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Eine Stadt und ihr Unternehmen

Heute werden Weltunternehmen in Garagen gegründet, 1955 war es noch der Pferdestall. Mehr war im Nachkriegs-Marktheidenfeld (Lkr. Main-Spessart) nicht drin und dementsprechend einfach fingen Hans-Wilhelm-Renkhoff und Karl-Friedrich Wagner an. Sie hatten fünf Mitarbeiter und ein Produkt: Leichtmetall-Jalousien. Aus dem Kleinunternehmen entwickelte sich ein Weltkonzern für Sonnenschutz, während aus dem ehemaligen Fischerdorf ein Industriestandort wurde. Warema und Marktheidenfeld sind zusammen gewachsen.


Und während die Googles, Apples und Amazons dieser Welt irgendwann aus ihren Garagen wegzogen, ist die Zentrale von Warema immer noch in der selben Stadt, wo das Unternehmen einst im Pferdestall begonnen hat. WAgner-REnkhoff-MArktheidenfeld: nicht nur durch den Namen sind die Stadt und das Unternehmen verbunden. Aber was hält die beiden zusammen? Wie wurde Warema zum Weltkonzern und welchen Anteil daran haben die Stadt und ihre Bewohner? Eine Spurensuche.


Freund: "Wir bauen gerade so viel, wie noch nie."

Harald Freund kennt den Konzern so gut wie nur eine handvoll anderer Menschen. 47 Jahre war er bei Warema, vor etwa drei Monaten ging er in den Ruhestand. Wobei ihn Warema nicht ganz loslässt, gibt er zu, als er sich auf eine rote Couch sinken lässt. "Wir bauen gerade so viel, wie noch nie. Diese Projekte organisiere ich jetzt noch." Große Visionen und Investitionen waren schon immer sein Ding. Wir sitzen im zweiten Stock der Warema Akademie am Dillberg. Das Gebäude hat vor elf Jahren noch Schneider Electric besessen, Freund hat es für Warema gekauft. "Damals haben viele es für zu groß gehalten, inzwischen ist es zu klein."


Freund ist kein "eingekaufter" Manager. Der gebürtige Würzburger arbeitete sich im Unternehmen hoch – vom Industriekaufmanns-Lehrling zum Vertriebsvorstand. "Im Nachhinein war vieles Glück", sagt er und gesteht, dass er dazu manchmal auch gezwungen werden musste. Als er sich mit 15 Jahren bei Warema bewarb, fand er eigentlich Banken schicker. Warema habe damals keinen Namen gehabt, sagte aber als erstes zu. Freund wehrte sich, seine Mutter setzte sich durch. Auch in den Vertrieb kam er nach seiner Lehre nur, weil es in einem schlechten Geschäftsjahr die einzige freie Stelle war.


Wann kam der Durchbruch von Warema und warum?

Die Worte, die Freund im Gespräch wählt, zeugen von dem Stolz auf die Entwicklung von Warema und auch ein wenig auf seine eigene. "Es war nicht alles immer Gold, aber ich bin hier groß geworden und die Firma mit mir", sagt Freund, der selbst maßgeblich am Durchbruch des Unternehmens beteiligt war. 1987 sollte er die Oberflächentechnik auf Vordermann bringen. "Ich wurde am Freitag gefragt und am Montagmorgen war ich Chef der Lackiererei. Ich hatte keine Ahnung von der Materie."

Nach sechs Monaten legte er Hans-Wilhelm-Renkhoff einen Lösungsvorschlag vor. Von Lack- wollte er auf eine Pulverbeschichtung umstellen. Dadurch hätte man anstatt einer handvoll Farben auf einmal die ganze Farbpalette zur Verfügung. Sie wären zwar die ersten, aber der Konkurrenz einige Schritte voraus. Freund erzählt, wie ihn Renkhoff gefragt habe, ob er sich sicher sei. Immerhin kostete das Projekt 20 Millionen Mark. Als Freund mit "Ja" antwortete, habe Renkhoff nur "Wenn es nicht funktioniert, fliegst du" gesagt und zugestimmt. "Er wollte mich testen. Ich wäre viel eher geflogen, wenn ich mir nicht sicher gewesen wäre."


Wer war Hans-Wilhelm Renkhoff und warum wurde Warema gegründet?

Freund kennt Renckhoff als einen Manager der klassischen Art. Marktheidenfelds Ex-Bürgermeister Armin Grein beschrieb Renkhoff ähnlich. Er sei ein "harter und fordernder Verhandlungspartner" gewesen, aber auch ein "Gönner und Förderer". Das sei typisch für die Nachkriegsgeneration, sagt Freund. "Er hat das Unternehmen gelebt."

