vielen Händlern, Unternehmern, Werbegemeinschaften, Gastronomen und Verbänden aus dem gesamten Landkreis gestellt. Deren Aussagen haben wir zu fünf Thesen zusammengefasst.


These 1: Es ist kein Heilsbringer, Bestehendes einfach nur zu digitalisieren

Während der ersten Welle haben Karlstadt, Gemünden und Hammelburg mit dem MainLokalShop eine Art digitale Fußgängerzone geschaffen. Über ein Jahr nach der Gründung habe sich der Shop "weiterentwickelt", sagt Angelika Winkler, die Vorsitzende der Lohrer Werbegemeinschaft. Noch immer gibt es Produkte zu kaufen, aber auch Gutscheine und Tickets sowie Online-Infos. Warum? In Main-Spessart ist ein Großteil der Läden inhabergeführt. "Die viele Arbeit, die das permanente Aktualisieren des Sortiments braucht, ist im laufenden Betrieb nur schwer möglich", sagt Winkler. 

Anders steht es da mit der digitalen Sichtbarkeit. Händler und Gastronomen hätten lange Facebook, Instagram und die eigene Website vernachlässigt, heißt es aus den ehemaligen Kreisstädten. Seit der Pandemie sei das nicht mehr so. Es gibt kleine Modeschauen mit neuen Produkten, neue Gerichte auf den Karten werden präsentiert und vieles mehr. Viele würden dies sogar noch ausbauen wollen, heißt es. "Digital säen, lokal ernten."


These 2: Der Sommer gehört dem Tourismus. 

In Lohr haben sie dem Tourismus eine Statue gebaut. Das Schneewittchen ist ja nichts mehr als ein Gag, um mehr Besucher in die Stadt zu locken. Doch auch die anderen drei ehemaligen Kreisstädte brauchen den Tourismus. Mit ihm komme das Geld, sagte kürzlich Michael Seiterle, Geschäftsführer des Tourismusverbands Spessart-Mainland, in einer Marktheidenfelder Ausschusssitzung. 

Inge Albert, im Marktheidenfelder Rathaus zuständig für Stadtmarketing, Kultur und Tourismus, sieht das ähnlich. "Es profitiert einfach jeder. Nicht nur die Hoteliers, sondern auch die Gastronomie, die Händler, von ÖPNV bis zu den Taxis." Doch um den Tourismus auszubauen, muss man die Städte in diese Richtung umbauen. Tourismusexperte Seiterle machte damals eine einfache Rechnung auf. Touristen würden länger bleiben und gäben mehr Geld aus, je leichter sie sich darin zurechtfinden und – das ist das wichtigste – je schöner die Städte seien. Vor allem der letzte Punkt kollidiert mit der nächsten These.  


These 3: Parkplätze bleiben weiter wichtig. 

Irgendwie haben es alle vier ehemaligen Kreisstädte geschafft, signifikante Teile ihrer Uferstreifen mit Parkplätzen zuzubauen. Hier steckt Potenzial, die Aufenthaltsqualität und Verweildauer verbessern können. Doch aus dem Pro und Contra zu Parkplätzen ist ein Glaubenskrieg geworden. Wem gehört die Stadt: dem Tourist, der mit viel Geld in der Tasche in die Stadt radelt, oder dem Einwohner, der nach der Arbeit noch schnell was einkaufen will und dafür direkt vor dem Geschäft parken möchte?

Angelika Winkler fasst das Problem aus Sicht der Betriebe zusammen: "Der digitale Kunde braucht es bequem. Solange es keine genialen grünen Ideen gibt, die das Auto in diesem Aspekt ersetzen, ist die Erreichbarkeit und sind damit Parkplätze essenziell." 


These 4: Die Innenstädte werden wieder multifunktionialer.

Früher wurde in der Innenstadt gelebt. Inge Albert glaubt, dass der Trend wieder dorthin entwickeln wird. Was meint sie damit?

Zum einen wird das Wohnen in den Innenstädten wieder attraktiver. Für die Vermieter, weil die Geschäftsmieten fallen und die Wohnmieten steigen. Für die Einwohner, weil es immer mehr Einzelhaushalte gibt. Junge Singles wollen in die Innenstädte, ältere müssen (da hier die Versorgungsinfrastruktur einfach dichter ist). In Marktheidenfeld kann man bereits jetzt diese Entwicklung beobachten. Nach den Plänen zur Umgestaltung des Udo Lermann-Areals sollen, laut dem vorläufigen Bebauungsplan, hier 76 neue Wohnungen entstehen – vor allem für Senioren. 


Zum anderen machen Leerstände und fallende Mieten die Innenstädte auch für Unternehmen außerhalb von Handel und Dienstleistung wirtschaftlich. Innenstädte seien attraktive Arbeitsplätze, klang auch im jüngsten IHK-Gremialausschuss an. Dem dass mehr Unternehmer die Leerstände übernehmen, stünden aber aktuell noch zwei Dinge im Weg: der oft umständliche Umbau und die Umwidmung von Handelsflächen und wieder: zu wenige Parkmöglichkeiten für die Mitarbeiter. Es hieß jedoch auch, dass sich in der Hinsicht einiges in Stadtverwaltungen tue. Die sogenannten Coworking-Büros, die jetzt überall eröffnen, könnten da nur der Anfang einer Entwicklung gewesen sein.

Inge Albert sagt: "Es wird einfach die unterschiedlichsten Anlässe dafür geben, in die Innenstadt zu gehen – sei es das Arbeiten, Einkaufen, ein Cafébesuch, eine kulturelle Veranstaltung oder öffentliche Einrichtung, ein Arztbesuch und so weiter. Die Vielfalt macht es und wird immer wichtiger, um attraktiv zu bleiben. Davon profitiert dann auch der Handel."


These 5: Erlebnis ist Schlüssel

Die Bedeutung des Handels in der Innenstadt wird sich ändern. Doch was wollen die Menschen? "Die Erlebnisqualität des Innenstadtbesuchs wird wichtiger als der reine Konsum", sagt Christian Seynstahl, von der IHK Würzburg-Schweinfurt. Das kann die verschiedensten Ausmaße annehmen. Vom Essen mit Freunden (Seynstahl: "Die Gastronomie wird in Sachen Frequenzsicherung in der Fußgängerzone zum neuen Handel.") bis zur tatsächlichen Show. Konzerte, Modenschauen, Aktionswochen, Märkte. Hauptsache kreativ. Nach Corona wollen viele Städte und Werbegemeinschaften ihre Bemühungen intensivieren, mit Veranstaltungen aktiv Menschen in die Innenstädte zu locken.


So weit, so bekannt. Doch Seynstahl geht noch einen Schritt weiter. Nicht nur die Innenstädte als Ganzes, sondern auch die Händler im Einzelnen könnten sich, soweit wie eben möglich, auf Erlebnisse ausrichten. Haushaltswarengeschäfte, die mit Kochkursen locken. Wollgeschäfte, in denen gemeinsam gestrickt wird. Cafés, die Baristas ausbilden. Die dafür notwenigen Utensilien kann man ja gleich mit verkaufen, so der Gedanke dahinter.

Langfristig könnten sich viele Einzelhandelsgeschäfte zu reinen "Showrooms" entwickeln, die sich auf Beratung und Erlebnis fokussieren und Waren im Nachgang zustellen, etwa über örtliche Same-day-delivery-Konzepte, so Seynstahl. Das seien zwei Dinge, die kein Online-Riese in dieser Qualität leisten könne.


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