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Ist Corona der Todesstoß für die Innenstädte?

Langsam füllen sich die Innenstädte im Landkreis. Die Menschen kaufen wieder Klamotten, Hefte für ihre Kinder oder Wolle für den x-ten Versuch, einen ordentlichen Quarantäne-Pullover zu stricken. Das alles ist vorerst nur unter Auflagen möglich, bereits oft genug besprochen und vielleicht zum Veröffentlichungszeitpunkt schon wieder überholt. Klar ist jedoch: Dass der stationäre Handel brummt, ist essenziell für eine Stadt. Nicht zuletzt bringt er Jobs, Steuereinnahmen und Leben.


Meist führen Kleinunternehmer und Selbstständige die Geschäfte in den Main-Spessarter Innenstädten. Schon vor der Corona-Krise durch den Online-Handel angeschlagen, trifft sie die Corona-Krise besonders schwer. Statistiken und Gespräche mit Betroffenen zeigen, dass die Wochen ohne Einnahmen mehr Spuren hinterlassen haben, als die Kosten für ein paar Masken. Die staatlichen Soforthilfen sind bei vielen noch nicht angekommen, Banken müssen manche Kreditanfragen ablehnen und das obwohl theoretisch 90 Prozent des Ausfallrisikos vom Staat übernommen wird – aber halt auch nur theoretisch. Wer wissen will, wie es um den Handel und damit auch die Innenstädte im Landkreis steht, der begibt sich in ein komplexes Gestrüpp von Händlern, Banken sowie Lokal- und Bundespolitik. Am Ende lernt man, dass die Krise rückblickend sogar etwas Positives für Händler und Kunden haben könnte. Also wagen wir den Sprung.


Eine Pleitewelle ist bisher ausgeblieben

Zu Anfang: Die befürchtete "Pleitewelle" hat es in Mainfranken noch nicht gegeben. In Marktheidenfeld zum Beispiel hat laut der Leiterin des Stadtmarketings, Inge Albert, bisher kein Laden in der Innenstadt wegen der Krise zusperren müssen. Wie ihre Kollegin aus Karlstadt, Susanne Keller, erzählt sie, dass die Stimmung unter den Händlern gut sei. Viele Stammkunden hätten extra auf die Öffnung der Geschäfte gewartet, um einzukaufen und hätten das eben nicht über Amazon erledigt. Die Frage sei nur: Reicht das? Denn bis auf weiteres einer der wenigen Vorteile von Händlern gegenüber der Online-Konkurrenz nicht mehr gegeben: das Einkaufserlebnis. Durch Läden zu stöbern, ausgiebige Beratung oder Aktionen sind nicht möglich. Vergangenen Freitag wäre das erste Mal "Musik zum Feierabend" gewesen, sagt Albert und atmet einmal tief aus.


Vielleicht auch deswegen spürt sie weiterhin Verunsicherung und Zurückhaltung unter den Händlern. Die neue Infektionsschutzordnung bestehe nur bis zum 17. Mai, sagt sie. Die Situation müsse man immer wieder von Neuem bewerten.

Bernard: "Die Kleinen bleiben auf der Strecke."

Ein ähnliches Gefühl hat auch der Lohrer Frank Bernard. Nicht umsonst hat der Bezirksgeschäftsführer des Bund der Selbstständigen Unterfranken Ende März in einem Main-Post-Interview geschätzt, dass mehr als jeder zehnte Kleinunternehmer nicht bis Juni durchhalten werde. Bernard ist einer, der sagt, was er denkt. Als die Bonpflicht eingeführt wurde, sammelte er zum Beispiel persönlich überflüssige Bons ein, um sie aus Protest nach Berlin zu schicken. In die selbe Richtung geht seine Kritik auch in der Corona-Krise. Zwar hält er die Maskenpflicht für wichtig und richtig, aber: "Global Player bekommen schnelle Hilfen im Millionenbereich. Die Kleinen bleiben auf der Strecke."


