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Opfern... für die Idee

Stefan Jelinek erinnert sich an seinen ersten Verkauf mit einem Lächeln zurück. Das war Ende 2011 und Jelinek 31 Jahre alt. "Ich habe den BH selbst zur Post gebracht, verschickt und mich gefreut wie ein Schnitzel, weil ich mir damit mein Schnitzel finanziert habe", sagt der heute 36-Jährige grinsend. Bis dahin war es aber ein langer Weg für den Gründer von mittlerweile acht Online-Shops, auf denen er Unterwäsche, Hüte, Handschuhe, Bademode und Handtaschen verkauft. Dass andere aus seinen Erfahrungen lernen können, dafür berät Jelinek seit 2013 junge Gründer als Start-Up-Coach der Universität Passau.

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"Wir werden keine Millionäre werden. Es geht mir eher darum, dass ich Lust darauf habe, was ich mache", sagt Simon Nestmeier. Der 28-Jährige hat mit seinen Freunden Alexander Treml und Anton Kohlbauer die "Regiothek" gegründet. Die drei entwickeln in Passau aktuell ein Programm, mit dem man nachschauen kann, woher die Zutaten regionaler Produkte stammen. Man sieht zum Beispiel die Wertschöpfungsketten hinter dem Bio-Brot vom Bäcker nebenan geografisch dargestellt. "Es ist eine Idee, wie sie viele haben", glaubt Nestmeier. "Aber wir hoffen, damit den Lebensmittelmarkt transparenter machen zu können und gutes Essen und gute Zutaten in den Vordergrund zu stellen."

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Jelineks Karriere hatte wie aus dem Bilderbuch angefangen. Es ging immer nur aufwärts: Nach dem Abitur studiert der Deggendorfer BWL an der LMU in München, ergattert das Kurt-Forder-Stipendium für herausragende Begabung und kann dadurch an der University of Colorado studieren, wo er seinen MBA mit Auszeichnung besteht. Zurück in Deutschland erzählt ihm ein Freund von dessen Idee, eine Art News-Feed für wissenschaftliche Artikel aufbauen zu wollen. Mit ihm zusammen gründet Jelinek seine erste Firma und mit ihm zusammen fliegt Jelinek zum ersten Mal auf die Fresse.

Ein Jahr arbeiten sie wie verrückt an diesem Projekt und stehen am Ende mit einem Algorithmus da, der nur ein Wort suchen kann - komplett unbrauchbar in der Wissenschaft. "Am Anfang will jeder gut dastehen. Und dann kommt die erste Krise. Und die kommt immer. Nur die guten Start-Ups überstehen diese", erklärt Jelinek. Eine Firma zu gründen sei wie eine Ehe, fährt der 36-Jährige fort, man müsse sich verstehen, vertrauen, die selben Ziele und Werte haben. "Ich habe durch das Scheitern gelernt, offen und ehrlich miteinander umzugehen und vor allem Tacheles zu reden, wenn es nötig ist."

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"Scheiß auf Krise", dachten sich die Regiothekler, als im Juni 2016 ihre erste Bewerbung zur EXIST-Förderung abgelehnt wurde; 124.000 Euro, mit denen sie fest gerechnet hatten. "Das war der härteste Tiefschlag", erinnert sich der 28-Jährige. Das wäre die Existenzsicherung für die drei gewesen, zumindest für ein Jahr. Die drei hatten monatelang am Konzept gefeilt; all das während Treml studierte, Kohlbauer selbstständig war und Nestmaier ein Traineeship bei der Finanzaufsicht der Französischen Nationalbank in Paris absolvierte. "Am Anfang dachten wir: 'Die verstehen unsere Idee einfach nicht.' und waren sauer und enttäuscht", erzählt Nestmeier. Nach einer einer Woche kam das Umdenken. Entweder ganz oder gar nicht, riefen die drei als Motto aus. Juli 2016 brach Nestmaier seine Zelte in Paris ab und zog nach Passau. Die ersten drei Monate ohne festen Wohnsitz surfte er von Couch zu Couch, während sie zusammen mit Stefan Jelinek am zweiten Anlauf der EXIST-Bewerbung feilten.

