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Alles hängt von Erdogan ab

Deniz Yücel

Seit einem Jahr sitzt der Journalist Deniz Yücel in einem türkischen Gefängnis. Vor dem Besuch des türkischen Regierungschefs in Berlin fordert Claudia Roth deutliche Kritik von der Bundesregierung.

Anlässlich des Jahrestags der Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel in der Türkei fordert Bundestagspräsidentin Claudia Roth die Bundesregierung zum Handeln auf. „Die Bundeskanzlerin muss deutlich machen, dass die anhaltende Haft ohne Anklage und der Abbau des Rechtsstaats in der Türkei nicht akzeptabel sind", sagte Roth der FR. Der Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim bei Merkel am Donnerstag sei dafür ein geeigneter Zeitpunkt.

Die Türkei müsse allerdings differenziert betrachtet werden. Es sei wichtig, sich immer wieder vor Augen zu führen, „dass die Türkei nicht Erdogan und Erdogan nicht die Türkei" sei, sagte Roth. Yücels Inhaftierung belastet das deutsch-türkische Verhältnis erheblich. Der Journalist hat immer wieder einen fairen Prozess gefordert. Roth sagte, Yücels Verhalten sei bewundernswert: „Er ist mutig, demokratisch, großartig, da er für schmutzige Deals zu seiner Freilassung nicht bereitsteht."

Chancen für eine Freilassung Yücels sieht derzeit Kristian Brakel, der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul und Nahost-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Er bezieht sich dabei auf türkische Quellen. „Aber im Prinzip hängt alles davon ab, was Staatspräsident Erdogan will." Ob die Bundesregierung genug unternommen hat, um den 44-jährigen Journalisten frei zu bekommen, könne er nicht einschätzen, sagte Brakel der FR. Unklar bleibe, was alles hinter den Kulissen abgelaufen sei. Eine weitere Verschlechterung des deutsch-türkischen Verhältnisses hält der Experte auch für denkbar, eine dauerhafte Verbesserung nur dann, wenn die Türkei innenpolitisch „einen anderen Weg" einschlägt.

Auch Roy Karadag von der Universität Bremen geht nicht davon aus, dass sich das deutsch-türkische Verhältnis auf Dauer bessert. „Die deutsche Seite hat abgespeichert, dass sie im vergangenen Jahr zur Türkei streng war und aufgezeigt hat, wo die Grenzen sind, und die Türken die Regeln jetzt akzeptieren", sagte er. Allerdings sehe es auf der türkischen Seite umgekehrt aus, analysiert der Politik- und Islamwissenschaftler vom Bremer Institut für interkulturelle und internationale Studien. „Die hat es wie folgt abgespeichert: Wir haben in den vergangenen Jahren der deutschen und europäischen Seite unsere harte Haltung gezeigt. Diese ‚neue Annäherung' ist nicht Zeichen unserer Schwäche, sondern unserer Stärke. Hier wird sich niemand mehr in interne politische Angelegenheiten der Türkei einmischen."

Roth forderte die Kanzlerin auf, bei ihrem Treffen mit Yildirim noch weitere Themen anzusprechen: Die türkischen Angriffe in Syrien seien ein „völkerrechtswidriger Krieg", sagte sie. „Das ist mit Nato-Werten und Nato-Kriterien überhaupt nicht vereinbar. Ich finde das laute Schweigen der Bundesregierung sowie der Nato zum Krieg in Syrien verheerend."

Mit Spannung blickt die Grünen-Politikerin auch auf den EU-Gipfel mit der Türkei am 26. März im bulgarischen Schwarzmeerhafen Warna. Erdogan trifft dann unter anderem auf EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratschef Donald Tusk. „Der Kotau der europäischen Mitgliedsstaaten vor Präsident Erdogan, insbesondere zur Aufrechterhaltung dieses schäbigen Flüchtlingsdeals, muss aufhören", fordert Roth, die sich gegen einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ausspricht.

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