Als Renkhoff gemeinsam mit Karl-Friedrich Wagner und dem oft vergessenen Hans-Wilhelm Bach das Unternehmen gründete – Bach hatte Renkhoff in den Kriegsjahren das Leben gerettet –, hatte er keine Ahnung von Jalousien. Renkhoff war eigentlich gelernter Maurer, stieg aber in seiner Heimatstadt Düsseldorf über Umwege schnell zum Geschäftsführer eines Ingenieurbüros auf. 1955 machte er mit seiner damaligen Frau einen Osterausflug nach Marktheidenfeld und traf Karl-Friedrich Wagner, einen Verwandten von Renkhoffs Frau. Der hatte Erfahrung im Jalousienbau. Trotz des enormen Risikos, Renkhoff setzte ja seine Stelle als Geschäftsführer aufs Spiel, gründeten die beiden Männer noch im selben Jahr Warema. Drei Jahre später starb Wagner bei einem Unfall und Renkhoff schnitt das Unternehmen auf sich zu. Seitdem ging jede Entscheidung über seinen Schreibtisch.


"Renkhoff kannte jeden Mitarbeiter beim Namen", erinnert sich Freund. "Er hat allen die Chance gegeben, Warema weiterzuentwickeln. War die Idee gut, hieß es: Mache ma." Und gute Ideen gab es genug. "Es war unser Anreiz, besser zu sein als unsere Konkurrenten", sagt Freund. Als Warema 1997 Markisen einführte, war der Run darauf so groß, dass Freund nach acht Stunden Büroarbeit noch zwei Stunden beim Verladen helfen musste. Was das Unternehmen an Größe nicht hatte, holten es durch technologischen Fortschritt und Fleiß wieder rein, glaubt Freund. So konnten sie harte Zeiten überstehen, an denen Konkurrenten zerbrachen. "Renkhoff hat schon am richtigen Ort die Firma gegründet. Der Erfolg von Warema spiegelt sich in der Zuverlässigkeit und im Bewusstsein der Mitarbeiter."


Wie Marktheidenfeld mit Warema verbunden ist

Marktheidenfeld und Warema: "Das war immer eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe", sagt Helga Schmidt-Neder. Sie ist seit 2008 Bürgermeisterin der Stadt. Im März wird sie nicht mehr antreten. Sie sieht Warema als einen Grundstein für das heutige Stadtbild. "Früher war Marktheidenfeld von Handel und Handwerk geprägt", erzählt sie. Dass Warema wuchs, habe auch den Weg für weitere große Unternehmensansiedlungen wie die von Braun geebnet. "Das hatte eine große Bedeutung für uns", sagt Schmidt-Neder. Fast im gleichen Wortlaut beschreibt Harald Freund das Verhältnis zur Stadt.


Wie groß die Bedeutung war, konnte man ausgerechnet an einem traurigen Tag sehen. Hans-Wilhelm-Renkhoff starb im Jahr 2011. Zu seiner Beerdigung kamen hunderte Marktheidenfelder. Schmidt-Neder hielt eine der Grabreden: Der Warema-Chef, dessen Name stets mit der Geschichte Marktheidenfelds verbunden sein werde, sei immer ganz nahe bei den Menschen und oft als stiller Nothelfer tätig gewesen. Am Äußeren Ring erinnert heute die Hans-Wilhelm-Renkhoff-Straße an ihn.


Warema im 21. Jahrhundert

Die Unternehmensführung hatte er da schon lange abgegeben. Seit inzwischen 22 Jahren führt seine Tochter aus erster Ehe, Angelique Renkhoff-Mücke, Warema. "Sie ist ihrem Vater in vielen Charakterzügen ähnlich, aber eine völlig andere Person", sagt Harald Freund und lacht. Renkhoff-Mücke hat mehrere Kinder. Gemeinsam gründeten Stadt und Warema eine Sommer-Kinderkrippe. "Die Erfahrung als berufstätige Mutter teilen wir", sagt Schmidt-Neder.

Auch beruflich ist die heute 57-jährige Renkhoff-Mücke schon längst aus dem Schatten ihres Vaters herausgetreten. Das Handelsblatt nannte sie einmal die "Schatten-Springerin". Sie digitalisiert konsequent den Konzern und dessen Produkte. Im Jahr 2018 knackte Warema unter ihrer Führung die Marke von einer halben Milliarde Euro Umsatz. Laut dem aktuellsten Geschäftsbericht arbeiten 4400 Menschen an 25 Standorten weltweit.

Jetzt, wo das Unternehmen so auf der Welt verteilt ist, wie viel Marktheidenfeld steckt noch in Warema – außer des Namens der Stadt? "Man kann sie nicht trennen. Wir gehören zusammen", sagt Helga Schmidt-Neder. Dem schließt sich Harald Freund an. "Das Herz von Warema in Marktheidenfeld bleibt." Daran hat er keinen Zweifel.

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