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Nach der Liquidierung seines ersten Start-Ups arbeitet Jelinek mehrere Jahre als Unternehmensberater. Aber er merkt: Angestellter sein kann er nicht. Er entschließt sich zu einem radikalen Schnitt, kündigt und zieht sogar wieder nach Hause nach Deggendorf. Er will das Dessous-Geschäft seiner Mutter digitalisieren. "Eine wenig mystische Idee", kommentiert er lachend. Das Startkapital dafür sind zwei Monatsgehälter. Einen Kredit aufnehmen will er nicht. Dadurch sei man abhängig, meint Jelinek. Im September 2011 beginnt er mit zwei Praktikanten zu arbeiten. Innerhalb weniger Monate ist die Seite online.

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Ein Wochenende im Oktober 2016 veränderte dann das Leben der drei Gründer. Fast gleichzeitig kamen die Zusagen für Räume im "InnKubator" und EXIST. Die "Regiothek" hat auf einen Schlag ein Büro und Geld, um es zu bezahlen. Seitdem arbeiten Nestmeier, Kohlbauer und Treml zusammen an der ersten Version ihres Programms. "Wir versuchen die Arbeitszeiten nicht ausufern zu lassen. Wir arbeiten länger als der durchschnittliche Arbeitnehmer, aber Freizeit ist wichtig, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen", sagt Nestmeier überzeugt. Mitte Juni wird die erste Version getestet und Feedback eingeholt, im Spätsommer gehen die drei damit an die Öffentlichkeit.

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Heute, sechs Jahre später, generieren Jelineks Firmen siebenstelligen Umsatz, haben 22.000 Stammkunden und 21 Mitarbeiter. "Ich gebe immer nur aus, was ich habe. Man darf sich keine Luftschlösser bauen. Das ist der Schlüssel zum Erfolg", erklärt Jelinek. Aber was macht er anders, als all die anderen Online-Shops? "Ich beschäftige Experten, die ihre Fachberatung individuell auf den Kunden zuschneiden", so der Deggendorfer. Der zweite Grund sei Social Media. "Kunden treffen Kaufentscheidungen auf Basis ihrer Freunde. Deshalb muss man sich jeden Tag weiterbilden. Das tue ich und deshalb bin ich besser als die meisten anderen", meint Jelinek.

Gut 100 Gründungswillige hat Jelinek, seit er 2013 als Start-Up-Coach an der Uni Passau anfing, nach seinem eigenen Schema beraten (siehe Tabelle). "Man sagt ja immer, dass nur eine Neugründung aus zehn erfolgreich wird. In Passau sind wir besser", sagt er überzeugt. Jeder kann zu ihm kommen, der eine Idee hat. "Ich entmutige niemanden. Denn: Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass etwas andere Müslis so einschlagen. Und heute ist myMüsli das größte Passauer Start-Up."

Auch die anderen Passauer Start-Ups müssen sich nicht verstecken.

"Shoemates", die pro verkauftem Paar Schuhe ein Paar an arme Kinder spenden, eröffnen bald Flagship-Stores in München und Berlin.

"Devatax", eine Software zur Vereinfachung von Routineprozessen zwischen Unternehmern und Steuerberatern, bekam den Niederbayerischen Gründerpreis.

"aplace", eine App, die ortsbezogen Events und Aktionen vorschlägt, hat inzwischen acht Mitarbeiter, obwohl die Idee keine zwei Jahre alt ist. (Vorstellungsvideo am Ende des Posts)

"Smartricity", eine App, mit der man Energie und Geld sparen kann, gewann den BPW-Ideenreich-Wettbewerb 2017. (Vorstellungsvideo am Ende des Posts)

Jelinek berät die Gründer, fragt kritisch nach, versucht sie durch die lange Phase der Gründung zu navigieren. "Ideen zu haben ist nicht das Schwierigste. Die gibt es wie Sand am Meer. Dran zu bleiben und die Idee zu etwas Größerem zu machen, das ist die große Kunst."

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"Niemand weiß, was die Zukunft bringt", meint Simon Nestmeier. Man müsse immer anpassungsfähig bleiben. Der 28-Jährige macht sich keine Illusionen. Er weiß, dass er mit der "Regiothek" vielleicht keinen Erfolg haben wird. Schön wäre es aber, sagt Nestmeier, wenn er gut davon leben könnte und damit die Welt zusätzlich noch ein kleines bisschen besser machen könnte. Und dafür setzen die Regiothekler alle ihre Mittel ein. Seinen Bausparer hat Nestmeier seit Kurzem nicht mehr.

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