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Zu viel Mitgefühl: Frauen schaufeln sich ihr eigenes Armutsgrab im Alter

70 Prozent der Ehrenamtlichen im sozialen Bereich sind Frauen. Sie helfen, weil sie es gerne tun, werden jedoch oft als billige Arbeitskraft missbraucht - ohne Sozialversicherungs- und Rentenansprüche. Das Ehrenamt wird so zum Grabstein der eigenen Altersarmut.


Seit Jahren steigt die Zahl der Pflegebedürftigen stark. Die Zahl der Pflegekräfte hingegen stagniert. Dr. Paul-Stefan Roß, Dekan für Sozialwesen an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, hat in den vergangen Jahren beobachtet, dass soziale Organisationen immer mehr versuchen, mit ehrenamtlichen Helfern die Pflegekosten trotzdem niedrig zu halten.


Die Aufwandsentschädigung darf keine verdeckte Entlohnung sein

Denn: Anstatt für die Helfer Jobs zu schaffen, damit diese in die Rentenkasse einzahlen können, werden sie oft mit niedrigen Aufwandsentschädigungen abgespeist. „Man bezahlt Menschen mit einem bestimmten Stundensatz für bestimmte Tätigkeiten und vermeidet so eine reguläre sozialversicherungspflichtige Stelle. Das ganze wird „Ehrenamt" genannt, weil das vielleicht prestigeträchtiger klingt", erklärt Roß.


Die selbe Frage stellte die Deutsche Rentenversicherung und zog deshalb bis vor das Bundessozialgericht. Heraus kam, dass „die Verrichtung von Tätigkeiten zur Verfolgung eines ideellen Zwecks ohne Erwerbsabsicht objektiv erkennbar vorliegen muss. Die gewährte Aufwandsentschädigung darf sich nicht als verdeckte Entlohnung einer Erwerbsarbeit darstellen."


Ehrenamtlichen kann viel mehr zustehen

Dabei könnte den Ehrenamtlichen viel mehr zustehen, als eine Aufwandsentschädigung. Ein weit verbreitetes Beispiel: Im Rahmen der Nachbarschaftshilfe unterstützen viele Freiwillige die Altenpflege. Dies ist auch oft mit Stress und Verantwortung verbunden. Schichten werden nach Stundenplänen verteilt, die Ehrenamtlichen nach Stunden bezahlt. Was ist also noch der Unterschied zu einer „Erwerbsarbeit"?


Frauen sind von diesem Problem besonders betroffen. Psychologen der Cambridge Universität bewiesen in einer Studie, dass Frauen deutlich empathischer als Männer sind. Dies erklärt deren zwei Drittel-Anteil bei den Ehrenamtlichen im sozialen Bereich. Frauen haben ein größeres Bedürfnis sozial Schwächeren zu helfen.


Experte: Frauen schaufeln sich ihr eigenes Armutsgrab

Dies dürfe jedoch auf keinen Fall systematisch ausgenutzt werden, sagt Roß: „Wenn Frauen sich sozial engagieren, anstatt im klassischen Sinne zu arbeiten, können sie sich ihr eigenes Armutsgrab im Alter schaufeln." Schon jetzt sind vor allem Frauen von Altersarmut bedroht.

Die Situation verschlimmert sich mit der zunehmend schrumpfenden gesetzlichen Rente. Frauen werden jetzt schon etwa fünf Jahre älter als Männer. Frauen müssten also noch mehr vor der Rente ansparen. Dabei beziehen sie laut einer Studie des Forschungsteams Internationaler Arbeitsmarkt nur halb so viel Rente wie Männer.


Soziale Organisationen sollen gegenüber Ehrenamtlichen sozial sein

„Wenn es den sozialen Organisationen darum geht, dass Menschen schlicht Dienstleistungen erbringen und sie diese mit Geld und Verträgen dafür verpflichten, sollen sie dafür sozialversicherungspflichtige Jobs schaffen", sagt Paul-Stefan Roß. Durch kleinere kosmetische Eingriffe werde sich das Problem nicht lösen lassen.


Die Rechnung ist eigentlich einfach: Wenn die soziale Tätigkeit im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses erfolgt, erhöht dies die späteren Rentenansprüche. Dirk von der Heide von der Deutschen Rentenversicherung rät ehrenamtlich tätigen Frauen deshalb, freiwillige Beiträge in die Rentenversicherung zahlen und so die spätere Rente zu erhöhen.

Schließlich sei auch die Nutzung der Regelungen des § 187a SGB VI möglich, mit der durch einen ein- oder mehrmaligen Zusatzbeitrag die Rentenabschläge bei vorzeitigem Rentenbeginn ausgeglichen oder aber, wenn man nicht vorzeitig in Rente geht, der Rentenbetrag erhöht wird.


Sogar Rentnerinnen können ihren Rentenanspruch noch erhöhen

Frauen, die Pflegebedürftige in deren Zuhause betreuen, können von den Pflegekassen ein Beitrag in die Rentenversicherung gezahlt bekommen. „Dies ist im Übrigen sogar dann möglich, wenn die Pflegepersonen bereits im Rentenalter sind, aber keine volle Rente beziehen", erklärt von der Heide.


Aber auch ein kontroverser Vorschlag, könnte die Lage der Frauen verbessern: die Grundrente. Johannes Geyer, Rentenexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung erklärt das System im Gespräch mit FOCUS Online: „Diese Grundrente ist im Prinzip eine nicht beitragsbezogene Rente." Hinzu komme ein umfassendes Betriebsrentensystem.


Dadurch seien die Menschen im Alter besser abgesichert. In den Niederlanden beträgt die Grundrente 70 Prozent des Mindestlohns, in Deutschland wären das dann etwa 1000 Euro brutto. So könnten Frauen Menschen helfen, ohne um sich selbst fürchten zu müssen.

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