Fest macht er das an einer verbands- und bayernweiten Umfrage von Anfang Mai. Laut der haben 60 Prozent der befragten Unternehmer die staatliche Soforthilfe beantragt. Nicht mal ein Drittel davon (28,6 Prozent) hätten sie erhalten. "Das ist hier im Landkreis nicht anders", sagt Bernard. Hinzu komme, dass ein kalkulatorischer Unternehmerlohn, also das Gehalt des Inhabers, nicht anrechenbar sei. Bekommt man also die Soforthilfe, wäre der Laden zwar für einige Zeit gerettet, aber nicht der Inhaber. Bernard glaubt, dass viele Unternehmer es auch deshalb nicht vermeiden werden können, ein Darlehen aufzunehmen. 58,3 Prozent der befragten Unternehmer, um genau zu sein. Die Frage sei nur, sagt Bernard: "Wie zahlt man das zurück?"


Es gibt schon fast zu viele Hilfsprogramme

Um diese Frage zu beantworten, eignet sich der am besten, der Kredite beruflich vergibt: Markus Baumann. Er leitet den Bereich "Firmenkunden" bei der Raiffeisenbank Main-Spessart. Auf die Frage, ob er gerade Zeit für ein Gespräch habe, lacht er: "Eigentlich habe ich nie Zeit." Das allein fasst wohl schon den Bedarf an Beratung zusammen, den es im Landkreis gerade gibt.


Da sind zum einen die aktuell acht verschiedenen Hilfsprogramme, die allesamt andere Kriterien haben. "Grundsätzlich löst die Politik diese Probleme gut, aber im operativen stecken sie nicht so drin", sagt Baumann.


Zum anderen steht man als Kreditvergeber nicht nur in einem Dilemma. Als Beispiel nennt Baumann die staatlich garantierten Kredite für Unternehmen. Die müssen die Hausbanken vergeben, nur falls die Unternehmer sie nicht zurückzahlen können, springt der Staat ein. "Erfahrungsgemäß wird bei Kleinigkeiten die Haftungsübernahme aberkannt. Vor diesem Risiko haben die Institute Respekt."


Jetzt hieß es aber nicht nur einmal aus dem Finanzministerium, dass Banken doch beim Vergaberisiko der Kredite ein Auge zudrücken sollen. Erinnert man sich aber etwa zwölf Jahre zurück, dann wurde eben dieses Zudrücken der Augen aus gutem Grund durch Gesetze erschwert. Dilemma Nummer zwei - für Staat und Bank. ZZudem, wie Baumann erklärt, würden die jetzt aufgenommenen Kredite überwiegend nicht für Investitionen verwendet werden, sondern nur um laufende Kosten zu bezahlen. Nach der Investition würde man als Unternehmer also nicht mehr Geld verdienen als vorher, was es schwieriger macht, den Kredit zurückzuzahlen. Um den Bogen wieder zum Anfang zu spannen: Dieses Dilemma, inzwischen sind wir bei Nummer drei, trifft Kleinunternehmer und Selbstständige am meisten und damit am Ende auch die Bank, die einen Kunden verliert. Baumann sagt deshalb: "Wir stehen der Wirtschaft grundsätzlich positiv gegenüber, aber es wird das ein oder andere Kopfschütteln geben."


Main-Spessart hat viele gut aufgestellte Unternehmen

Da wir hier nicht die Bild-Zeitung sind, wird dieser Text nicht auf einer solch düsteren Note enden. Es gibt viele Gründe für den Handel, sei es in der Innenstadt oder auch nicht, und seine Kunden, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. So sagt zum Beispiel Baumann: "Main-Spessart hat sehr viele gut aufgestellte Unternehmen, die nicht einmal Förderungen brauchen." Er stehe dem Handel positiv gegenüber, wenn er aus der Krise lernt.

Erste Ansätze sieht Baumann schon. Was er seinen Kunden seit Jahren predige, und zwar dass der stationäre Handel digitaler werden solle, trete jetzt durch die Krise ein. Dazu gehören einfache Dinge, wie Kartenzahlung zu ermöglichen. Er nennt aber auch Marktheidenfeld Live als Beispiel. Oder MainLokalShop, die Plattform der Lohrer und Karlstadter Händler. Deren Einrichtung sei ein riesiger logistischer Aufwand gewesen, erzählt Susanne Keller, Geschäftsführerin des Karlstadter Stadtmarketings. "So unbürokratisch und spontan wäre ohne die Krise nie so etwas passiert", glaubt sie.


Langfristig können Kunden nur von den zusätzlichen Angeboten und Informationskanälen nur profitieren. Die Händler können wiederum von einer neuen coronainduzierten Solidarität in der Bevölkerung profitieren. Am Ende der Krise könnten die Innenstädte sogar gestärkt aus der Krise hervorgehen.

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